Kolleginnen und Kollegen auf Zeit
Beim „Schichtwechsel“ tauschten Menschen mit und ohne Behinderung ihre Arbeitsplätze

Beschäftigte von „faktura – Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigung“ und der Feuerwehr bei ihrem „Schichtwechsel“. | Foto: faktura gGmbH
2Bilder
  • Beschäftigte von „faktura – Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigung“ und der Feuerwehr bei ihrem „Schichtwechsel“.
  • Foto: faktura gGmbH
  • hochgeladen von Hendrik Stein

Zum sechsten Mal fand in der vergangenen Woche der „Schichtwechsel“ in Berlin statt. Initiiert und organisiert haben ihn die Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (LAG WfbM) und die Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte (LAG WR). Redaktionsleiter Hendrik Stein sprach mit der Geschäftsführerin der LAG WfbM, Bettina Neuhaus, über diesen besonderen inklusiven Aktionstag.

Warum haben Sie 2017 die Aktion „Schichtwechsel“ ins Leben gerufen?

Bettina Neuhaus: Der Aktionstag ist das Ergebnis einer gemeinsamen Arbeit der 17 Berliner Werkstätten und der Selbstvertretungen der Beschäftigten. Mit dem Aktionstag wollen wir Vorurteile ausräumen, zeigen, welche gute Arbeit Menschen trotz ihrer Beeinträchtigungen leisten, und Einblicke in die Vielfalt der Werkstattarbeit geben. So werden Begegnungen geschaffen, neue Perspektiven erschlossen und die Wahrnehmung voneinander verändert. 540 „Schichtwechsler“ waren 2022 in Berlin unterwegs, seit dem ersten „Schichtwechsel“ 2017 insgesamt 2140 Menschen. Bundesweit beteiligten sich dieses Jahr erstmals fast 100 Werkstätten für behinderte Menschen an der Aktion.

Bettina Neuhaus | Foto: LAG WfbM/TEAM CODE ZERO
  • Bettina Neuhaus
  • Foto: LAG WfbM/TEAM CODE ZERO
  • hochgeladen von Hendrik Stein

Was passiert konkret bei einem „Schichtwechsel“?

Bettina Neuhaus: Menschen mit und ohne Behinderungen tauschen für einen Tag ihren Arbeitsplatz. Es kommen Menschen zu uns in die Werkstätten und arbeiten mit. Es gehen Beschäftigte von uns in die Firmen und arbeiten dort mit. Wir haben Unternehmen angesprochen, ob sie mitmachen wollen, oder Menschen mit und ohne Behinderungen haben sich beworben. Jeder konnte sich aussuchen, welche Arbeit ihn interessiert – in derselben Branche oder mal etwas ganz anderes. In der Werkstatt zeigen unsere Beschäftigten, wie ihre Arbeit funktioniert, lernen die Tauschpartner an und sind „Kolleg:innen für einen Tag“.

Konnten Sie jedem Interessierten aus den Werkstätten Partner vermitteln?

Bettina Neuhaus: Ja, aber nicht immer eins zu eins. In diesem Jahr haben sich 44 Unternehmen an dem Aktionstag beteiligt. Da hatten wir eine Vielfalt von Tätigkeitsfeldern.

Wie vielfältig sind denn die Arbeitsorte, an denen Menschen mit Behinderung am Aktionstag arbeiten?

Bettina Neuhaus: In diesem Jahr tauschten unsere Beschäftigten ihre Arbeitsplätze mit Mitarbeitern aus Hotels, Bibliotheken, Kuchenmanufakturen, Reisebusunternehmen, Buchbindereien, Brillengeschäften und Umzugsunternehmen. Mit dabei waren auch Ordnungsämter, Polizei und Feuerwehr sowie Verwaltungen wie das Büro der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales. Besonders gefreut haben wir uns auch über die Teilnahme von Mercedes-Benz, Hertha BSC, Amazon, Siemens, der Berliner Wasserbetriebe, der BVG und der Hundestaffel der Polizei.

Was möchten Sie bestenfalls in den beteiligten Unternehmen und bei deren Mitarbeitern bewirken?

Bettina Neuhaus: Wir wollen das Miteinander von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung positiv beeinflussen. Unsere Werkstätten sind Vorbilder in Sachen Inklusion in der Arbeitswelt und wirken auf den Arbeitsmarkt. Das gesellschaftliche Verständnis füreinander zu verbessern ist uns da ein großes Anliegen. Zudem wollen wir Netzwerke und Kontakte zu Unternehmen schaffen, die offen sind für inklusive Gedanken.

