Weißenseer Merkwürdigkeiten
Stadtspaziergang rund um den Mirbachplatz

Der übriggebliebene Kirchturm am Mirbachplatz. | Foto: Bernd S. Meyer
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Zu meinem 206. monatlichen Spaziergang lade ich Sie zum Mirbachplatz ein. In eine Stadtgegend, in der man sich schnell die Augen reibt. Denn gerade drei Kilometer vom Alexanderplatz entfernt gibt es in wilder Mischung zwischen den Drei- bis Fünfgeschossern in allerlei Bauformen des letzten Jahrhunderts noch ältere einstöckige Gründerzeit-Häuser samt großer Wirtschaftshöfe.

Mitten auf dem runden Mirbachplatz steht als Rest der Bethanienkirche der 65-Meter-Turm, gerade spektakulär mit folienbespanntem Baugerüst umkleidet. Darin und auf dem Grundriss des kriegszerstörten Kirchenschiffs werden nun Wohnungen gebaut. Man mag das speziell finden, aber manches, was dieses Gebäude betrifft, war von Anfang an ungewöhnlich.

Geldsammler für mehr als 100 Kirchen

Als das Kaiserpaar am 26. Oktober 1902 in der aufstrebenden Gemeinde Neu-Weißensee zur Kirch-Einweihung erschien, hatte das Rondell längst den Namen gewechselt. 27 Jahre hieß es nach der jungen hamburgischen Landgemeinde an der Elbmündung Cuxhavenplatz, anlässlich des Bethanien-Richtfests benannte man den Platz nach dem Oberhofmeister der Kaiserin, Generalleutnant Ernst Otto Freiherr von Mirbach. Er war ihre rechte Hand beim Geldsammeln für mehr als 100 Kirchenneubauten, einflussreich beim Evangelischen Kirchen-Bauverein. Die ausführliche Protokollliste zur Eröffnung der Kirche nennt den Vertrauten von Kaiserin Auguste Viktoria nach all den anderen Honoratioren, zu denen auch Martin Kirschner gehörte, Oberbürgermeister der Reichshauptstadt, mit der Neu-Weißensee eine lange Flurgrenze teilte. Immerhin behielt der Platz bis heute seinen Namen, so bei der Vereinigung des einstigen Vorwerks Neu-Weißensee mit dem alten Dorf zur Großgemeinde, im Stadtbezirk Weißensee bei Gründung Groß-Berlins und auch im heutigen Großbezirk Pankow.

Sechs Straße münden auf dem Platz

Wussten Sie, dass die Gemeinde Weißensee noch Ende des 19. Jahrhundert versucht hatte, Anschluss an Berlin zu bekommen und später das Munizipalviertel als Städtisches Zentrum erbauen ließ? Sechs Straßeneinmündungen nimmt der Kreisverkehr des Mirbachplatzes auf. Seit eineinhalb Jahrhunderten ist die Pistoriusstraße die längste davon. Johann Heinrich Pistorius besaß von 1822 bis zu seinem Tode 1858 das Rittergut Weißensee. Er erfand einen leistungsfähigen Brennapparat zur Steigerung der Branntweinproduktion aus Kartoffeln, die ihn und viele andere ostelbische Gutsbesitzer zu erfolgreichen Unternehmern aufsteigen ließ. Andere Straßennamen haben vor allen mit Immobilienentwicklern zu tun, die hier vor rund 150 Jahren kauften, parzellierten und wieder verkauften. Einige Straßennamen von prominenten Spekulanten verschwanden fast so schnell wieder, wie sie gekommen waren. Nicht so Gustav Adolf Schön. Der umtriebige Kaufmann und Segelschiffsreeder hatte 700 000 Taler zum Kauf des Pistorius'schen Gutserbes verwendet und machte bei der Parzellierung guten Gewinn. Seine Vornamen, sein Familienname, auch die Vornamen des Bruders Anton, der Schwägerin Albertine und der Cousine Amalie wie die einiger Geschäftspartner schmücken bis heute diverse Straßenschilder des Viertels. Eine Ausnahme ist die Behaimstraße, 1951 so benannt, weil man hier den einstigen Dutzendnamen Wilhelmstraße nicht mehr haben wollte.

