Stadtspaziergang zur preußischen Geschichte
Innerstädtische Geschichte rund um den Witzlebenplatz entdecken
Zu meiner Führung lade ich Sie diesmal an den Witzlebenplatz ein. Der findet sich, erstaunlich gut mit öffentlichem Nahverkehr erreichbar, an der Parkanlage um den Charlottenburger Lietzensee.
Der ist ein Teil eiszeitlicher Grunewald-Schmelzwasser-Rinnen, die von Schöneberg bis Zehlendorf in Ost-West-Richtung die Teltow-Hochfläche mal mehr und mal weniger tief durchqueren, auf Längen trocken liegen und in ihrem Verlauf immer wieder von malerischen Seen gefüllt sind. Ganz bestimmt ist der Lietzensee eines derjenigen Gewässer, die im deutlichen Kontrast zu ihrer weiteren Umgebung stehen – dem innerstädtisch dicht bebauten Gebiet, das in fast 200 Jahren zu einer bevorzugten Gegend der einst königlichen Stadt Charlottenburg geworden ist – der Wohnlage Witzleben.
Und das ist eine wahrhaft königliche Geschichte: Damals kaufte der Minister Generalleutnant Job von Witzleben den Lietzensee samt Umgebung, erhielt vom König den Kaufpreis vorgestreckt und den Titel „Herr auf Lietzensee“ nachgereicht. Aus einem uralten Thüringer Adelsgeschlecht stammend, hatte er schon als preußischer Leutnant in der Schlacht bei Jena und Auerstedt gekämpft, überlebt, war in den Befreiungskriegen zu höheren Rängen aufgerückt, wurde Vertrauter des Königs, schließlich Preußischer Kriegsminister.
In zwei Teile zerschnitten
Er machte die Seeumgebung zu seinem Sommersitz und auch zur öffentlichen Parkanlage, die noch bis heute fast überall bis an die Seeufer reicht. Als nach 1900 die Neue Kantstraße angelegt wurde, ist das Dreieinhalb-Hektar-Gewässer von einem Damm in zwei Teile zerschnitten, gleichzeitig aber mit einem Kanaltunnel verbunden worden, der nicht nur mit dem Boot befahrbar, sondern seit Jahrzehnten auch über einen Steg begehbar ist. So kann man dort trockenen Fußes knapp über einer Wasserfläche entlanglaufen, die nur von Grundwasser gespeist ist und deren Überschüsse unterirdisch in die Spree abfließen.
Hebt man den Blick in Richtung Westen über den Seespiegel und die erstaunlich artenreiche Baumkronen-Silhouette des Parks, staunt man über ein nahes stählernes Gitterturm-Bauwerk: Der Funkturm überragt seit 1926 als ein kleiner, bescheidenerer Bruder des Pariser Eiffelturms mit fast 150 Metern Höhe die Gegend um die Berliner Messe und die Ortslage Witzleben. Wussten Sie, dass Charlottenburgs Funkturm, heute vor allem durch seine oft spektakuläre Beleuchtung bekannt, in der Pionierzeit des Rundfunks und auch des Fernsehens über seine Antennen diverse öffentliche Programme abstrahlte? Fährt man zur Turm-Aussichtsplattform, hat man von hoch oben einen traumhaften Nah-Blick über den langgestreckten See und seine Umgebung bis hinüber zum Kaiserdamm. Noch vor dem Turmbau zu Charlottenburg hatte Gartenbaudirektor Erwin Barth in Notstandszeiten aus der Grünanlage einen gestalteten Volkspark mit einem Wegesystem anlegen lassen, das immer neue Blickachsen bietet, gepflegte Rasenflächen und bunte Beet-Anpflanzungen zwischen hohen Bäumen auf der einen und wilde Uferpartien auf der anderen Seite.
Parkdenkmal für Gefallene
Vom Architekten Eugen Schmohl, der auch das Ullsteinhaus Tempelhof und den Borsigturm Tegel entwarf, stammt das aufwendige Parkdenkmal für die Gefallenen des Königin-Elisabeth-Garde-Regiments Nr. 3. in den Schlachten des Ersten Weltkriegs. Viele Ortsnamen aus Frankreich finden sich auf der großen Gedenktafel und viele polnische aus vorher westrussischen Gebieten. Weit mehr als 3000 Angehörige dieses einen Regiments starben, wie es heißt, dort im Westen wie im Osten den Heldentod. Die Namensgeberin Elisabeth, Gattin von Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. war übrigens in ihrem Vorleben als bayrische Prinzessin Tante und Taufpatin jener echten und gleichnamigen Sissi, deren dreiteiliges Filmleben als herzige junge Kaiserin Österreichs und auch Königin Ungarns in den Fünfzigern die Mehrheit deutscher Kinosäle füllte.
Ganz in der Nähe des 20er-Jahre-Heldendenkmals steht mit abgebrochenem Speer in der Faust und einem Haarschopf in der Scheitel-Mode des Jahres 1940 ein übriggebliebener nackter bronzener Jüngling. Da ist es nur eine späte Rand-Anekdote, dass Anfang der 80er-Jahre ein gleichnamiger Nachfahre des einstigen Herrn auf Lietzensee, nämlich Militärhistoriker Job von Witzleben, Jahrgang 1916, NVA-Oberst a. D., der damals sehr nobel in Potsdams Neuen Garten im einstigen Gärtnerhaus am Ufer des Heiligen Sees wohnte, mit seiner zweiten Ehefrau Anka, ebenfalls schon berentet, fast jeden Monat mit wenig Westgeld in den Taschen nach Westberlin fuhr, und mit ihr um den Lietzensee spazieren ging. 1943 hatte er noch als blutjunger Karriere-Major der Wehrmacht in einem Generalstabslehrgang an der Kursker Panzerschlacht teilgenommen, sich dann nach Gefangenschaft und Umerziehung für die Teilnahme am Aufbau des Militärs im Osten entschieden. Später war J. v. Witzleben auch Fachberater für künstlerische Projekte, vor allem für Kriegsfilme, so schon 1970 für den ungewöhnlichen DEFA-Spielfilm „Meine Stunde Null“ mit Manfred Krug und Drehbuchautor Jurek Becker, den späteren Machern der Erfolgsserie „Liebling Kreuzberg“ vom damaligen Sender Freies Berlin. Aber die spielte dann bekanntlich nicht am Lietzensee, sondern eher unmilitärisch in der Stadtgegend um Heinrichplatz und Oranienstraße.
Die Tour beginnt am Sonnabend, 19. November,11 Uhr. Treff: Witzlebenplatz, Ecke Kaiserdamm. Verkehrsverbindung: U2 Sophie-Charlotte-Platz, 5 Minuten Fußweg. Die Tour wiederhole ich an gleicher Stelle am Sonnabend, 26. November, 14 Uhr bei Meyers Stadtgängen (sieben Euro, Anmeldung unter Telefon 442 32 31), weitere Informationen auf www.stadtgaenge.de
Die Führung ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Montag, 14. November, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Telefon 887 27 73 02.
Autor:Bernd S. Meyer aus Mitte |
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