Ein Viadukt erwacht zum Leben
Die Siemensbahn wird nach 40 Jahren aus dem Dornröschenschlaf geweckt
Einst markante Bauwerke, die irgendwann in Vergessenheit geraten sind, hat es bis vor Kurzem viele in Spandau gegeben. Auffällig ist aber, dass es Bestrebungen gibt, mehrere davon wieder zum Leben zu erwecken. Das bekannteste Beispiel dafür ist die Siemensbahn.
Seit mehr als 40 Jahren zieht sich ihr einstiges Trassenviadukt ungenutzt durch Siemensstadt. Es ist da, fällt auch in den Blick, wurde aber kaum noch wahrgenommen. Vegetation konnte sich ungestört ausbreiten, die Bahnhöfe wurden auf verschiedene Weise zweckentfremdet.
An der Station Gartenfeld gab es mehrere Jahre einen Gartenmarkt. Nach diesem Interermezzo dominiert auch hier die ungezügelte Natur. Ein wenig wirkt der Bahnhof wie im Dornröschenschloss. So wie die Bahnhöfe Siemensstadt und Wernerwerk. Sie wurden zu Notquartieren für Obdachlose, Treffpunkte für Partys in ungewöhnlichem Ambiente, auch Opfer von Vandalismus. Berge von Müll sammelten sich im Laufe von Jahrzehnten an. Darunter befanden sich Fundstücke, die wie in einer Zeitkapsel hier verschlossen waren, wie Plakate, auf denen Konzerte im Jahr 1980 in der Deutschlandhalle angekündigt wurden.
Dass solche "Schätze" jetzt gehoben werden, hängt natürlich mit dem Reaktivieren der Siemensbahn zusammen. Auf der Strecke sollen ab 2029, wenn dieser Abschnitt der Berliner S-Bahn den 100. Geburtstag seiner Einweihung feiert, wieder Züge fahren. Kommt es so, wäre sie nur die Hälfte der Zeit in Betrieb gewesen. Warum das so war, hängt nicht zuletzt mit der Berliner Nachkriegsgeschichte zusammen.
Auch nach der Teilung der Stadt lag die Verantwortung für die gesamte S-Bahn bei der in Ost-Berlin ansässigen Deutschen Reichsbahn. Vor allem nach dem Mauerbau wurde sie zum Vehikel für den West-Berliner Protest. Motto: Wer S-Bahn fährt, unterstützt das unmenschliche DDR-Grenzregime.
Der Boykott zeigte Wirkung, die S-Bahn wurde im Westteil der Stadt nur noch selten genutzt und fuhr dort jährliche Verluste im dreistelligen Millionenbereich ein. 1980 sollte es deshalb zu einem massiven Ausdünnen von Strecken und Taktzeiten kommen. Daraufhin traten die West-Berliner S-Bahnmitarbeiter in einen Streik, in dessen Folge einem Großteil gekündigt wurde. Nur drei von vorher zehn Linien blieben in Betrieb. Unter den stillgelegten war auch die Siemensbahn.
Ende 1983 schloss der Senat ein Abkommen mit der Ost-Seite zwecks Übernahme des West-Berliner S-Bahn-Netzes. Für deren Betrieb war danach die BVG verantwortlich. Er umfasste bis zur Wiedervereinigung ebenfalls nur wenige, allerdings sehr lange Streckenabschnitte. Für die Siemensbahn änderte sich nichts. Gegen eine Reaktivierung sprach damals nicht zuletzt die teilweise parallel verlaufende U-Bahnlinie 7. Sie fuhr ab 1980 bis Rohrdamm, seit 1984 bis zum Rathaus Spandau.
Dabei blieb es auch fast drei Jahrzehnte seit 1990. Manchmal kamen Ideen auf, wie das Viadukt vielleicht irgendwie genutzt werden könnte. Vor einigen Jahren wurde der Vorschlag diskutiert, auf der einstigen Bahntrasse vielleicht einen Radweg einzurichten.
2018 waren auch solche Ideen Geschichte, als die Firma Siemens ihr Siemensstadt2 genanntes Vorhaben bekannt gab. Es umfasst vor allem den Bau eines neuen Quartiers mit Wohnungen, Gewerbe, Produktions- und Wissenschaftsstandort mit der Reaktivierung der Siemensbahn, deren Strecke am künftigen Stadtviertel vorbeiführt.
Die Geschichte wiederholt sich. Schon der Bau der Siemensbahn ging auf Betreiben von Siemens zurück. Das Unternehmen finanzierte das Projekt zunächst und verkaufte die fertige Strecke dann an das Land Berlin. Entstanden ist sie in Rekordtempo. 1925 begannen die Planungen, ab 1927 wurde gebaut. Zwei Jahre später war die Siemensbahn fertig.
So schnell geht es heute nicht mehr. Mittlerweile fehlt eine Brückenverbindung zwischen den Bahnhöfen Wernerwerk und Jungfernheide. Sie muss erst wieder errichtet werden.
Am Viadukt selbst ist nach Auskunft der Deutschen Bahn die Substanz in Ordnung. Er ist zwar überwuchert und vermüllt, braucht neue Schienen und eine umfassende Sanierung der Bahnhöfe, mehr aber nicht. Dies liege wohl auch daran, dass sich das Bauwerk mehr als 40 Jahre lang habe ausruhen können.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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