Von Station zu Station
Der zweite Teil der Bildsäulen-Tour beginnt an der Klosterstraße
Nachdem im Februar der erste Teil ab Mohrenstraße lief, lade ich Sie – nach längerer Sommerpause – zum zweiten ein: ab Klosterstraße, Uraltboden Berlins.
„Gegen dem grauen Kloster“ hieß ein Straßenstück vor sieben Jahrhunderten. Die aktuelle archäologische Baubegleitung vermeldet regelmäßig sensationelle Funde ringsum, so jenen Bohlendamm, der ab 1215 datiert wurde. Seit damals ist der Boden um mehr als zwei Meter gewachsen, sichtbar am tiefliegenden Portal der Klosterkirchenruine. Fritz Cremers „Sich vom Kreuz Lösender“ steht dort auf mittelalterlichem Grund, ragt so nur knapp über den aktuellen Horizont Berlins. Bildhauer Jürgen Pansow schuf eine moderne Pieta – Motiv der Mutter, ihren toten Sohn beweinend. Ganz in der Nähe steht Theo Baldens Schutzmantelmadonna, angstvoll, empört zum Himmel blickend, ihr Kind unterm mächtigen Umhang verbergend.
Alexanderplatz: Die U2 begeht in diesem Jahr mit der Strecke von Inselbrücke (U-Bahnhof Märkisches Museum) bis Nordring (U-Bahnhof Schönhauser Allee) ihren 110. Geburtstag. An Zahlen hält man sich besser auch bei den oberirdischen Bildsäulen: 1895 ist in der Werkstatt Emil Hundriesers die 7,5 Meter hohe Alex-Berolina aus Kupferblech hergestellt worden – mit Kettenhemd und einer Krone in Wehrturm-Optik. Bevor das Warenhaus Tietz kam, überragte sie auf ihrem Sockel noch die Altbebauung. „Linke Wade Berolina“ wurde zum angesagten Treffpunkt. Eigentlich war die Figur nur eine 1:1-Kopie, denn schon 1889 hatte Hundrieser eilig eine Gips-Riesendame formen müssen – zum Besuch des italienischen Königs Umberto I. Sie leuchtete fast wie eine klassische römische Göttin, trotzte aber nur kurzeitig dem Wetter. Die haltbare Kupferne vom Alex musste 1927, nach 32 Jahren Standzeit, dem Zeitgeschmack, wie dem Bau des größten Berliner U-Bahnhofs weichen. Fortan prägte den neuen verkehrsumtosten Kreisverkehrs-Alex das Berolina- und das Alexanderhaus.
Nahe letzterem ließ 1935 die Nazi-Stadtverwaltung die Figur wieder aufstellen, nun auf einen schmucklosen Steinzylinder. 1944 brauchte man ihr Kupfer für den Krieg. 1969 sollte auf den neuen Fußgänger-Alex eine Urania-Uhr. Professor Erich John, damals Formgestaltungschef der Weißenseer Kunsthochschule, landete einen Design-Coup, erfand als neuen Treff die Weltzeituhr. Alex-Besucher lasen seitdem dort die Namen vieler Städte, zu denen die meisten Bewohner des damaligen Ländchens DDR nie reisen durften. Später wurde das technische „Kleinod“ unter Denkmalsschutz gestellt. Längst umschwebt es auch ein Hauch von „1984“. Wie in Orwells Endzeit-Roman Archiv-Zeitungen stets nach Machtkalkül umgeschrieben wurden, verschwanden auf der Weltzeituhr Städtenamen, andere kamen hinzu. Aber nach 52 Jahren bekam Erich John, inzwischen ein rüstiger älterer Herr, das Bundesverdienstkreuz am Bande.
U2-Station Rosa-Luxemburg-Platz: Der Bronze-Erstguss der Rosa-Luxemburg-Statue von Rolf Biebl, 1999 für den Platz vorgesehen, hat nun seinen vierten Standort am Ostbahnhof. Seit 2009 steht ein Zweitguss an der Ecke Linien- und Weydinger Straße. Doch muss sich Rosa mit dem Soldatenkönigs gleich gegenüber die Lufthoheit teilen. Ein Blick auf den Boden der Volksbühnen-Umgebung verrät, dass Rosa Luxemburg hier nicht nur erhobenen Hauptes zu sehen ist, sondern auch als Bodendenkmal. Denn dort kann man in Messing-Lettern vermischte Luxemburg-Zitate aus 20 Berliner Jahren nachlesen.
