"Der Müll soll uns nicht trennen"
Verein nimmt den Unrat im Soldiner Kiez genauer unter die Lupe

Lena Reich und ihre Vereinsmitstreiterinnen wollen dem Müll ein Zuhause geben.  | Foto:  Ulrike Kiefert
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Im Soldiner Kiez nimmt ein Verein den Müll genauer unter die Lupe. Mit Humor und im Austausch mit den Nachbarn. „Viele stören sich an illegalen Müllkippen“, sagt Lena Reich. Zu Recht. Doch wer wird im diversen Kiez noch wohnen, wenn alles sauber und schön ist?

Abfall auf Gehwegen, Sperrmüll am Straßenrand. Im Soldiner Kiez sorgt Berlins schmutzige Seite für Streit und gegenseitige Vorwürfe. Stets sind die „anderen“ schuld an den wilden Müllkippen. Der gemeinnützige Verein „Müll Museum Berlin“ will damit Schluss machen. Nicht mit Schaufel und Besen oder erhobenem Zeigefinger, sondern mit Kunst, Workshops und einer Prise Humor. “Wir geben dem Müll ein Zuhause“, sagt Lena Reich.

Die Kunsthistorikerin und Autorin gehört zu den vier Gründungsmitgliedern eines gemeinnützigen Vereins. Der heißt „Müll Museum Berlin“ und hat – der Name verrät es – im Soldiner Kiez ein Müll-Museum eröffnet. Fast vier Jahre ist das schon her. Inzwischen aber ist das Museum zu einem akzeptierten Kunst- und Bildungsort geworden, für Schulklassen und Nachbarn. Denn das Museum ist nicht einfach nur ein Ort toter (schmutziger) Dinge. Der ausgestellte „Müll“ soll auch die Geschichte des Kiezes erzählen, und davon, was Menschen so tun und lassen, sagt Reich, die selbst im Kiez wohnt. In erster Linie gehe es um Nachhaltigkeit, um ökonomische und soziale, und darum, alle im Soldiner Kiez dazu aufzurufen, das Müllproblem gemeinsam anzugehen. Denn: „Der Müll soll uns nicht trennen“, sagt Lena Reich.

Wie aber sieht das praktisch aus? Im „Museum von unten“ können die Besucher die Kunstwerke lesen lernen und über ihr eigenes „Entsorgungsverhalten“ nachdenken, diskutieren und es hinterfragen. Zum Beispiel an dem pinken Plastikflugzeug, das in der Ausstellung steht und den CO₂-Fußabdruck bei jeder Flugreise anmahnt. Es erinnert aber auch an den Lärm, der über dem Wedding lag, wenn in Tegel die Flugzeuge starteten oder landeten. Oder an dem Döner aus Knete und dem Capri-Sun-Kleid, die beide auf den Verpackungsmüll hinweisen. Wobei der Künstler mit seinem Döner auch von der Gastarbeitergeschichte des Weddings erzählen will, sagt Reich. Auch Fotografien hängen an den Wänden, die bildlich machen, wie sich der Kiez verändert. Es gibt also genügend Gesprächsstoff.

Workshops vor wilden Müllhalden

Mehr als 100 Schulklassen waren seit der Eröffnung im Müll-Museum oder haben bei den Workshops mitgemacht. „Wobei wir die Workshops auch schon mal vor wilden Müllhalden im Kiez verlegen“, sagt Lena Reich. Nicht um aufzuräumen, sondern um den Müll genauer unter die Lupe zu nehmen. Was sie häufig finden, sind Bauschutt, ganze Schrankwände, alte Fernseher und Sofas. „Wir diskutieren dann darüber, wo der Müll herkommen könnte.“ Vielleicht war der BSR-Hof gerade geschlossen oder wollte Geld für den Sperrmüll. Mit Humor begegnet das Vereinsteam auch jenen, die ihre Pflichten vernachlässigen. Hauseigentümer oder Hausverwaltungen zum Beispiel. So gelang es, rund 116 Wohnungen von Kakerlaken zu befreien. „Weil wir an jede Tür geklopft haben, und der Vermieter am Ende bereit war, regelmäßig den Kammerjäger vorbeizuschicken.“ „Nachhaltig nerven“ nennt Lena Reich das. Auch das Straßen- und Grünflächenamt hat mit vier Mülllcontainern ausgeholfen. Die stehen jetzt dauerhaft an vier Hotspots, darunter am Spielplatz Drontheimer Straße und am Pankehaus.

Und dennoch: Seit der Verein am Start ist, sei der Soldiner Kiez nicht unbedingt sauberer geworden. „Der Müll wandert mit den Baustellen“, hat Lena Reich beobachtet. Auch sie ärgert sich darüber und dass andere sich darüber ärgern. Doch gehört der Müll nicht irgendwie zu Berlin dazu? „Was ist eigentlich sauber und schön? Wer entscheidet das?“ Und vor allem, wer wohnt dann noch hier, wenn alles blitzeblank und teuer ist? Für Lena Reich gilt es, die richtigen Fragen zu stellen. Denn „nachhaltig“ bedeutet für sie, dass sich der Kiez verändern darf, die Menschen aber bleiben sollten.

Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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