Die Zeit war reif: Acht Jahre wurde über die Würdigung Kuczynskis diskutiert
Weißensee. Die Grünfläche an der Pistoriusstraße und Woelckpromenade, unmittelbar neben dem Frei-Zeit-Haus und dem Kreuzpfuhl, heißt jetzt Jürgen-Kuczynski-Park.
Die Namensgebung führte der für Grünflächen zuständige Stadtentwicklungsstadtrat Jens-Holger Kirchner (Bündnis 90/Die Grünen) vor wenigen Tagen durch. Selten war eine Namensgebung in Pankow so gut besucht wie diese. Über 100 frühere Weggefährten, Freunde und Schüler Kuczynskis, Pankower Heimatforscher, Bezirkspolitiker und Bürger kamen.
Die Diskussion um die Frage, wie Professor Jürgen Kuczynski (1904-1997) in Weißensee geehrt werden sollte, dauerte acht Jahre lang. Der Mathematik-Professor Günter Bärwolff trug 2007 den Vorschlag an die Pankower Bezirkspolitik heran, die Grünfläche am Kreuzpfuhl nach dem berühmten Wirtschaftswissenschaftler zu benennen.
Eine Initiative unterstützte die Idee. Denn die letzte Wohnadresse des Wissenschaftlers befand sich in der Parkstraße 94 in Weißensee. Dort wohnte Kuczynski von 1950 bis zu seinem Tode 1997.
Dann gab es allerdings in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) den Antrag, den südlichen Antonplatz nach Kuczynski zu benennen. Daraufhin entbrannte eine kontroverse Diskussion. Der Lebenslauf des Wissenschaftlers erschien manchen Verordneten dafür nicht geeignet. Trotzdem verständigte sich die Mehrheit des Kulturausschusses seinerzeit darauf. Einen entsprechenden Beschluss fasste im Dezember 2009 auch das Bezirksamt.
Schillernd, aber nicht unumstritten
Wenige Wochen später sprach sich die damalige BVV mit knapper Mehrheit gegen diese Platzbenennung aus. Die Verordneten sahen Kuczynski zwar als eine schillernde, aber auch nicht unumstrittene Persönlichkeit der deutschen Zeitgeschichte. Deshalb sollte er an anderer Stelle in Weißensee gewürdigt werden. Grundsätzlich befürworteten alle Fraktionen die Benennung eines Platzes, eines Parks oder einer Straße, allerdings müsse auch eine Infotafel aufgestellt werden, auf der das Leben und Wirken Kuczynskis ausgewogen dargestellt wird.
Doch dann gab es kaum Bewegung in der Sache. Im Frühjahr 2014 machte Kulturstadtrat Torsten Kühne (CDU) die BVV darauf aufmerksam, dass es trotz Beschluss immer noch keine Empfehlung gab, welche Fläche oder Straße nach Kuczynski benannt werden sollte. Daraufhin kam man wieder auf die Grünfläche am Kreuzpfuhl zurück.
„Wahrscheinlich musste Zeit vergehen, um eine neue Sicht auch auf widersprüchliche Biografien aus der DDR-Zeit zu bekommen“, resümiert Stadtrat Kirchner. Dass dann noch einmal ein ganzes Jahr verging, ehe der Park nun wirklich offiziell benannt werden konnte, liegt jedoch in erster Linie an Verwaltungsvorschriften. Zudem war eine mit der Gedenktafelkommission des Bezirks und der Kuczynski-Initiative abgestimmte Informationstafel zu erarbeiten, die jetzt im Park steht. Schließlich schuf der Künstler Harald Kretzschmar in dieser Zeit die Gedenktafel aus Bronze, die am Giebel des Frei-Zeit-Hauses angebracht wurde.
„Linientreuer Dissident“
Der weltbekannte Wissenschaftler Jürgen Kuczynski studierte Philosophie, Statistik und Politökonomie in Erlangen, Berlin und Heidelberg. 1930 trat der junge Wissenschaftler in die KPD ein, musste dann aber 1936 Nazi-Deutschland verlassen. Er ging nach England. Dort wurde er vom amerikanischen Geheimdienst OSS angeworben. Später arbeitete er für die US-Army im Rang eines Colonels. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er 1945 Präsident der Zentralverwaltung für Finanzen in der sowjetischen Besatzungszone.
Schon immer war er ein „linientreuer Dissident“, wie er sich selbst einmal bezeichnete. Immer wieder wurde er darum auch aus Ämtern abberufen. Jürgen Kuczynski ließ sich aber nicht beirren. Er war nicht nur einer der prominentesten, sondern auch der produktivste Wirtschaftswissenschaftler der DDR. Er veröffentlichte etwa 40 000 Publikationen.
Zur Park-Benennung kam übrigens auch Thomas Kuczynski, der 1944 in London geborene Sohn des Wirtschaftswissenschaftlers. Ihn interessierte am Tag der Parkbenennung vor allem, was auf der Informationstafel über die Person seines Vaters steht. Als er den Text gelesen hatte, sagte er kurz: „Das ist so in Ordnung.“ BW
Autor:Bernd Wähner aus Pankow |
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