Aufklärung tut not
Organspende: Medizinstudenten informieren
Peter hat einen Fahrradunfall. Er erleidet eine Hirnblutung. Zwei unabhängige Fachärzte untersuchen den Verunglückten mehrfach. Ihre Diagnose: Peter ist hirntot. Falls Peter einer Organspende zugestimmt hat, könnte jetzt mehreren schwerkranken Menschen geholfen werden.
Peter gibt es nicht und auch keinen schweren Fahrradunfall mit Hirnblutung. Es ist ein Fallbeispiel. Andrea Willeke führt es gerne an, wenn sie mit Schülern ab sechzehn über das vieldiskutierte Thema Organspende spricht. Die 24 Jahre alte Medizinstudentin engagiert sich in der Initiative „Aufklärung Organspende“.
Wir möchten unabhängig, sachgerecht und neutral Aufklärung betreiben und Bürger so informieren, dass sie sich entscheiden können, ob sie Organspender werden wollen oder nicht“, erklärt Vanessa Muth (23). Muth leitet gemeinsam mit Isabella Hanisch, Charlotte Kemper und Carl Schoeneich die Berliner Lokalgruppe der Initiative.
„Aufklärung Organspende“ wurde 2014 an der Charité von den Medizinstudenten Julian Pohlan, Niklas Büscher, Arthur Kroczek und Samuel Knauß im Rahmen eines Seminars des Neurologen Karl Max Einhäupl zum Hirntod gegründet. Einhäupl war von 2008 bis 2019 Vorstandsvorsitzender der Charité Universitätsmedizin. Auch Vanessa Muth und Andrea Willeke sind über ein Seminar zur Initiative gestoßen.
Viel Zustimmung, aber wenige Spender
Inzwischen gibt es deutschlandweit an medizinischen Fakultäten 26 lokale Gruppen der Initiative. Sie ist ein Projekt der Bundesvertretung der Medizinstudierenden Deutschlands (BVMD). Die Berliner Lokalgruppe hat rund 30 Mitglieder. Sie besuchen Schulen, veranstalten Projekttage und Lehrerfortbildungen, halten Vorträge und informieren an Aktionsständen: über den Hirntod, das Transplantationsgesetz in Deutschland oder den Ablauf einer Transplantation – zuletzt unter anderem auf dem Weihnachtsmarkt in der Nähe der Jannowitzbrücke. „Wir sind offen für alle, die sich engagieren wollen“, betont Vanessa Muth.
An solchen Ständen zeigten sich die Menschen gegenüber dem Thema offener, wenn die Neutralität der AG deutlich gemacht wurde, hat Andrea Willeke festgestellt. „Wir verteilen viele Ausweise.“ Nach einer bundesweiten Umfrage sehen 84 Prozent der Bürger die Organspende positiv, aber nur 36 Prozent haben einen Ausweis.
Gleichzeitig träten Vorurteile gegenüber der Organspende zutage, sagt Andrea Willeke. Die angehende Ärztin hört Sätze wie: „Ich kann kein Organ spenden, weil ich zu alt bin.“ „Das stimmt nicht“, erklärt Vanessa Muth. „Es gibt bei Organspenden keine Altersgrenze. Auch ein Raucher oder jemand mit Vorerkrankungen kann Organspender sein.“
Politische Debatte ein Gewinn
Die Aufklärung über die Organspende in Deutschland sei nach wie vor unzureichend, bedauern die beiden AG-Mitglieder bei einem Gespräch auf dem Charité Campus Virchow-Klinikum in Wedding. Dies hat sich aus ihrer Sicht bei der Abstimmung über die beiden Gesetzesentwürfe zur Entscheidungslösung oder Widerspruchslösung unlängst im Bundestag gezeigt: Um sich für die eine oder andere Position zu entscheiden, müsse noch mehr aufgeklärt werden. Trotzdem sei die politische Debatte für das Thema ein „Gewinn“ gewesen, so die jungen angehenden Ärztinnen.
Seit Jahren stehen in Deutschland konstant knapp 10 000 Patienten auf Wartelisten für eine Organspende. Vanessa Muth und Andrea Willeke haben weitere Zahlen parat: 2018 gab es 995 Organspender. 3113 Organe wurden gespendet. Im vergangenen Jahr waren die Zahlen etwas rückläufig: 2995 gespendete Organe standen 932 Spender gegenüber.
Ende des Monats wird Andrea Willeke gemeinsam mit einer Mitstreiterin die nächste Schule besuchen. „Ich arbeite gerne mit Jugendlichen zusammen“, sagt sie. Die Berliner Lokalgruppe hat sich vorgenommen, Organspendeausweise „besser zugänglich“ zu machen. Bald sollen die Plastikkärtchen samt Infomaterial in vielen öffentlichen Bibliotheken Berlins erhältlich sein.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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