Der unvergessene Theatermacher: Freie Volksbühne würdigt Erwin Piscator mit Ausstellung
Wilmersdorf. 50 Jahre nach dem Tod ihres früheren Intendanten erinnert sich die Freie Volksbühne Berlin mit einer Sonderschau an sein Wirken. Erwin Piscator prägte den Theaterbetrieb in zwei verschiedenen Epochen. Und erst jetzt zeigt sich: Er schrieb auch Gedichte.
Es gibt Menschen, über die man immer reden wird, wie weit der Nachruf auch zurückliegt. Und im Fall der Freien Volksbühne und Erwin Piscator ist der Redebedarf sowieso ein besonderer.
Der Verein und der Regisseur, mal revolutionierten sie das Theater gemeinsam, mal stritten sie energisch gegeneinander an. Der "Volksbühnenkrach" im Jahre 1927 nach dem Eingreifen des Vorstands in Piscators Aufführung von „Gewitter über Gottland“, das war der absolute Tiefpunkt. Aber davor und danach gab es unvergessene Höhen.
Und nachdem Frank-Rüdiger Berger, der stellvertretende Vorsitzende, 2015 eine Schau zum 125-jährigen Geburtstag des Vereins kuratierte, durchforstete er die Archive nun erneut, widmete sich diesmal Piscators Persönlichkeit in allen Facetten.
Gedichte an den Generalsekretär
„Natürlich können wir keinen Total-Piscator leisten“, bremst er die Erwartungen. „Aber seine Beziehung zur Volksbühne haben wir gründlich beleuchtet.“ Und so findet sich zu jeder Inszenierung des Altmeisters an den Schautafeln zumindest ein Besetzungszettel. Von der Bewerbung um einen Posten bei der Volksbühne bis zu seinem Nachruf reicht die Bandbreite der Funde. Eine Überraschung hielten Bergers Recherchen dann in lyrischer Hinsicht parat. Man entdeckte tatsächlich Gedichte an Generalsekretär Siegfried Nestriepke – seinen alten Rivalen in Kreisen des Vereins. Und der dichtete sogar zurück. „Dass diese beiden Antagonisten sich poetische Texte schrieben, stimmte mich erst einmal fassungslos“, sagt Berger.
Regisseur, Theaterleiter, Theaterpädagoge – Erwin Piscator hinterließ in mehreren Rollen bleibende Spuren, revolutionierte in den 20er-Jahren das politische Theater und brach in den 60ern das gesellschaftliche Schweigen über die Gräueltaten der Nazizeit.
Genaues Hinsehen lohnt sich im Foyer. Hier hält die Ausstellung einen Nachbau des halbrunden Bühnenmodells von Piscators „Rasputin“-Aufführung bereit. Es ermöglichte damals eine Art Effektgewitter, „eine Multi-Media-Show der 20er-Jahre“, wie Berger meint. „Die Sinne des Zuschauers wurden förmlich bombardiert“, bestätigt Professor Erika Fischer-Lichte von der FU Berlin als Kennerin der damaligen Standards. Politischer und ästhetischer Anspruch – Piscator setzte in zweierlei Hinsicht auf schockartige Neuerungen. Experimentierfreude, die heute selbstverständlich erscheint, räumt Fischer-Lichte ein. Damals war sie ein Wagnis. tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.