Integration ohne Worte: Kommunale Galerie lässt Flüchtlinge malen
Wilmersdorf. Was hieß Heimat vor der Flucht? Was bedeutet Heimat heute? Unter der Anleitung von Kunsttherapeutin Michaela Seliger verarbeiten junge Asylbewerber ihre Eindrücke auf malerische Weise. Und nun fertigten sie ein sieben Meter langes Gemeinschaftsgemälde.
Um das ganze Werk auszurollen, dafür braucht es viel Platz. Selbst in der Kommunale Galerie muss man eine Ausstellungsfläche von diesen Ausmaßen erst suchen. Das „Palimpsest“, es ist ein langes Band der Erinnerungen, so vielschichtig bemalt, dass es mehrere Minuten braucht, um sich das Werk als Ganzes zu erschließen. Dutzende Schöpfer legten hier Hand an. Keine ausgebildeten Maler, sondern Flüchtlinge aus der Notunterkunft am Fehrbelliner Platz. Menschen von nebenan.
Bedrückende Bilder
„Open Creative Space for Refugees“ heißt das wöchentliche Miteinander von Kommunaler Galerie und Heimbewohnern, angeleitet von Kunsttherapeutin Michaela Seliger. Und neben dem gewaltigen „Palimpsest“, das ausgerollt den gesamten Flur des Kunsthauses einnimmt, malen die Flüchtlinge auch handlichere Werke, mal heiter, manchmal bedrückend.
Das Eindringlichste von allen: das Bild eines Bootes auf hoher See, voll von Reisenden auf dem Weg über das Mittelmeer. Auf vorsichtige Nachfrage erfuhr Seliger von einem Mädchen, dass die dunklen Objekte vor dem Bug keine Fische sind, sondern von Bord gespülte Menschen. Wo Worte den ausgestandenen Albtraum nicht richtig ausdrücken können, da gelingt es Bildern. „Nonverbales Aufarbeiten von Gefühlen stärkt die Psyche“, weiß die Therapeutin. Nach diesem Prinzip entfaltet Kunst ihre heilsame Wirkung. Jeden Mittwoch- und Donnerstagnachmittag löst eine Besuchergruppe aus dem früheren Rathaus genau das ein, was sich die Projekterfinder erhofften.
Bei einem Kongress im vergangenen November kam Seliger mit Elke von der Lieth, der Galerieleiterin, ins Gespräch. Und beide bemerkten schnell, dass die Kompetenz, der Ort und das Thema ein Vorhaben zum Wohle von Flüchtlingen geradezu herausfordern. Und als Gegengewicht zu Bildern von Bootsunglücken gibt es die Reihe „Lieblingsort“.
Dabei sind Künstler wie der 25-jährige Sayed dazu aufgerufen, jene Plätze zu präsentieren, mit denen sie damals angenehme Gefühle verbanden. Und eine Entsprechung in Berlin. Prompt malt Sayed den Fernsehturm am Alexanderplatz, widmet seine volle Aufmerksamkeit der rot-weißen Antenne, dann den ebenmäßigen Fenstern des benachbarten Hotels. Auch in seiner afghanischen Heimat gibt es Städte mit solchen Türmen, berichtet Sayed. „Aber ihnen fehlt die Kugel.“
Engagierter Freundeskreis
Dass eine fruchtbare „Kulturnachbarschaft“ zwischen der Kommunalen Galerie und der Flüchtlingsunterkunft am Fehrbelliner Platz zustande kam, ist auch ein Verdienst ihres Freundeskreises. Und dessen Gründer Stefan Evers glaubt daran, dass die Galerie in Sachen Nachbarschaftsarbeit den gleichen Stellenwert erreichen kann, wie sie ihn für die örtliche Kulturszene schon innehat.
„Wir haben zum Jahresbeginn den Beitritt des 50. Mitglied gefeiert“, berichtet Evers. Und neben dem Mitgliedsbeitrag entrichten die meisten Anhänger zusätzlich Spenden.
Unterstützung für den Freundeskreis heißt: Liebe zur Kunst. Und Hilfe für Flüchtlinge von nebenan. tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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