Erleuchtung in Etappen: Im Shinnyo-Center befolgen Stressgeplagte Buddhas Lehren
Ein Stuhlkreis auf dem hellen, weichen Teppich. Und in der Mitte unser Übungsleiter. Ein Priester, der die Gäste dieses Abends mit fast schüchterner Freude willkommen heißt. Andreas Fiol. Klingt nicht sonderlich japanisch - und in der Tat handelt es sich um einen Hanseaten. Aber dass Fiol daheim in Hamburg weilt, ist eine Seltenheit, befindet er sich doch die meiste Zeit auf Reisen im Dienste des Shinnyo-En, einer buddhistischen Glaubensrichtung, die vor 2500 Jahren ihren Anfang nahm.
Dies ist das Shinnyo-Center Berlin. Eine schlichte Bürohausetage hoch über der tosenden Kreuzung von Joachimsthaler Straße und Kurfürstendamm. Der Großstadtstress muss gar nicht draußen bleiben. "Bringen Sie Ihre Gedanken ruhig mit", ermuntert uns Fiol. Was ihn selbst umtreibt, gibt der Priester gleich bekannt: Der Germanwings-Absturz in den französischen Alpen macht ihn als Vielflieger tief betroffen.
Shinnyo-En will beim Loslassen helfen, Weisheit herbeiführen nach den Lehren Buddhas. Der Schlüssel dazu: die Meditation. Unsere Augen werden wir nun nach innen richten, um dort etwas Gutes zu erfahren. In drei Stufen versucht Fiol, Verspannungen zu lösen, nimmt das, was gerade in der Welt geschieht, als Ansatz zur Selbsterkenntnis. Der Flugzeugabsturz, das ist auch für mich das Weltereignis des Abends. Aber bei Stufe eins geht es um etwas anderes: zur Ruhe kommen. Fiol lässt uns die Augen schließen. In typischer Gebetshaltung mit ineinander gelegten Händen folgen wir seiner Stimme, richten alle Aufmerksamkeit auf den eigenen Atem. Ein kurzer Gongschlag holt uns nach wenigen Minuten zurück. Aber in Phase eins gelangt man auch nicht weit weg vom Hier und Jetzt: "Wenn Sie das gleich beim ersten Mal schaffen, wäre das übermenschlich."
Echte Erleuchtung, versichert Fiol, ist schwerer zu erlangen als Reichtum. Also heißt es üben, am besten unter kundiger Führung. 200 Aktive versuchen das im Shinnyo-Center Berlin. In Hamburg und München ist die Gemeinde schon größer. Dort gibt es ganze Tempel.
Als Novizen beim offenen Gebet begeben wir uns jetzt in Stufe zwei: Wieder treffen sich die Augenlider, wieder geben wir uns der Stille hin, hören leise Anweisungen, riechen den Weihrauch, der hinter dem Priester Wölkchen bildet. Diesmal sollen wir uns im Geiste an einen Ort unserer Wahl begeben.
Und ich sitze wieder an Bord des Flugzeugs, das mich vor einigen Wochen von Barcelona nach Berlin trug, nur einige Tage vor der Katastrophe. Die Ereignisse haben meine Urlaubserinnerungen überschattet. Ich denke mehr ans Fliegen als an die Reise. Nun versuche ich diese Gedanken von außen zu betrachten, auf Empfehlung von Fiol. Ein Sinkflug beginnt, aber ein gewollter. Wie der vorgestellte Airbus in meinen Gedanken, so senkt sich auch mein geistiger Bug in tiefere Bewusstseinsschichten. Der Abstieg soll kontrolliert gelingen, mit Vertrauen in "die da vorne". Es sind friedliche Momente, und ich sehe mich selbst von außen Richtung Erde sacken - bis der Gong erklingt.
Und nach kurzer Pause schließlich Phase drei. Wieder besuchen wir den besonderen Ort, wieder als Zeugen der eigenen Gedanken. Diesmal ist eine Person dabei, die wir in unser Gebet mit einschließen sollen. Beim Beten Dankbarkeit verspüren, das ist das Ziel. Dankbar bin ich an diesem Abend geworden. Dafür, dass der Sinkflug mit Wunschperson gelingt. Und ich kann mich an meine Barcelona-Reise jetzt tatsächlich etwas entspannter erinnern. Ein bisschen Erleuchtung.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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