Uhlandstraße von Berliner bis Wilhelmsaue – Teil 1
Zeitung, Druckerei, Verlag
Seit 2015 wird das Gesicht der Uhlandstraße rund um die Kreuzung mit der Berliner Straße zum zweiten Mal seit 1945 beträchtlich umgestaltet. Darauf geht der einleitende Abschnitt dieses ersten Teils kurz ein, um dann hier und in einem folgenden Beitrag an zwei Beispielen den Zustand bis Kriegsende darzustellen.
Rund um die Kreuzung von Uhland- und Berliner Straße wird es wieder eng, und das nicht nur am Straßenrand, sondern auch auf den Freiflächen hinter der Randbebauung, so etwa gegenüber der Post hinter Uhlandstraße 106-111, wo zwei Wohnhäuser im Bau sind. Das Pendel ist in der Stadtplanung seit den Zeiten des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit weit ins Gegenteil geschlagen: Wollte man damals, trotz Wohnungmangels, die dichte Bebauung der Vorkriegszeit nicht wiederholen, so findet heutzutage „Kapitalverwertung um jeden Preis“ statt, wie eine Anwohnerin anmerkt – ‚Nachverdichtung‘ genannt und im Widerspruch zu jeder Warnung vor Hitzeinseln (siehe die Karte hier).
An der Kreuzung selbst fing es mit der Südostecke an. Für die Errichtung eines Gebäudes mit Eigentumswohnungen wurde ein Haus mit preiswertem Wohnraum (Berliner Straße 137) abgerissen, nachdem man es jahrelang hatte leerstehen lassen. Jetzt ist die Nordostecke dran, wo sich eine Zeile von Imbissen bis zur Fechnerstraße hinzog – seit Monaten entmietet und in den letzten Wochen ‚ausgeschlachtet‘. Zu dem Areal des zukünftigen „UhlandHouse" gehören auch das italienische Restaurant Ecke Fechnerstraße, das jedoch einen Mietvertrag bis 2029 hat, und Fechnerstraße 7, wo preiswerter Wohnraum bereit seit über zwei Jahren ebenfalls leersteht (Abb. 2). Hier soll eine „nachhaltige Stadtreparatur“ stattfinden (O. Schruoffeneger/Grünpartei, Pressemitteilung als damaliger Bezirksbaustadtrat, 7.12.2021). Da sich der schmale Grundstücksstreifen von Uhlandstraße 104 und 105 für den Investor nicht ‚rechnet‘, hat derselbe Stadtrat ihm die Überbauung des Gehweges (zwei Entwürfe mit Blick von NW und von SW), also eines öffentlichen Verkehrsweges, gestattet, was er zuvor schriftlich ausdrücklich „ausgeschlossen“ hatte. (Die Darstellung folgt dem wöchentlichen Newsletter des Tagesspiegel vom 23.12.2021.)
Mit Kriegsende war auf der SO-Ecke der Kreuzung auch das Ende einer im Westen Berlins vielgelesenen Zeitung gekommen, und seit 1969 erinnert – nach der ersten großen Umgestaltung durch den autogerechten Ausbau von Uhland- und Berliner Straße – nichts mehr an das dortige Verlags- und Druckhaus; dazu im folgenden der erste Teil.
Wilmersdorfer Zeitungen bis 1920
Schon Anfang der 1890er Jahre hatte Hans Heenemann versucht, mit dem Wilmersdorfer Lokalanzeiger im dörflichen Wilmersdorf eine Zeitung zu gründen. Sie erschien zweimal wöchentlich, hatte 380 Abonnenten und wurde nach wenigen Monaten aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt.
Sein zweiter Anlauf war im Herbst 1901, kam aber zu spät, weil just in diesem Moment die erste Ausgabe der Wilmersdorfer Nachrichten erschien.
Fünf Jahre danach – Wilmersdorf hatte im April 1906 das Stadtrecht erhalten und hieß nun offiziell Deutsch-Wilmersdorf –, wurde Heenemann dann doch noch Zeitungsverleger, als ihm im September diesen Jahres die Übernahme der Wilmersdorfer Zeitung angeboten wurde, wie die Wilmersdorfer Nachrichten seit 1905 hießen. Ab 1907 erschien die Wilmersdorfer Zeitung täglich und war amtliches Publikationsorgan u.a. der Wilmersdorfer Behörden. Von 1908 an entstand die Zeitung im eigenen Betrieb in der Uhlandstraße 102 (Abb. 1). Als Wilmersdorf seinen Namen 1912 in Berlin-Wilmersdorf änderte, folgte Heenemann dem, indem er seine Zeitung in Berlin-Wilmersdorfer Zeitung umbenannte; zu dieser Zeit hatte das Familienunternehmen 40 Beschäftigte und die Zeitung 2.500 Abonnenten.
