Studenten statt Gewerbe: Gesobau will Gerichtshöfe zu Wohn- und Kreativzentrum umbauen

Christoph Rüther (links) und Martin Blaser haben Angst um ihre Existenz. Sie müssen mit ihrer Tischlerei aus den Gerichtshöfen ausziehen. Betroffen sind 14 Angestellte und zwei Auszubildende. | Foto: Dirk Jericho
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Gesundbrunnen. Die mehr als 100 Jahre alten Gerichtshöfe zwischen Wiesenstraße und Gerichtstraße sollen saniert und zu Studentenwohnungen umgebaut werden. Die dort ansässigen Firmen und Künstler fürchten um ihre Existenz.

In den sechs Gewerbehöfen stellen Tischler Möbel her, werden Karossen geklempnert, Autos repariert, Maschinen gebaut und türkische Süßwaren gebacken. Die vierstöckigen Fabriketagen mit den hell glasierten Ziegeln sind noch ein echter Gewebehof, in dem derzeit elf Betriebe mit knapp 150 Mitarbeitern produzieren und etwa 70 Künstler in ihren Ateliers arbeiten. Doch jetzt droht einem der letzten funktionierenden Berliner Gewerbehöfen das Aus. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gesobau plant einen Radikalumbau. Laut einer Machbarkeitsstudie soll das Areal komplett saniert und zum Standort für „studentisches Wohnen und kreatives Arbeiten“ werden. Die Firmen haben Existenzangst. „Einen Umzug können wir uns nicht leisten. Das wäre das Ende“, sagt Martin Blaser, der mit seinem Partner Christoph Rüther seit 1993 im Hof 4 eine Tischlerei führt. 14 Mitarbeiter sind betroffen.

Wie die Gesobau mitteilt, werden alle Gewerbeverträge nur noch bis Ende 2017 verlängert. Das sei den Firmen im September mitgeteilt worden. In den Fabriketagen und in einem Neubau, der im zweiten und dritten Hof an die Stelle des im Krieg zerbombten Gebäudeteils entstehen soll, sind insgesamt 150 Studentenappartements geplant. Die rund 70 Künstler, die seit 1983 günstige Ateliers von der Gesobau gemietet haben, fürchten ebenfalls um ihre Zukunft. „Wir wissen nicht genau, wie es weitergeht“, sagt Birgit Bayer-Weiland, Vorsitzende des Vereins „Kunst in den Gerichtshöfen“. Die Malerin hat seit 2004 ein riesiges Atelier zu Quadratmeterpreisen von rund 3,30 Euro kalt gemietet. Wie hoch die Miete nach der Sanierung ist, will die Gesobau derzeit nicht sagen. Laut einem Schreiben der Wohnungsbaugesellschaft von Januar an Bürgermeister Christian Hanke (SPD) geht das Unternehmen jedoch von einer „moderaten Erhöhung“ um zwei Euro auf 5,30 Euro netto aus. „Die ansässigen Künstler können nach Abschluss der Modernisierung auf den neu strukturierten Flächen auch zukünftig ihrer kreativen Tätigkeit nachgehen“, schreibt Gesobau-Sprecherin Birte Jessen als Antwort auf einen Fragenkatalog der Berliner Woche zum geplanten Kreativzentrum. Wie teuer die Studi-Appartements werden und was die Gerichtshöfe-Sanierung insgesamt kostet, will die Gesobau „aufgrund der frühen Planungsphase“ noch nicht sagen.

Unter den Mietern geht die Angst der Gentrifizierung à la Hackesche Höfe um. Teure Luxus-Appartements, die von reichen Eltern bezahlt werden, sind in Berlin derzeit der Renner. Schräg gegenüber wird gerade das frühere Stadtbad Wedding abgerissen, weil ein Investor ebenfalls auf den Boom des Studentenwohnens setzt. Auch die Mieter in den Wohnhäusern Wiesenstraße 62 sowie Gerichtstraße 12/13, die zum Gerichtshöfe-Komplex gehören, sind vom Studentenwohnungsprojekt betroffen. Denn die Gesobau will die Häuser mit 81 Mietwohnungen, die teilweise noch über Ofenheizung verfügen, vom Dach bis zum Keller komplett sanieren und modernisieren. Was das für die zukünftigen Mieten bedeutet – auch dazu sagt das landeseigene Wohnungsunternehmen derzeit nichts. Die Sanierungen sollen im Frühjahr 2018 starten. Ende 2019 sollen die neuen Gerichtshöfe fertig sein.

Der Senat steht hinter den Gesobau-Plänen und „begrüßt ausdrücklich das Engagement zur Schaffung zusätzlichen Wohnraums für Studierende“, so Wohnungsstaatsekretär Engelbert Lütke Daldrup auf eine Anfrage der Abgeordneten Alessa Berkenkamp (Grüne). Linke-Spitzenkandidat für die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) und Anwärter für den Job als Baustadtrat in Mitte, Sven Diedrich, kritisiert „den Bau von Studentenappartements für 15 bis 20 Euro pro Quadratmeter Miete“. Die Gesobau solle sich „Gedanken machen um den Erhalt der Arbeitsplätze und die Schaffung bezahlbarer Wohnungen“. Bauausschussvorsitzender Frank Bertermann von den Grünen ist ebenfalls gegen das Gesobau-Projekt und fordert zur Gewerbesicherung ein Bebauungsplanverfahren. DJ

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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