Bürgerwünsche oft schwer in Einklang zu bringen
"Aus Siemensdorf wird Siemensstadt"
Unter dem Label „Smart Campus 2.0“ plant die Siemens AG ein umfangreiches Neubauprojekt, voluminös formuliert eine Art Sprung in Richtung wohnen, arbeiten, leben im digitalen Zeitalter.
Dieses Vorhaben, dessen erste Schritte derzeit, wie berichtet, in einem Wettbewerbsverfahren weiter konkretisiert werden, bringt natürlich Veränderungen für die nähere und weitere Umgebung. Haselhorst, Charlottenburg-Nord und sogar darüber hinaus. Darum kümmert sich ein sogenanntes „Integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept“ (ISEK), für das im Dezember 2019 die „S.T.E.R.N. Gesellschaft für behutsame Stadterneuerung“ beauftragt wurde. Dort sollen Wünsche von Anwohnern, Gewerbetreibenden, Organisationen einfließen. Dazu gab es bereits zwischen April und Juni die Möglichkeit. In den kommenden Wochen geht es um die Feinjustierung. Das Bewerten bisheriger Ideen, das Vorbringen von weiteren. Den Anfang machte am 9. November eine Bürgerversammlung der Initiative „Planungswerkstatt Neue Siemensstadt“ im Gemeindesaal der evangelischen Christophoruskirche am Schuckertdamm.
50 Besucher und vielfältige Meinungen
Die Begleitumstände. 50 vorher angemeldete Personen konnten an der Veranstaltung teilnehmen. Sie standen aber für ein ziemlich gutes Bild unterschiedlicher Meinungen und Einschätzungen. Auch die Vertreter der Planungswerkstatt verbargen ihre Ansichten nicht. Dass auf der einen Seite Siemens im Zusammenspiel mit dem Senat das Mega-Projekt vorantreiben, andererseits der Bezirk mit dem ISEK sich mit den Folgen auseinander setzen müsse, wäre keine gelungene Konstruktion. Aber immerhin bestehe die Möglichkeit eigene Vorstellungen zu formulieren. Das müsse deshalb genutzt werden.
Was besonders beschäftigt. Es haben sich fünf Themenfeldern herausgebildet: Wohnen, Wirtschaft, soziale und kulturelle Infrastruktur, öffentlicher Raum und nicht zuletzt der Verkehr. Gerade hier gab es schon zahlreiche, sich teils widersprechende Ansichten. Etwa großzügige Straßenplanungen einerseits gegen gewünschte Verkehrsberuhigung auf der anderen Seite. Mehr Bewohner würden auch mehr Autos bedeuten. Wie sollten die aber auf den Straßen Platz finden? Bisherige Antwort: Am besten gar nicht. Vielmehr werde beim Smart Campus auch auf eine Art „Smart Driving“ gesetzt, also eine Veränderung des individuellen Mobilitätsverhaltens. Klar wurde ebenfalls: die Organisation öffentlichen Straßenlandes ist weiter vor allem die Aufgabe der öffentlichen Hand.
U- und S-Bahn
sollen verlängert werden
Das gilt auch für den öffentlichen Nahverkehr. Ein U-Bahnausbau von Ruhleben in Richtung Norden ist ebenso Teil der Wunschagenda wie eine S-Bahn bis zur Streitstraße, respektive zum bald wohl ehemaligen Flughafen Tegel. Demgegenüber stehen Forderungen nach forciertem Ausbau des Straßenbahnnetzes. Ebenfalls auf der Liste: neue oder erneuerte Radwege, Busspuren und nicht zuletzt eine Verbesserung der aktuellen Parkplatzsituation.
Wie wollen wir leben? Divergierende Einschätzungen gab es auch beim Thema wohnen. Die Siemens-Pläne würden eine Aufwertung bedeuten, mit der massive Mietsteigerungen oder Umwandeln in Eigentum einhergehe, mahnte ein Vertreter der Planungswerkstatt. Das sei „so sicher, wie das Amen in der Kirche“ und in seinen Augen das Hauptproblem. Nicht alle Besucher sahen das so. Besser betuchte Neubürger würden auch mehr Kaufkraft bringen. Und damit erst die ebenfalls geforderten zusätzlichen Einkaufsmöglichkeiten wie Biomärkte, Fleischer, größere Gastronomieauswahl, einen Markt, möglich machen. Das tangierte bereits den Bereich Wirtschaft.
Hoffnung versus Horrorvorstellung
Aus dem bisherigen „Siemensdorf“ werde dann erst die „Siemensstadt“ fasste es eine Frau im Publikum zusammen. Ein Kiez, der künftig, einschließlich mancher Nebenwirkungen, ähnlich strukturiert sei, wie zum Beispiel Kreuzberg. Für eine andere Teilnehmerin war das eher eine Horrorvorstellung. Weil das Quartier so sei wie es sei, wäre sie doch hierher gezogen. Auf wenig Widerstand stieß dagegen die Forderung nach einer Umgestaltung des Einkaufszentrums am Siemensdamm.
Siemens und die Folgen. Wie sehr die Nachbarschaft vom Campus profitiert, scheint ebenfalls noch nicht ausgemacht. Auch dort soll es Läden, Restaurants, Möglichkeiten der Freizeitgestaltung geben. Und mit einer Beteiligung des Konzerns, etwa an Einrichtungen der sozialen und kulturellen Infrastruktur im Umfeld sei ebenfalls nicht zu rechnen.
Siemens ist kein Stadtteilpatron mehr
Was aber ohnehin nicht zu dessen Aufgabenbereich gehöre, wurde angemerkt. Das Einrichten von Begegnungszentren sei ebenfalls eine öffentliche Aufgabe. Nicht nur das sei in der Siemensstadt in der Vergangenheit vernachlässigt worden. Gerade auch mit Verweis auf Siemens. Das Unternehmen spiele hier aber schon lange nicht mehr die Rolle des Stadtteilpatrons. Vielmehr befeuere es mit seinen Plänen sogar Verwerfungen in der Arbeitswelt, fanden die Planungswerkstatt-Vertreter. Bisherige Beschäftigungsverhältnisse würden zur Disposition gestellt. Das würde aber auch ohne den Campus passieren, kam wiederum als Replik. Der biete immerhin Chancen für neues.
Was zu tun ist? Vor allem eine Teilnahme am ISEK-Verfahren. Keine Idee ist dort erst einmal ausgeschlossen. Was überhaupt nicht machbar ist, wird aber ausgesiebt. Insgesamt sei wichtig, dass viele, häufig genannte Anliegen aufgenommen und im besten Fall Eingang in den vorgesehenen städtebaulichen Vertrag finden. Nur was dort festgeschrieben sei, habe Chancen realisiert zu werden. Deshalb gelte in den kommenden Wochen Vorschläge machen, Einwände äußern, mitmachen.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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