120 Jahre Speis und Trank
Der „Auerhahn" in der Wilhelmsaue

Um 1910: Familie Hartmann vor Wilhelmsaue 8 (Postkarte)
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120 Jahre alt wird das Haus Wilhelmsaue 8 in diesem Jahr – und genauso lange gibt es dort eine Gaststätte. Heute heißt sie Zum Auerhahn*, ist eine Kneipe, und ihr Wirt hat einiges zu erzählen.

Der Auerhahn in der Wilhelmsaue 8 ist bei weitem nicht die älteste Gaststätte in Wilmersdorf, da gab es schon viel früher welche, zum Beispiel den Dorfkrug. Der befand sich an der Stelle, wo dann Ende des 19. Jahrhunderts ein Grundstück geteilt und Wilhelmsaue 111 und 111a erbaut wurden. Aber der Auerhahn ist die am längsten ununterbrochen betriebene Gaststätte in Wilmersdorf, die es bis heute noch gibt. Ihr Anfang war vor 120 Jahren, als 1902 das Haus errichtet wurde. Von Zeit zu Zeit änderte sich allerdings der Name, angefangen mit Restaurant Franz Hartmann (siehe Abbildung) bis zur Aue, wie das Lokal vor seiner Umbenennung in Auerhahn im Jahr 1997 hieß.

Wie der Wirt vom Auerhahn zum Wirt wurde

Daß es die Gaststätte immer noch gibt, verdankt sich nicht zuletzt einem unerfreulichen Erlebnis, das der Wirt des Auerhahns vor 25 Jahren hatte. „Bis dahin war ich bloß Kneipengänger. Wirt wollte ich nie werden, obwohl ich durch meinen Beruf als Automatenaufsteller viele Kneipen hätte haben können. Damals also wollte ich mal einem Freund helfen, der diese Kneipe hier übernehmen wollte, und habe gegenüber der Brauerei für ihn gebürgt. Nach einem Jahr war der Freund weg, er hinterließ den Schüssel im Briefkasten und einen Stapel unbezahlter Rechnungen.“ Auf diese Weise wurde er also zum Wirt, indem er die Schulden abarbeitete und seitdem fünfundzwanzig Jahre lang weitermachte.
Wenn er mal aus Altersgründen aufhören sollte, der Wirt vom Auerhahn zu sein, und nach einem passenden Nachfolger suchen sollte, hätte er auf alle Fälle eine Bedingung: „Eine Traditionskneipe soll es jedenfalls bleiben.“ Das ist auch die Vorstellung des Eigentümers der Gaststätte, eines der Hausbewohner; selbst kaufen wollte er seine Kneipe nicht, als vor acht Jahren das Haus in Wohneigentum aufgeteilt wurde. Daß es aber auch ganz anders kommen könnte, weiß der Wirt des Auerhahns, der seit 50 Jahren für eine westdeutsche Firma Spielautomaten in Kneipen und Spielhallen aufstellt. Seit 2011 geht das Land Berlin nämlich gegen Spielhallen an jeder Ecke vor und hat beispielsweise in den letzten beiden Jahren 360 geschlossen. Im Gegenzug sind Interessenten im Gange, „bestehende Kneipen zu übernehmen und sie zu 24-Stunden-Läden zu machen, um Geld zu machen mit den zwei Spielautomaten, die es in jeder Gaststätte geben darf. Das bringt natürlich ein ganz anderes Publikum als bisher.“

Familienkneipe

Der Auerhahn ist eine Raucherkneipe wie viele andere auch noch. „Dafür gibt es bestimmt Kriterien: mindestens 70 m² und keine Speisen im Angebot.“ Der Auerhahn ist auch brauereifrei. „Das ist heute normal. Wer sich bindet, legt sich eine Schlinge um den Hals. Man muß die von der Brauerei vorgegebenen Preise akzeptieren, und wenn man die festgelegte Biermenge nicht erreicht hat, kommt man in den Malus und kriegt sogar noch Geld abgezogen.“
Und die Gäste? „Ganze Familien kamen und haben sich hier wohlgefühlt. Aber jetzt sind schon viele weggestorben. Die Blasmusiker der Auenkirche, sechs bis acht Mann hoch, hatten hier ihren wöchentlichen Treff, und bisweilen war auch ihr damaliger Leiter dabei, der viel zu früh verstorben ist. Skatgruppen gab es, mit Frauen.“ Und es gab eine Dart-Gruppe. Der Wirt vom Auerhahn nennt weitere Stammkunden. Einer unter ihnen war gelegentlich der Schauspieler Andreas Schmidt, der sogar hier im Haus wohnte. Er wird noch manchen in Erinnerung sein als der Lkw-Fahrer Ronald aus dem Film „Sommer vorm Balkon“ oder als Horst Krauses bester Kumpel, der Gänsebauer Schlunzke, in der „Krause“-Fernsehfilmreihe im Ersten.
Damals in den 90er Jahren, als er die Kneipe übernahm, ging schon allmählich die Hochzeit der Kneipen zuende – „eine Zeit, in der schon ab 9 Uhr morgens geöffnet war und die Leute in Zweier- und Dreierreihen an der Theke standen und kein Durchkommen war, um ein neues Bier zu kriegen. Als die Videotheken aufkamen, haben sich die Leute stapelweise Kassetten ausgeliehen und zu Hause angesehen und gingen nicht mehr in die Kneipe. Nach dem zweiten Film hatten die oft schon vergessen, worüber der erste gewesen war. Dann kamen die CDs und jetzt Streamen.“

In der letzten Zeit

Die Corona-Zeit seit März 2020 hat auch den Auerhahn schwer getroffen. „Schon zweimal mußten wir ganz schließen, das erste Mal für fünf Monate, das zweite Mal für sieben. Ältere, die zuckerkrank sind oder so, haben Angst vor einer Ansteckung und kommen lieber nicht. Und jetzt also 2G+.“ Früher gab es Angestellte, die hinterm Tresen standen, aber das ist nicht mehr drin. Und es gab lange Zeit sogar Schwierigkeiten, im Sommer draußen Tische aufstellen zu dürfen, um in der Abendsonne zu sitzen, die dann die Wilhelmsaue entlang scheint. „Ganze Aktenordner wurden damit gefüllt, bis es mit der Erlaubnis endlich klappte. Wegen Corona sind jetzt sogar Tische auf dem Unterstreifen direkt an der Straße erlaubt.“ In dem Zusammenhang hat der Wirt vom Auerhahn noch einen Vorschlag zur Verbesserung der Verkehrssituation in der Straße: „Wie wäre es, endlich mal den dauernden Durchgangsverkehr durch die Wilhelmsaue mit seinem Lärm durch das Kopfsteinpflaster zu unterbinden? Man könnte zum Beispiel hier durch zwei Holzinseln die Fahrbahn so weit verengen, daß nur noch ein Auto gleichzeitig durch kommt.“

*  täglich ab 17 Uhr; Tel. 864 23 590

Autor:

Michael Roeder aus Wilmersdorf

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