Wohlfühlen verboten
BVV und Stadtteilvertretung protestieren gegen neue Platzordnung vorm Rathaus
Auf den neu gestalteten Freiflächen rund um den früheren Rathausturm zwischen Rathaus Wedding und Schillerbibliothek gilt eine strenge Platzordnung. Dagegen regt sich sogar Widerstand von Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD), der den Schildern zugestimmt hat und sie jetzt wieder weghaben will.
Seit Jahren gibt es heftige Diskussionen um den sogenannten Rathausvorplatz, der mittlerweile komplett neugestaltet wurde. Der Bezirk hatte den Rathausturm vor sieben Jahren an die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) abgegeben, um Kosten zu sparen. Die BIM hat den Zehngeschosser saniert; seit vier Jahren ist dort das Jobcenter Mieter. Die Platzgestaltung hatte sich immer wieder verzögert, weil sich Bezirk und BIM nicht über Zuständigkeiten einigen konnten. Denn mit der Übertragung des ehemaligen Rathausturms an die BIM gingen auch der Rathausvorplatz und weitere umliegende Flächen in das Eigentum der BIM über. Die wollte auch nicht, dass der namenlose Platz, wie von der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) beschlossen, in Elise-und-Otto-Hampel-Platz benannt wird.
Jetzt gibt es neuen Knatsch rund ums Rathaus. Seit Oktober stehen drei riesige Schilder an der Müllerstraße und zwei an der Genter Straße. Die neue Platzordnung listet unübersehbar weiß auf schwarz und mit elf roten Piktogrammen auf, was hier verboten ist: Kippen wegwerfen, Alkohol konsumieren, betteln, nächtigen, Straßenhandel, Fahrradfahren, Hunde frei laufen lassen, grillen, Demos und Veranstaltungen. Laut Platzordnung ist auch verboten, „Betäubungsmittel mit sich zu führen bzw. mit diesen zu handeln oder diese zu konsumieren“. Auf dem Verbotsschild sind die Logos von Bezirksamt und BIM.
Einheitliche Platzregeln
Der BVV-Ausschuss Soziale Stadt hat am 2. Dezember einen Antrag auf Vorschlag der Linke-Verordneten Katharina Mayer mit dem Titel „Rathausvorplatz für alle!“ beschlossen. Um die massive Verbotsliste loszuwerden, soll der Rathausvorplatz wieder in das Fachvermögen des Grünflächenamtes überführt werden, heißt es in dem Beschluss. Denn auf öffentlichen Flächen gibt es zum Beispiel kein Verbot, sein Bierchen zu trinken. Katharina Mayer sagt, dass die Platzordnung sich „gegen die Ärmsten der Armen richtet, gegen Obdachlose und suchterkrankte Menschen“. Diese Menschen seien aber „Teil der Gesellschaft und es ist absurd, die zu verdrängen“.
Die Platzordnung war laut BIM-Sprecherin Katrin Polenz notwendig, „da es sich bei diesen Flächen um Privatflächen mit öffentlichen Zugang handelt“. Die Polizei könne so bei Problemen tätig werden und gegebenenfalls Platzverweise aussprechen. Laut Katrin Polenz hat der Bezirk Anfang 2019 beschlossen, „diese Platzordnung auch für die Flächen zu übernehmen, die dem Bezirk gehören. Die Platzordnung wurde mit dem Jobcenter, der Bibliothek, dem Bezirk, Sozialarbeitern und der BIM erarbeitet und rechtlich abgestimmt“. Auch Karsten Scheffer vom Planungsbüro, das für den Bezirk die millionenschwere Aufwertungskampagne rund um die Müllerstraße koordiniert, bestätigt das. Die Texte hätten auch Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) und Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) abgenickt. Ziel sei gewesen, einheitliche Platzregeln hinzubekommen bei unterschiedlichen Eigentümern.
Platz für alle
Dass Gothe nun gegen die Schilder ist, verwundert Scheffer. Denn der Baustadtrat unterstützt den BVV-Ausschussantrag. „Ich halte es für richtig, hier eine Korrektur vorzunehmen und den prominent und zentral gelegenen Rathausvorplatz wieder zu einer normalen öffentlichen Platzfläche zu machen“, sagt er. „Dann wird die Platzordnung obsolet und die Schilder können demontiert werden. Es gelten dann die Regeln, die überall auf öffentlichen Straßen und Plätzen gelten“, so Gothe. Er erinnert an das „Prinzip der europäischen Stadt seit der frühen Antike“. Da habe es zwei Flächenkategorien gegeben: „Die öffentlichen Räume, die der Stadtgesellschaft insgesamt ohne Einschränkungen zur Verfügung stehen, und private Grundstücke, die in der Regel mit Häusern bebaut sind“, so Gothe. „Dass dieses Prinzip gerade bei einem Rathausvorplatz außer Acht gelassen wird, ist kritikwürdig“, so der Stadtrat.
Auch die Stadtteilvertretung Mensch.Müller protestiert vehement und fordert die „Entfernung der Verbotsschilder“. Es könne nicht sein, „dass ein Platz mit öffentlichen Geldern saniert und dann nicht allen Menschen zur Verfügung steht“, sagt Christoph Keller, Sprecher der Stadtteilvertretung. „Ein Rathausvorplatz für alle“ lautet auch die Forderung von Mensch.Müller; „sei es für die Abkürzung mit dem Fahrrad oder ein Feierabendbier unter den Pappeln“, heißt es. Die jetzt „installierte, überbordende Verbots-Beschilderung“ mache alles zunichte. „Hier zeigt sich die hässliche Seite der im Aktiven Zentrum geplanten und durchgeführten Stadtbildverschönerung. Der Wedding soll schick und sauber werden, aber nicht mehr allen Weddingern einen Platz zum Leben bieten. Das lehnen wir ab“, heißt es in der Stellungnahme der Stadtteilvertretung.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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