Anzeigen wegen stiller Gedenkaktion
Polizei geht gegen Bürger vor, die zum Tag der Befreiung an Naziopfer erinnern

Stilles Gedenken: Bürger erinnern am Tag der Befreiung an die Naziopfer Elise und Otto Hampel am zerstörten Denkmal auf dem Rathausvorplatz.   | Foto: Jonathan Göpfert
2Bilder
  • Stilles Gedenken: Bürger erinnern am Tag der Befreiung an die Naziopfer Elise und Otto Hampel am zerstörten Denkmal auf dem Rathausvorplatz.
  • Foto: Jonathan Göpfert
  • hochgeladen von Dirk Jericho

Mit einer stillen Gedenkaktion zum 75. Jahrestag des Kriegsendes auf dem Rathausvorplatz an der Müllerstraße haben sich engagierte Bürger Anzeigen eingehandelt.

Sie standen ordnungsgemäß mit Mundschutz und in coronakonformen Sicherheitsabstand. Insgesamt 15 Minuten lang hielten am 9. Mai Gewerkschafter vom DGB, Anwohner und Mitglieder der Stadtteilvertretung „mensch.müller“ Anti-Hitler-Zitate von Elise und Otto Hampel hoch. Das Weddinger Ehepaar hatte während des Zweiten Weltkriegs mit handgeschriebenen Postkarten gegen Hitler und seinen Krieg gekämpft. Die Nazigegner aus der Amsterdamer Straße wurden verraten und am 8. April 1943 in Plötzensee durch das Fallbeil hingerichtet. Hans Fallada widmete dem Weddinger Ehepaar seinen 1947 veröffentlichten Roman „Jeder stirbt für sich allein“.

Zum Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus gedachten 16 Leute den Weddinger Nazigegnern an der Ende April zerstörten Gedenkstele, die das Bezirksamt 2018 aufstellen ließ. Sie legten Blumen an den auch zwei Wochen nach dem Anschlag noch immer herumliegenden Trümmern der Hampel-Stele nieder und machten Fotos mit den Plakaten, auf denen die Original-Zitate der Hampels gedruckt waren. „Die Polizei fand das so gut, dass sie sich gleich dazu gesellte und unsere auf Abstand und Mundschutz bedachte Gedenkaktion wegen aktueller Coronamaßnahmen ohne Abstand und Mundschutz zur Coronaparty verwandelte“, heißt es in einer Erklärung der Gruppe.

Polizisten haben die friedlichen Teilnehmer der Gedenkaktion kontrolliert und von allen die Personalien aufgenommen. Die Sache hat länger gedauert als die Fotoaktion selbst, wie die Polizei auf Anfrage bestätigt.

„Absurd und völlig maßlos“ nennt Fabian Schmidt den Polizeieinsatz. Der Weddinger vom DGB Bezirk Berlin-Brandenburg hatte das stille Gedenken organisiert und sich den Beamten als Verantwortlicher zu erkennen gegeben. Gegen ihn wird nun wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und wegen Hausfriedensbruch ermittelt, wie Kriminaloberkommissarin Sara Dieng von der Polizei-Pressestelle sagt. Für Schmidt ist das völlig unverständlich. Er wollte drei Tage zuvor die kurze Gedenkaktion bei der Versammlungsbehörde anmelden und hat online alle Daten angegeben. Am nächsten Tag habe er einen Anruf bekommen, bei dem ihm ein Beamter erklärt habe, dass diese kleine Miniaktion keine Demo sei und keiner Anmeldung bedürfe, so Schmidt. Das Anmeldeschreiben und die Nummer des Beamten von der Versammlungsbehörde, die noch in seiner Anrufliste stand, habe die Einsatzkräfte nicht interessiert, ärgert sich der Gewerkschafter. „Wir haben versucht, alle Regeln einzuhalten“, so Fabian Schmidt. Trotzdem hagelt es Anzeigen. Für ein paar Minuten Gedenken an die Nazipofer würden die Leute behandelt wie Teilnehmer obskurer „Hygienedemos“, bei denen Parolen gegrölt werden und gepöbelt werde.

Nach der Zerstörung der Hampel-Stele in der Nacht auf den 29. April hatte der Polizeiliche Staatsschutz die Ermittlungen zu „Sachbeschädigung mit politischem Hintergrund“ aufgenommen. Die über zwei Meter hohe Stele aus Glas, auf der die Künstlerin Ingeborg Lockemann den Original-Schriftzug einer Hampel-Postkarte gedruckt hat („Wache auf! Wir müssen uns von der Hitlerei befreien!“) lag bis zum 13. Mai zerdeppert auf dem Rathausvorplatz. Lediglich ein paar Absperrbaken wurden um das Kunstwerk gestellt. Weder die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), der der Patz gehört, noch das Bezirksamt hatten die Tafel nach dem Anschlag gesichert.

