Temporäre Ausstellung "Wandelism" begeistert Besucher
Es ist einfach großartig, was entstehen kann, wenn Berlins Street Art Künstler von der Leine gelassen werden. Das Projekt "Wandelism" liefert den Beleg, es schlug ein wie eine Bombe. Tausende Freunde der Kunst fluteten die alte Autowerkstatt an der Wilhelmsaue, die nun abgerissen wird.
Die Idee, in einer dem Ende geweihten Immobilie innerhalb kürzester Zeit eine Galerie auf Zeit aus dem Boden zu stampfen und dabei nur eine Regel zu befolgen, nämlich die, dass es keine gibt, zeugt von einem hohen Maß an Kreativität. Dann braucht es noch besagtes Gebäude, in diesem Fall stellte der Berliner Projektentwickler Diamona & Harnisch dem Zusammenschluss vieler Initiatoren kostenlos den gewünschten Freiraum zur Verfügung. Den Rest erledigen dann die Frauen und Männer, die sonst wenig Platz zur Entfaltung finden: Graffiti-Sprayer, Tape-Artists und Designer eigenwilliger Installationen.
Skelett mit Spraydose
47 Tage hatten sie Zeit für ihre temporäre "Urban Street Art". Und sie haben sich auf den 2000 Quadratmetern richtig ausgetobt. Ein verunfallter Jeep wurde zum Pärchen-Autokino umfunktioniert, von den Wänden prangen herrliche Graffiti, über einer in der Mitte geknickten und zur Decke ragenden Stretch-Limousine hängt ein Skelett mit gewaltigen Flügeln – mit der Spraydose in der Hand offenbar bereit für die nächste "Schandtat".
Wie solche einmaligen Kunstwerke entstehen, schildert einer der Organisatoren, Moritz Tonn: "Steve hat gesagt, werft mal die leeren Farbdosen hier auf den Haufen, ich mach’ da was draus. Was, wusste er selber noch nicht." Ein mannshohes giftgrünes Chamäleon ist es geworden, "Steve" bastelte quasi ein Sinnbild für das, was "Wandelism" auch ausmacht: sich beim Schaffen den örtlichen Gegebenheiten anpassen.
Der Weg durch das kleine Treppenhaus hinauf in den ersten Stock kündet von der nächsten Sparte: Kalligraphie, sehr beeindruckend. Eine dicke Stellungnahme gegen das Establishment könnte die "Toy Crew" verfasst haben. Sie verbarrikadierten einen Raum mit Fenster, versahen ihn mit Dauerbeleuchtung und ließen ihn gänzlich unberührt. "Wir kommen da nicht rein", sagt Tonn und grinst. "Was die Künstler aussagen möchten, bleibt ihr Geheimnis. Möglicherweise wollten sie sagen: Seht her! Raum für Street-Art gäbe es genug in Berlin, man hat bloß keinen Zugang dazu. Ist aber reine Interpretationssache."
Gegen jegliche Konventionen
Überhaupt stehe "Wandelism" nicht nur für die stetige Veränderung Berlins, sondern sei auch ein Projekt gegen jegliche Konventionen. "Es gab durchaus Kritik daran, dass wir die Ausstellung nicht kuratiert haben, dass die einzelnen Werke angeblich nicht zueinander passen würden. Aber hätten wir das gemacht, wäre es doch nach unserem Geschmack geschehen. Und mal ganz ehrlich: Wen interessiert denn der?", fragt Tonn. Den Großteil der Besucher erfreute genau das Unkonventionelle an der Ausstellung. Die Begeisterung war groß und in den Augen all derer abzulesen, die an der großen feuerspeienden Spraydose am Eingang vorbei in die alte Werkstatt kamen. Am ersten Wochenende waren es 5000, mit 4000 hatten die Organisatoren gerechnet. Werktags war der Andrang ebenfalls unerwartet groß. "Die Schlange reichte teilweise über den Hof bis zur Straße", berichtet Tonn.
Die eingenommenen Spenden – der Eintritt ist frei – verwendet das Kollektiv für soziale Zwecke. In diesem Fall soll die Fassade der AWO-Kita Kinderwald in einem Workshop verschönert werden. Zusätzliches Geld kommt durch eine spontane Aktion einem zweiten Projekt zugute. Künstler erklärten sich bereit, ausrangierte Solarpanele zu gestalten. Die Werke können ersteigert werden.
Durch einen Kniff bleibt übrigens ein wenig der temporären Street Art doch erhalten: An manchen Stellen integrierten Graffiti-Sprayer Leinwände in ihre Werke. Diese "Splitter" des Gesamtbildes standen zum Verkauf. "Was hier passiert, ist einfach großartig", sagt Tonn und lobt die vielen Unterstützer, die das Projekt zum Erfolg geführt hätten. "Besonders Alexander Wolf vom Netztwerk Außergewöhnlich Berlin hat uns unglaublich geholfen."
BER zum größten Kunstpark der Welt machen
Tonn muss los. "Wir sehen uns eine weitere Abrissimmobilie für Wandelism an", sagt er. Die Zwischennutzung der alten Autowerkstatt soll keine Eintagsfliege sein, die Innenstadt für die Subkultur zurückerobert werden. Etwas provokant und mit einem Augenzwinkern meldeteten die Veranstalter kürzlich, auch den Flughafen BER vor dem von der Lufthansa prognostizierten Abriss gerne zum größten Kunstpark der Welt machen zu wollen. Für völlig abwegig hält Tonn das nicht: "Wir würden auf jeden Fall fertig werden", sagt er und lacht.
Verlängert bis Ostersonnabend
Wegen des großen Erfolgs wird "Wandelism" verlängert! Bis Ostersonnabend kann man die Ausstellung täglich von 12 bis 22 Uhr kostenlos besichtigen.
Autor:Matthias Vogel aus Charlottenburg |
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