Von Groß-Berlin bis Zweiter Weltkrieg
1920 wurde Groß-Berlin geschaffen, mit Wilmersdorf als einem der Bezirke. Dies war erneut Anlaß, die Zeitung umzubenennen, bei gleichzeitiger Einverleibung einiger umliegender Lokalblätter; sie hieß jetzt Der Berliner Westen. Verlag und Druckerei zusammen beschäftigten Anfang der 1920er Jahre etwa 100 Arbeiter und Angestellte. Trotz der täglich verkauften 30.000 Exemplare war aus dem Vorstadtblatt keine Konkurrenz zu den großen innerstädtischen Zeitungen geworden.
1930 übernahm sein Sohn die Leitung des Unternehmens. Er führte die bisher konservative Zeitung im nationalsozialistischen Sinn weiter. Kurz vor Kriegsbeginn, um 1938, erschien die Zeitung, die seit 1933 schlicht Der Westen hieß, siebenmal die Woche; außerdem druckte man 27 Zeitschriften, davon einige im eigenen Verlag. Etwa 200 Mitarbeiter arbeiteten im Zwei- oder Dreischichtbetrieb für den Verlag und die Druckerei (Uhlandstraße 101 und Wilhelmsaue 21-23), die jetzt auch über eine vollautomatische Binderei mit einer Kapazität von monatlich 1 Million Zeitschriften und Broschüren verfügte.
Zweiter Weltkrieg: Ende der Zeitung
Der Zweite Weltkrieg hatte Auswirkungen auf Zeitung, Beschäftigte und Gebäude. Die Zeitung erschien zunächst weiter, aber aufgrund der kurz nach Kriegsbeginn verfügten Papiereinsparung nur noch auf sechs Seiten. Im Herbst 1944, als die Niederlage sich zunehmend abzeichnete, verfügte die Regierung eine letzte von mehreren Zeitungsstillegungsaktionen, durch die Der Westen zu einer „Kriegsgemeinschaft“ mit drei weiteren Blättern der westlichen Bezirke verschmolzen wurde, die West-Berlin hieß und einen Umfang von täglich vier Seiten hatte (ab März 1945 nur noch zwei). Ihre letzte Ausgabe datierte vom 18.4.1945.
Der Krieg wirkte sich auch auf die Belegschaft aus. Durch Einberufungen verringerte sie sich im Laufe des Krieges zunehmend. Zwangsarbeiter aus u.a. Frankreich und Estland konnten das Fachpersonal nur schwer ersetzen.
Die Gebäude scheinen am besten weggekommen zu sein: Zwar richteten Luftangriffe im Juli und November 1943 einige Schäden an und brannten am 16.2.1944 in der Maschinensetzerei zwei Stockwerke aus; aber als beim sehr schweren Angriff vom 3.2.1945 alle großen Druckereien in der Reichshauptstadt zerstört wurden, blieb dieser Betrieb verschont. Das vorrangige Druckerzeugnis waren jetzt Lebensmittelkarten. Zu Kriegsende war das Unternehmen eine der wenigen großen Druckereien der Reichshauptstadt, die noch in Betrieb waren.
Besatzungszeit und Wiedererstehen von Verlag und Druckerei
Das Ende kam im Juni 1945, als die sowjetische Besatzungsmacht zunächst die Papierrollen abtransportierte und dann die komplette Maschinerie demontierte und in die vom Deutschen Reich verwüstete Sowjetunion brachte. Im Monat darauf beschlagnahmte die britische Besatzungsmacht die leeren Räume und richteten ihre eigene Druckerei dort ein, die GHQ Printing Press (Abb. 3).
Im Frühjahr 1946 durfte Heenemann wieder einen Verlag gründen und eine Druckerei betreiben. Beides war zunächst in dem kleinen Haus Wilhelmsaue 22 angesiedelt und erhielt nach und nach Räume in Uhlandstraße 102, bis Anfang 1952 das ganze Haus von der britischen Druckerei geräumt war. In der Folgezeit ging es mit dem Betrieb rasant voran; zu den Druckkunden gehörten bald Verlage wie Walter de Gruyter, Westermann und Cornelsen, auch wieder das Bezirksamt, dazu der Germanische Lloyd und besonders die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Mit der Wiederbelebung der Zeitung hatte es nach Kriegsende jedoch nicht wieder geklappt.
Stadtplaner, Politiker schlagen dem Individualverkehr eine Bresche: Ende
Was im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde, fiel vielerorts in den 60er Jahren dem Umbau Westberlins zur autogerechten Stadt unter Senator R. Schwedler (SPD) zum Opfer. So kam 1969 das Ende dieses Betriebs an dieser Stelle, als die Uhlandstraße zur Mecklenburgischen Straße verlängert und auf doppelte Breite gebracht wurde. Zu diesem Zweck wurden die Gebäude auf ihrer Ostseite und bis in die Wilhelmsaue hinein, die alle den Krieg überstanden hatten, enteignet und abgerissen (Abb. 4). Der Betrieb Heenemann zog hoch entschädigt nach Schöneberg.
Dieser Text ist die stark gekürzte Fassung von „Straßen und Plätze: Wilhelmsaue Ecke Uhlandstraße – Zeitung und Druckerei“. Dort finden sich Quellenhinweise und umfangreiches historisches Bildmaterial.
Autor:Michael Roeder aus Wilmersdorf |
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