Kruzifix aus dem Nordharz

Martin Behaim war ein Nürnberger Tuchhändler und portugiesischer Seefahrer des 15. Jahrhunderts auf den der erste Erdglobus zu Nürnberg zurückgeht, eine Kugel, auf der noch ganz Amerika fehlt, weil weder entdeckt noch vermessen. An der Behaimstraße steht auch die katholische Pfarrkirche St. Joseph, ganz im Stil norddeutscher Backsteingotik. Das Kruzifix erhielt die Kirche Anfang der 80er-Jahre aus der Dorfkirche von Langeln, heute Gemeinde Nordharz. Es stammt aus dem 14. Jahrhundert und ist ein Kleinod. Ihr rechteckiger Turm und die eigenwilligen vier Dreieckgiebel, erbaut drei Jahre vor der nahen evangelischen Bethanienkirche, finden sich auch dort, weitaus höher und in ähnlichen Formen gestaltet. So prägen die beiden schon städtisch angelegten Gemeindekirchen seit der vorigen Jahrhundertwende die Silhouette des Stadtviertels. Kommt man ins nordwestliche Weißensee, muss man auch ganz besondere Schulen erwähnen. Gleich neben St. Joseph die Theresienschule, seit 1896 Mädchenschule bei Herz-Jesu, Schönhauser Allee, dort 1928 zum Lyzeum erweitert. 1941 geschlossen, genehmigten Kommandantur wie Magistrat 1945 den Neubeginn. Über 40 Abi-Jahrgänge verließen die einzige katholische Mädchenoberschule (EOS) in der DDR, die von 1918 bis 1981 unter Leitung der Coesfelder Schwestern stand. Seitdem unter Bistumsaufsicht, zog sie 1991, bald Vollgymnasium, nach Weißensee. Und über die Straße die Ostkreuzschule für Fotografie.

Werner Klemkes Wirkungsstätte

Bis zur Kunsthochschule Weißensee sind es zehn Minuten bequemer Spazierweg in die Bühringstraße. Gegründet 1946 von Absolventen des Bauhauses Weimar-Dessau-Berlin, zuerst in der ehemaligen Trumpf-Schokoladenfabrik untergebracht, entwarf der bosnische Architekt Selman Selmanagic in den 50er-Jahren Gebäude, die heute als genialer Kompromiss aus Bauhausmoderne und damaligen Forderungen nach „volkstümlicher nationaler deutscher Tradition“ gelten können. Hier lehrte jahrzehntelang auch Professor Werner Klemke, gebürtig 1917 in Weißensee, damals Kreis Niederbarnim. Den kannte in der DDR jedes Kind, weil er nicht nur die Fibel für Erstklässler illustriert hatte, sondern auch jene große prächtige Ausgabe der Hausmärchen der Gebrüder Grimm. Das Professor-Klemke-Gedenkatelier mit Malkursen findet sich deutlich markiert in der kurzen, gewundenen Tassostraße an Weißensees anderem Ende.

Der Spaziergang beginnt am Sonnabend, 25. Februar, um 11 Uhr an der Behaim-/ Ecke Langhansstraße, Verkehrsverbindung: Straßenbahn 12, M13 bis Behaimstraße. Die Tour wiederhole ich an gleicher Stelle am Sonnabend, 11. März, 14 Uhr. Die Teilnahme kostet neun, ermäßigt sieben Euro, Anmeldung unter Telefon 442 32 31.

Die Führung ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Dienstag, 21. Februar, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Tel. 887 27 73 02.

Autor:

Bernd S. Meyer aus Mitte

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