Wie wichtig ist diese Aktion für die 17 teilnehmenden Berliner Werkstätten?

Bettina Neuhaus: In den Werkstätten gelingt es, alle Menschen nach ihren Fähigkeiten am Arbeitsprozess teilhaben zu lassen. Die Werkstätten sind damit Vorbilder für Inklusion, weil sie Prozesse zergliedern, damit alle mitmachen können. Sie bieten humane Arbeitsplätze, fördern Achtsamkeit und Rücksichtnahme: Der Mensch und seine Fähigkeiten geben den Takt vor, nicht die Arbeit. Zu oft stößt man noch auf Vorurteile, Unwissenheit und veraltete Vorstellungen über Werkstätten und ihre Beschäftigten. Um diese abzubauen, sind Begegnungen entscheidend. Arbeit ist für jeden wichtig, ob mit oder ohne Behinderung. Sie stiftet Identität, schafft soziale Beziehungen, Strukturen und vermittelt Selbstbewusstsein durch das, was man leistet. Beim Aktionstag „Schichtwechsel" können sich Menschen mit und ohne Behinderungen über das verbindende Thema Arbeit kennenlernen.

Gibt es Voraussetzungen, die ein Unternehmen, das sich daran beteiligen möchte, mitbringen muss?

Bettina Neuhaus: Nein, die Unternehmen und ihre Mitarbeiter müssen nur offen und neugierig sein.

Nach dem „Schichtwechsel“ ist vor dem „Schichtwechsel“. Ab wann kann man sich für den nächsten Aktionstag anmelden?

Bettina Neuhaus: Der nächste ist für den 12.Oktober 2023 geplant. Ab sofort können sich Firmen und Mitarbeitende dafür per E-Mail schichtwechsel@wfbm-berlin.de registrieren.

Beschäftigte von „faktura – Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigung“ und der Feuerwehr bei ihrem „Schichtwechsel“. | Foto: faktura gGmbH
Bettina Neuhaus | Foto: LAG WfbM/TEAM CODE ZERO
Autor:

Hendrik Stein aus Weißensee

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

12 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Team von Optik an der Zeile freut sich auf Ihren Besuch. | Foto: privat

Optik an der Zeile
16. Brillenmesse vom 5. bis 7. Dezember 2024

40 Jahre Augenoptik-Tradition im Märkischen Viertel, das feiern wir immer noch in diesem Jahr 2024. Feiern Sie mit uns und profitieren Sie von unseren Jubiläumsangeboten. Kommen Sie zu uns und staunen Sie über die Vielfalt der Angebote. Anlässlich unserer 16. Brillenmesse vom 5. bis 7. Dezember 2024 bieten wir Ihnen die gesamte Kollektion namhafter Designer. Sie können aus einer riesigen Auswahl Ihre Brille finden. Mit vielen schönen Brillengestellen und den Brillengläsern von Essilor und...

  • Märkisches Viertel
  • 13.11.24
  • 556× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 842× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wie Sie Rückenschmerzen durch fortschrittliche Behandlungskonzepte in den Griff bekommen, erfahren Sie am 3. Dezember. | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Ihre Optionen bei Beschwerden
Moderne Therapien an der Lendenwirbelsäule

Um "Moderne Therapien an der Lendenwirbelsäule – Ihre Optionen bei Beschwerden" geht es beim Patienteninformationsabend am Dienstag, 3. Dezember. Rückenschmerzen, Ischias-Beschwerden und Bewegungseinschränkungen im Bereich der Lendenwirbelsäule gehören zu den häufigsten orthopädischen Problemen. An diesem Infoabend erhalten Sie Einblicke in aktuelle Therapiemöglichkeiten und fortschrittliche Behandlungskonzepte. Unser Wirbelsäulenspezialist Tim Rumler-von Rüden erklärt, wie moderne Technologien...

  • Reinickendorf
  • 07.11.24
  • 819× gelesen
  • 1
WirtschaftAnzeige
Für rund 105.000 Haushalte im Bezirk Lichtenberg baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom
2 Bilder

Telekom macht's möglich
Schnelles Glasfasernetz für Lichtenberg

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes im Bezirk Lichtenberg auf Hochtouren. Damit können rund 105.000 Haushalte und Unternehmen in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Karlshorst, Lichtenberg und Rummelsburg einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Schnell sein lohnt sich Wer jetzt einen Glasfaser-Tarif bei der Telekom beauftragt, gehört...

  • Bezirk Lichtenberg
  • 30.10.24
  • 1.197× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.