Mit neuen Angeboten möchte das Abgeordnetenhaus Kinder und Jugendliche für Politik begeistern
„#deinAGH“ nennt sich die neue Onlinepräsenz, mit der Ralf Wieland (SPD), Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, das Politikinteresse junger Menschen stärken will. Die finden hier Angebote wie Diskussionsrunden, Rollenspiele und Hausführungen.
Mit der politischen Bildung früh anzusetzen, sei heute bitter nötig, findet der Parlamentspräsident. Denn viele junge Menschen würden sich aus Frust über die Parteien nicht mehr als Teil des demokratischen Systems begreifen. „Die Parteien orientieren sich viel zu sehr an Menschen über 60“, sagt Wieland. 60 Jahre, das ist in den Volksparteien das Durchschnittsalter.
Dass die Politik frischen Wind braucht, ist vielen Politikern grundsätzlich bewusst. Denn viele junge Menschen sind enttäuscht von der Politik. Bei der 2017 veröffentlichten europaweiten Studie "Generation What?" gaben 86 Prozent der Deutschen zwischen 16 und 34 Jahren an, Politikern Korruption zuzutrauen. Eine Auswirkung dieser Stimmung: Die Wahlbeteiligung der Menschen unter 25 liegt deutlich unter dem Durchschnitt, auch in Berlin. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 2016 gaben nur 58,1 Prozent der 18- bis 21-Jährigen und 53,8 Prozent der 21- bis 25-Jährigen ihre Stimme ab. Demgegenüber gingen 73,4 Prozent der 60- bis 70-Jährigen wählen.
Durch die unterschiedliche Wahlbeteiligung entsteht ein problematischer Kreislauf: Junge Menschen boykottieren durchs Nichtwählen eine Politik, die ihnen wenig anbietet. Damit schwächen sie aber wiederum die Vertretung ihrer Interessen. Denn die Stimmen der großen Wählergruppe über 50 Jahre bekommen im Verhältnis mehr Gewicht. Und das spiegelt sich wiederum in der Themensetzung der Parteien wider, denen es mehr Erfolg verspricht, sich auf die Bedürfnisse der Älteren zu konzentrieren. Diese sind schließlich zuverlässige Wähler. „In der Zukunft wird sich dieses Ungleichgewicht voraussichtlich sogar verstärken, weil die Menschen immer älter werden“, sagt Ansgar Hinz, Leiter des Pressereferats im Abgeordnetenhaus.
Wie lässt sich das ändern? Einerseits sieht Präsident Wieland die Parteien in der Pflicht. Sie müssten sich um junge Wähler bemühen, indem sie ihren Sorgen und Problemen mehr Raum geben. Darüber hinaus müsse die Mitbestimmung junger Menschen ausgebaut werden. Ein Wahlalter von 16 Jahren kann sich Wieland vorstellen. Dazu sei es aber auch wichtig, bereits bei Kindern und Jugendlichen ein Bewusstsein für die Bürgerpflicht Wahl zu schaffen. „Für die Generationen, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren sind und die die DDR kannten, war es keine Selbstverständlichkeit, in einer Demokratie zu leben, sondern eine Errungenschaft“, sagt Wieland. So habe sich bei vielen Älteren das Wählen zu einer Tradition entwickelt, die man eben zu pflegen hat. Mit der Zeit habe diese Tradition aber gefühlt an Wert verloren, denn die Demokratie scheint vielen gesichert.
Dass dies ein Trugschluss ist und eine Demokratie vielfältige politische Angebote benötigt, das sollen Schüler mithilfe von „#deinAGH“ erfahren. Beim „Dialog P“, einem Veranstaltungsformat zum Beispiel, besuchen Abgeordnete aller Fraktionen Berliner Schulen und debattieren mit den Jugendlichen über junge Themen: Soll es einen Führerschein ab 16 Jahren geben? Sollte das BVG-Ticket kostenlos sein? Auf der Basis von Fakten setzen sich die Jugendlichen mit den Standpunkten unterschiedlicher Parteien auseinander. Moderiert wird die Veranstaltung von den Schülern selbst.
2017 war das Abgeordnetenhaus mit „Dialog P“ bereits an elf Schulen präsent. 440 Jugendliche hatten die Gelegenheit, sich mit 50 Abgeordneten zu unterhalten. In anderen Veranstaltungsformaten können Schüler etwa Ausschusssitzungen simulieren oder sich bei einem Demokratiespiel als Regierung versuchen.
Politische Bildung, das hat eine Bertelsmann-Studie zur Wahlbeteiligung gezeigt, erhöht die Bereitschaft zu wählen. Besonders viele Nichtwähler kommen aus bildungsfernen Milieus. Hier setzt das Abgeordnetenhaus an: „Bisher kommen hauptsächlich Gymnasiallehrer auf uns zu, wir wollen aber explizit auch Lehrer anderer Schultypen ansprechen“, sagt Wieland.
Autor:Josephine Macfoy aus Schöneberg |
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