Ein gutes „Pflaster“ für Literaten
Viele Schriftsteller waren in Wilmersdorf einst zu Hause
Fragt man heute in Wilmersdorf, ob es sich dort gut leben ließe, wird man oft hören: „Ich würde nicht freiwillig wegziehen.“ Dass dies auch einmal für viele Schriftsteller gegolten haben muss, zeigen die vielen Erinnerungstafeln, die an die hier vor allem in der Weimarer Republik wohnenden Literaten erinnern sollen. Machen wir uns also einmal auf eine Spurensuche ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Bertolt Brecht, heute vor allem mit dem früheren Ostteil Berlins in Verbindung gebracht, übersiedelte nach der Trennung von Ehefrau Marianne Zoff 1924 von München nach Berlin, wo er zusammen mit seiner späteren Ehefrau Helene Weigel Quartier in der Spichernstraße 16 nahm. Seit 1989 erinnert eine Berliner Gedenktafel an den Mann, der dort die „Dreigroschenoper" geschrieben hat.
Keinen Kilometer Fußweg entfernt hatte Brechts Zeitgenosse Egon Erwin Kisch in der Güntzelstraße 3 „einige Jahre lang“ (Gedenktafel) eine Bleibe gefunden, bis der „rasende Reporter“ symbolträchtig am 30. Januar 1933 auszog, von den am selben Tag an die Macht gekommenen Nazis verhaftet wurde, auf Intervention der tschechischen Regierung freikam und ausreisen konnte.
Etwa zeitgleich – von 1927 bis 1929 – finden wir einen anderen Großen der Literatur „um die Ecke“, was aber dann doch zehn Minuten Fußweg bedeutet hätte: Erich Kästner wohnte in der Prager Straße 17 (heute etwa 12), wo sein „Emil und die Detektive" 1929 das Licht der Welt erblickten.
Dicht beim in jüngster Zeit durch den dortigen Thai-Food-Markt bekannten Preußenpark verläuft die Wittelsbacher Straße, an der gleich zwei Schriftsteller ihr zeitweiliges Zuhause gefunden hatten: in Haus Nummer 3a von 1930 bis 33 Ernst Toller, in der Nummer 5 Erich Paul Remark, Künstlername Erich Maria Remarque, der dort bis 1929 blieb. Während Toller, Dramatiker und führender Kopf der Münchner Räterepublik 1919, dem Theaterinteressierten durch sein „Hoppla, wir leben!“ noch bekannt sein dürfte, mit dem Erwin Piscator seine Bühne am Nollendorfplatz 1927 eröffnete, war Remarque ursprünglich eher bürgerlich orientiert – und schrieb für eine Sportzeitung des Hugenberg-Konzerns. Jüngere kennen vor allem die kürzliche Verfilmung seines Romans „Im Westen nichts Neues". Beiden aber, Toller wie Remarque, war aufgrund eigener Erfahrung die Ablehnung von Krieg und der Hass seitens der Nazis gemeinsam.
Wer sich auf die Suche nach namhaften Schriftstellern in Wilmersdorf begibt, wird ebenso über Mascha Kaléko in der Meierottostraße 7 (um 1933) und den Verfasser des „Untertanen“, Heinrich Mann, in der Fasanenstraße 61 (1932 bis 33) „stolpern“ wie über Anna Seghers („Das siebte Kreuz“), die von 1928 bis 33 die Helmstedter Straße 24 ihr Heim nennen konnte, bevor sie als linke Jüdin über mehrere Zwischenstationen nach Mexiko fliehen musste.
Sicher muss dann auch der Name Vladimir Nabokovs fallen, der einer vor der Oktoberrevolution geflohenen wohlhabenden Aristokratenfamilie entstammt und den man heute noch vor allem wegen seines Romans „Lolita" kennt. Der Autor, Literaturwissenschaftler und renommierter Schmetterlingsforscher (Historisches Lexikon der Schweiz) lebte mit seiner jüdischen Ehefrau Véra in Halensee in der Nestorstraße 22, bis er zu ihrem Schutz vor den Nazis 1937 Wilmersdorf den Rücken in Richtung USA kehrte.
Dass es in Wilmersdorf auch Literaten gab, die genau den entgegengesetzten Weg gegangen sind, dafür ist Alexander Graf Stenbock-Fermor, Pseudonym Peter Lorenz, aus der Künstlerkolonie am Südwestkorso ein Beispiel: 1920 als Weißgardist aus dem Baltikum nach Deutschland gekommen, wurde der Schriftsteller, Film- und Hörspielautor Mitglied des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller – und überzeugter Kommunist.
Autor:Uwe Lemm aus Mahlsdorf |
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