Manfred Maurenbrecher besingt den Rüdesheimer Platz
Zwei Dackel wackeln über wellige Platten aus Granit, ziehen zwei Damen an langen Leinen vorbei am lindgrünen Toilettenhäuschen. Ungeschminkt sind die Gesichter, reich geblümt die Kleider. Mädchenhaft hallt ihr Lachen. Und nebenan beim Biobäcker nippt Manfred Maurenbrecher an seinem Kaffee, blickt mit Kenneraugen auf den Rüdi. Seinen Platz. Das Paradies.
Ja, das ist noch eine Lebenswelt, aus der die Einheimischen nicht vertrieben sind. Ein gutbürgerlicher Flecken mit gemächlichem Tempo und heimeliger Stimmung. Maurenbrecher, der schon als Kind dieses Idyll genoss, lehnt sich zurück und sinniert. "Hier ist es einfach freiräumiger, lässiger, grüner als in der Innenstadt - aber ich fürchte, dass es nicht mehr lange so bleibt." Vom möglichen Verlust des Paradieses - auch davon handelt er, sein Song "Paradies Rüdi". Und die Eroberung durch Zuzügler wird wahrscheinlicher mit dem Votum des "New York Times"-Korrespondenten Joshua Hammer. Um eine der schönsten Stadtlagen Europas soll es sich bei der Rüdesheimer Straße handeln. Um einen Ort, der Berlin im Jahre 2015 verkörpert und als charakterstarke "Urban Oasis" Beachtung verdient. Die Überraschung darüber war groß. Nur nicht bei Maurenbrecher.
Beachtung wird der Kiez mit seinen von Paul Jatzow kreierten Gründerzeitbauten im englischen Landhausstil erhalten, da hat der Liedermacher und promovierte Germanist keine Zweifel. "Junge Leute wollen ja immer etwas Neues entdecken. Sie werden Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln satt haben. Und irgendwann auf diese Ecke stoßen." Auf seine Ecke.
"Dieser Platz im Südwesten unserer Stadt gehört zum besten und geheimsten, was sie hat, Bürgersinn geriet zur Tat." So heißt es in Maurenbrechers Hymne. Ob zur Tat geratener Bürgersinn das ist, was die Jugend will? Ob sie den Duft von Stiefmütterchen wertschätzen lernt und im Angesicht der frisch sanierten Siegfried-Statue an Weingläsern nippt?
Der Wein, die Jugend, der Lärm. Es soll Anwohner geben, die sich an dieser Trias stören. Sonderlinge, die Klage führen gegen den Ausschank der Winzer beim Rheingauer Weinbrunnen, der just in diesen Tagen wieder begann. "Sollen Sie doch aufs Land ziehen", sagt der Sänger, weist mit der Hand stadtauswärts. "In Brandenburg stehen halbe Dörfer leer."
Eben diese Traditionsveranstaltung war es auch, die Maurenbrecher zur Dichtung des Liedes bewog. "Ich saß nachts im Sommer da und dachte: Was für ein lauschiges Fest." Der kleine Rüdi als Metapher auf das große Europa - das ist der Gedanke, der den Sänger umtreibt. Diese Oase des Geordneten, die zu wackeln beginnt angesichts von hereinbrechenden Flüchtlingsströmen. "Es wäre doch aber furchtbar", sagt Maurenbrecher, "wenn man sich dagegen abschotten will." "Bürger an Tischen, die ihre Krümel selbst abwischen", brummt er in "Paradies Rüdi". Ordnung halten in einer heilen Welt, die um sich scharfe Grenzen zieht.
Was er als Songwriter vom journalistischen Lobgesang in der New York Times hält? "Ich kann Herrn Hammer schon verstehen", heißt es als Antwort. "Ich würde den Leuten auch etwas ans Herz legen, was noch nicht alle kennen. Und nicht die olle Friedrichstraße." Wenn Manfred Maurenbrecher einen Ort in New York benennen müsste, den er anderen empfiehlt, wäre das Brooklyn Heights. "Dort zu sein, das habe ich genossen", erinnert sich das Wilmersdorf Urgestein. "Und ich bilde mir ein, dass ich dort Yoko Ono beim Joggen sah." Am Rüdesheimer Platz, so viel steht fest, sind die Frauen keineswegs so prominent. Und sie lassen sich nicht hetzen. Nicht einmal, wenn der Dackel an der Leine zerrt.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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