Eine Schleife zum Jubiläum
Seit drei Jahrzehnten ist die Brotfabrik am Caligariplatz ein Ort für Kunst und Kultur
Trotz Corona-Krise gibt es an der Weißenseer Spitze dieser Tage etwas zu feiern: Die Brotfabrik wird 30 Jahre alt. Aus diesem Anlass ziert die Fassade seit einigen Tagen ein Geschenkband mit Schleife.
Bereits 1986 kommt das kulturelle Leben an der Spitze, wo die Ortsteile Pankow, Weißensee und Prenzlauer Berg zusammentreffen, in Fahrt. Im kommunalen Jugendklub „An der Weißenseer Spitze“ entsteht zunächst ein Saal für Musik-, Tanz-, Film- und Literaturveranstaltungen. Ein Jahr später kommen ein Café und eine Galerie dazu. Nach dem Fall der Mauer wird im Mai 1990 das „Jugend- und Kulturzentrum Brotfabrik“, später umbenannt in „Kunst- und Kulturzentrum Brotfabrik“, gegründet. Nach Umstrukturierungen im Haus entstehen ein Kino, ein Theater, eine Galerie und eine Kneipe. Außerdem wird der bis heute aktive Trägerverein Glashaus gegründet.
Seither ist die Brotfabrik weiter gewachsen. In den vergangenen Jahren kamen ein Inklusiv-Atelier sowie der Neue Salon hinzu, berichtet Alexander Graeff, der sich um die Pressearbeit des Hauses kümmert. Das Veranstaltungsprogramm heute wird in den Sparten Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Film, Literatur und Musik von jeweils zuständigen Kuratoren gestaltet. „Im Brotfabrik-Team verstehen wir unter kultureller Arbeit konsequent eine soziale Praxis auf Augenhöhe“, betont Geschäftsführer Jörg Fügmann. Die Begegnung entstehe laut Fügmann zwischen Kunst, Künstlern und Publikum. Das zeige sich insbesondere auch an den aktuellen Inklusionsprojekten, die zum festen Programm der Brotfabrik gehören. Dazu zählen ein inklusiver Musiksalon und das aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds finanzierte Kunstprojekt „Zurück ins Leben!“.
Mit ihrer 30-jährigen Geschichte ist die Brotfabrik ein Ort des Austauschs, an dem seit Beginn der 1990er-Jahre Veranstaltungen stattfanden, die den künstlerischen und gesellschaftspolitischen Status quo sprengten. Zum Beispiel die erste deutschsprachige Bühnen-Adaption des berühmten Romans „Giovannis Zimmer“ von James Baldwin im Jahre 1993 oder die Filmreihe „50 Jahre subversives Kino“ 1994. Dazu gehören auch das interdisziplinäre Caligari-Festival „Somnambule“ 2010 sowie das erst im vergangenen Jahr veranstaltete Filmfestival „InEx“ zum Thema Inklusion. Zum Kreis der Künstler, die in der Brotfabrik zu erleben waren, gehörten etablierte wie Max Goldt, Nan Goldin, Elke Erb, Thomas Brasch und Christoph Schlingensief wie eher unbekannte aus dem Kiez und aus der Subkultur.
Die Brotfabrik sei, fasst Jörg Fügmann zusammen, „immer schon ein ständig wachsendes Gebilde“ gewesen und bestehe „aus einem Haufen Leute, die sich demokratisch einbringen“. Das gilt bis heute. Das Leitungs- und Kuratorenteam der Brotfabrik mit seinen flachen Hierarchien bestehe aus neun Menschen unterschiedlichster Qualifikation, die mit ihrem monatlichen Kulturangebot und dem soziokulturellen Modell „Kulturfabrik“ für eine offene, diverse und plurale Gesellschaft einstehen, so Fügmann. Dieses Engagement ist heute dringlicher denn je. Diversität und Inklusion sind Trends geworden. Viele staatliche und städtische Kulturhäuser in Berlin haben die Notwendigkeit dieser Ansätze in den vergangenen Jahren auch begriffen und präsentieren sich entsprechend. Soziokulturelle Zentren wie die Brotfabrik leisten diese Arbeit schon seit 30 Jahren, auch wenn ihnen das Marketingbudget für medienwirksame Präsentationen ihrer engagierten Programme leider oft fehlt.
Zu einem Jubiläum wie diesem wären ein großes Fest und ein Tag der offenen Tür angemessen gewesen. Leider müssen die Feierlichkeiten wegen der aktuellen Kontaktbeschränkungen ausfallen. Das Team der Brotfabrik hofft aber, dass die Türen bald schon wieder geöffnet werden können, um ein neugieriges Publikum willkommen zu heißen.
Autor:Bernd Wähner aus Pankow |
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