Am Senefelderplatz steht seit 1892 das Standbild für den Bayern Alois Senefelder. Der hatte 100 Jahre zuvor den Steindruck mit feinkörnigen Schieferplatten erfunden, Vorläufer moderner Flachdruckverfahren, von Künstlern bis heute im Original gepflegt. Das Marmordenkmal ist am Standort über die Zeiten gekommen, mal mit und mal ohne Schutz vor Wetter und anderem Unbill. Längst gilt der Sitzriese am südlichen Ende des Platzdreiecks als Prenzlauer Bergs Vormann aller Kreativen. Wussten Sie, dass für das Gründreieck zuerst der Name Thusneldaplatz gedacht war? Nach der Frau des Germanenfürsten Arminius. Hinterm Pfefferberg findet sich Teutoburger Platz, schräg rüber die Arminius-Apotheke.
Nur ein kurzer Fußweg über die Kollwitzstraße zum ebenfalls dreieckigen Kollwitzplatz: Seit über 60 Jahren steht dort das Denkmal für Käthe Kollwitz von Gustav Seitz und immer wieder gibt es Leute, die behaupten, hier wäre der wahre Mittelpunkt Berlins. Weiter zur Kulturbrauerei: Dort trifft man das bronzene Liebespaar Adam und Eva. Wie dünn doch die beiden damals waren! Vom U-Bahnhof Eberswalder Straße sind es nur noch eine Hochbahnstation und ein paar Dutzend Schritte bis zu Ernst Barlachs „Geistkämpfer“ vor der Gethsemanekirche. Der Erstguss von 1928 kam in Kiel über den Bombenkrieg. 1986 hatte man in der Berliner Bildhauersektion die Idee, auf dem Bebelplatz einen Zweitguss von genau dieser Plastik aufzustellen. Waren doch Barlachs Bücher dort 1933 von den Nazis verbrannt und später seine Bildwerke als „entartet“ diffamiert worden. Der Vorschlag bekam höchste Weihen, blieb dann doch liegen, wohl wegen des Geldes. Erst vier Jahre später, im März 1990, als die D-Mark schon am Horizont erschien, kam vom Berliner Magistrat der Gussauftrag. Im Sommer war die Plastik fertig, doch der im Mai frei gewählte letzte Ost-Magistrat und bald auch der erste Gesamtberliner Senat hatten andere Sorgen als den Bebelplatz. Vier Jahre später freute sich die Gethsemanegemeinde über das noble Geschenk der Stadtregierung.
Als 1986 bei der Erneuerung des Bahnhofs Vinetastraße Fliesen schräg verlegt worden waren und auch an Schiffe erinnerten, kam ein kräftiger mittelalter Bronzemann auf den Bahnsteig, der seinen Platz bis heute nicht verlassen hat. Er trägt einen muskelbetonenden Maßanzug, Sonnenbrille und Armbanduhr, das linke Hosenbein erinnert seltsamerweise an die Beinschienen der Ritterrüstung. Scheint der Mann mit diesem Outfit im damaligen Pankower Endbahnhof unbeirrt durch die untergehende Stadt Vineta zu wandeln?
Die Bildsäulen-Tour beginnt am Sonnabend, 8. Oktober, um 11 Uhr. Treffpunkt ist vor der Klosterstraße 70 am U-Bahnhof Klosterstraße. Teilnehmer brauchen eine gültige ÖPNV-Tageskarte. Die Tour wiederhole ich bei Meyers Stadtgängen am Sonnabend, 29. Oktober, um 14 Uhr. Der Treffpunkt bleibt derselbe, die Teilnahme kostet sieben Euro. Anmeldung dafür unter Tel. 442 32 31. Weitere Informationen auf www.stadtgaenge.de.
Die Führung ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Dienstag, 4. Oktober, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Telefon 887 27 71 00.
Autor:Bernd S. Meyer aus Mitte |
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