„Die Gedenktafel wird am 13. Mai von der Künstlerin hinsichtlich des Schadens begutachtet und danach abtransportiert“, teilt die Pressestelle des Bezirksamtes auf Nachfrage mit. „Es stellten sich kurzfristig doch größere Beschädigungen heraus als es ursprünglich den Anschein hatte, so dass diese Verfahrensweise zwingend notwendig wurde“, heißt es weiter. Ingeborg Lockemann war jedoch nicht vor Ort, wie sie sagt. Sie kennt den Schaden nur von Fotos. Dass die kaputte Tafel zwei Wochen lang rumlag, ärgert sie auch. Die zuständige Stadträtin Sabine Weißler (Grüne) hat eine „kurzfristige Ersatzbeschaffung“ der Info-Stele für Elise und Otto Hampel angekündigt.

Nachdem das zerstörte Denkmal, auf dem Anwohner seit Tagen Kerzen und Blumen gestellt hatten, jetzt weggeräumt wurde, erinnert nichts mehr an die Hampels. „Die Stelle sieht aus, als ob es das Denkmal nie gegeben hätte. Keine Erklärung, keine Information in schriftlicher Form, nichts“, ärgert sich Anwohnerin Annette Stubbe. Wie Ingeborg Lockemann sagt, muss das Denkmal komplett erneuert werden.

Stilles Gedenken: Bürger erinnern am Tag der Befreiung an die Naziopfer Elise und Otto Hampel am zerstörten Denkmal auf dem Rathausvorplatz.   | Foto: Jonathan Göpfert
Die Polizei schreibt Anzeigen gegen die Teilnehmer der Gedenkaktion. | Foto: Jonathan Göpfert
Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

48 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Schonende Verfahren für Ihre Rückengesundheit werden am 19. März vorgestellt. | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Informationen für Patienten
Minimal-Invasive Wirbelsäulenchirurgie

Leiden Sie unter anhaltenden Rückenschmerzen oder Wirbelsäulenbeschwerden? Moderne minimal-invasive Operationsverfahren ermöglichen eine schonendere Behandlung mit schnelleren Genesungszeiten. Erfahren Sie mehr über innovative Therapiemöglichkeiten bei unserem Infoabend mit Dr. (Univ. Kermanshah) Kamran Yawari, Teamchefarzt des Caritas Wirbelsäulenzentrums. In seinem Vortrag erläutert er die Vorteile minimal-invasiver Wirbelsäulenchirurgie und zeigt auf, wann und für wen diese Methoden sinnvoll...

  • Reinickendorf
  • 18.02.25
  • 224× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Erfahren Sie, welche proktologischen Erkrankungen häufig auftreten, welche Untersuchungsmethoden es gibt und wie moderne Behandlungsmöglichkeiten helfen können.  | Foto: pixel-shot.com, Leonid Yastremskiy

Proktologie: Ende gut, alles gut!

Unser Darm ist mit seinen 5 bis 7 Metern Länge ein wahres Wunderwerk unseres Körpers. Doch wenn es am Ende des Darms zu Erkrankungen kommt, kann das die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen – auch wenn man es nicht sieht. Aus Scham werden diese Probleme oft verschwiegen, dabei gibt es in den meisten Fällen gute Behandlungsmöglichkeiten. Wir laden Sie herzlich zu unserem Informationsabend ein! Erfahren Sie, welche proktologischen Erkrankungen häufig auftreten, welche Untersuchungsmethoden es...

  • Reinickendorf
  • 19.02.25
  • 186× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Gallensteine sind ein häufiges, aber oft unterschätztes Gesundheitsproblem.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Patienten fragen
Steine in der Gallenblase – was nun?

Gallensteine sind ein häufiges, aber oft unterschätztes Gesundheitsproblem. Etwa jede fünfte Person in Europa ist betroffen, und fast die Hälfte entwickelt im Laufe des Lebens Beschwerden. Diese äußern sich meist in Form von wiederkehrenden Schmerzen, insbesondere im rechten Oberbauch. In einigen Fällen können Gallensteine zu ernsthaften Komplikationen wie einer Entzündung der Gallenblase führen. Die bevorzugte Therapie bei Beschwerden ist die operative Entfernung der Gallenblase – in der Regel...

  • Reinickendorf
  • 12.02.25
  • 572× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Informieren Sie sich über Intensivmedizin. | Foto: 2022 Tomasz Kuzminski

Infoabend am 11. Februar
Grenzen und Möglichkeiten der Intensivmedizin

Die Intensivmedizin hat erstaunliche Fortschritte gemacht und bietet schwerstkranken Patienten Überlebenschancen, die früher undenkbar waren. Doch wo liegen die Grenzen dieser Hochleistungsmedizin? Welche technischen, personellen und ethischen Herausforderungen gibt es? Besuchen Sie unseren Infoabend mit Priv.-Doz. Dr. Stephan Kurz und erfahren Sie, wie intensivmedizinische Maßnahmen Leben retten, aber auch komplexe Entscheidungen erfordern. Was geschieht, wenn Therapieoptionen ausgeschöpft...

  • Reinickendorf
  • 29.01.25
  • 1.163× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.