Überraschender Reichtum: Jüdischer Friedhof als Ort der biologischen Vielfalt ausgezeichnet

Professor Ingo Kowarik von der TU (links) und Gideon Joffe nehmen von Jurymitglied Christiane Paulus die Auszeichnung entgegen. | Foto: Bernd Wähner
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Über eine besondere Ehrung kann sich die Jüdische Gemeinde zu Berlin freuen. Für das gemeinsam mit der Technischen Universität (TU) initiierte Doppelvorhaben „Naturschutz- und Denkmalpflege auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee“ ist sie als offizielles Projekt der „UN-Dekade biologische Vielfalt“ ausgezeichnet worden.

Die Vereinten Nationen erklärten die Jahre 2011 bis 2020 zur UN-Dekade der biologischen Vielfalt. In dieser Dekade werden in jedem Land Projekte ausgezeichnet, die Modellcharakter in puncto biologischer Vielfalt haben. Auf dem Jüdischen Friedhof sieht es vielerorts inzwischen wie in einem Dschungel aus. Moos und Efeu auf Grabsteinen, alte Bäume, zahlreiche Stauden und sogar eine Orchideenart wachsen hier. Fünf Fledermausarten, Spechte, Habichte fühlen sich dort heimisch, und auch Füchse durchstreifen gerne mal das Areal.

Über Jahrzehnte eroberte die Natur den Friedhof. Als die Jüdische Gemeinde nach 1990 wieder volle Entscheidungsfreiheit über die Fläche hatte, entschied sie, behutsam mit dieser Situation umzugehen. Die Wege zwischen den Grabfeldern sind zwar zugänglich, aber die meisten Grabfelder selbst überließ man weiterhin der Natur. Auf den etwa 42 Hektar Gesamtfläche gebe es 134 Grabfelder mit circa 116 000 Gräbern, sagt der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe.

Um Anregungen zu erhalten, wie man mit der Situation auf dem Friedhof umgehen könnte, habe die Gemeinde in den vergangenen Jahren zwei Projekte mit der TU initiiert, sagt Gideon Joffe. Das eine beschäftigte sich mit einer Bestandsaufnahme der biologischen Vielfalt. Und von den Ergebnissen waren viele überrascht. „Derzeit stehen auf dem gesamten Areal 6970 Bäume“, so Professor Ingo Kowarik vom TU-Institut für Ökologie. „Davon ist allerdings etwa ein Fünftel bruchgefährdet.“ Das heißt, die Bäume könnten bei Stürmen einfach umkippen. „Weiterhin wurden 22 684 Sträucher sowie 604 wildlebende Tierarten registriert. Darunter sind allein 34 Vogelarten.“

Doch wie könnten die Grabfelder besser gepflegt werden? Wie ist die Artenvielfalt zu erhalten? Welche Arbeiten an den Bäumen sind nötig, damit so viele wie möglich stehen bleiben können? Diesen Fragen gingen die TU-Wissenschaftler in einem zweiten Projekt nach. An einem der Grabfelder praktizieren sie beispielhaft mit Unterstützung der Bundesstiftung Umwelt, wie die Pflege der Grabfelder aussehen könnte. Dafür waren circa 10 000 Euro nötig. Rechnet man es auf alle Grabfelder hoch, werden etwa 1,4 Millionen Euro für den gesamten Friedhof gebraucht. Und die könne die Gemeinde nicht allein aufbringen, erklärt Gideon Joffe. Deshalb hoffe er, dass die Gemeinde dafür Förderer und Spender gewinnt. Die Auszeichnung durch die Vereinten Nationen könnte dabei helfen.

Dass die Gemeinde für ihre Vorhaben Unterstützung erhält, wünscht ihr auch Christiane Paulus. Sie ist die Leiterin der Naturschutzabteilung im Bundesumweltministerium und Jurymitglied bei der Projektauswahl zur „UN-Dekade biologische Vielfalt“. „Auf diesem Friedhof wird beispielhaft gezeigt, dass dort, wo Menschen beigesetzt wurden, auch wieder Leben gedeihen kann“, sagt sie. Damit die Gemeinde auch einen Plan hat, wie der Friedhof behutsam saniert werden kann, wenn denn des Geld zur Verfügung steht, erarbeiteten die TU-Wissenschaftler ein Leitbild. Im Kern gehen sie davon aus, dass der Jüdische Friedhof Weißensee nicht einheitlich saniert werden sollte. Jeder Bereich müsse, ausgehend von der Situation, gesondert auf Vordermann gebracht werden.

Autor:

Bernd Wähner aus Pankow

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