Die „Schlange“: So funktioniert das Projekt „Nachbarn für Nachbarn“
Wilmersdorf. Es ist ein Kiez auf 14 Etagen. Doch obwohl die Autobahnüberbauung an der Schlangenbader Straße 3000 Menschen in einem Gebäude beherbergt, brauchte das Gemeinschaftsgefühl erst eine Gruppe Engagierter zum Anschub. Und die suchen jetzt nach Verstärkung.
Irgendwo dort drinnen rasen zwei Blechkolonnen – eine in die Stadt, eine aus der Stadt. Mitten durch diese pastellfarbene Betonburg führt eine Autobahn. Doch vor den Haustüren des Degewo-Wohnkomplexes an der Schlangenbader Straße: Stille.
Vielleicht ein wenig zu viel Ruhe, dachte sich Eberhard Reinacher. Und gründete vor knapp drei Jahren eine Initiative, die der schleichenden Entfremdung Einhalt gebieten soll. „Nachbarn für Nachbarn“ heißt Reinachers loser Zusammenschluss aus engagierten Bewohnern mit Sinn für sozialen Zeitvertreib. Mag die „Schlange“ vor 20 Jahren einmal sozialer Brennpunkt gewesen sein – heute heißen die Hauptprobleme Vereinsamung und Anonymität.
Im Vergleich zur Kleinstadt
„Orte dieser Größenordnung haben sonst eine eigene Feuerwehr und einen Geschichtsverein“, zieht Reinacher den Vergleich zur Kleinstadt. „Aber als ich hier herzog, merkte ich schnell, dass es an Freizeitaktivitäten fehlt.“ Nach monatelanger Beratung mit der Degewo war klar: Die neue Initiative bekommt kostenlos zwei Räume gestellt, die sie mit anderen Bewohnern bespielen darf. 50 Aktive finden sich seitdem beim Projekt „Nachbarn für Nachbarn“ Terminen wöchentlich zusammen, entdecken zum Beispiel bei Anna Hüppel ihre künstlerischen Ader, gehen mit Reinachers Frau Edith auf Wanderschaft oder polieren ihre Englischkenntnisse im Kreis von Renate Tabi.
Besondere Voraussetzungen muss niemand erfüllen, vielmehr gilt überall das Prinzip, das Hüppel in ihrer Künstlergruppe pflegt: „Es funktioniert alles learning by doing.“ Und Tabi schlägt mit ihren Englischsprechern ein Tempo an, so dass jeder versteht, warum Oscar Wildes Kurzgeschichten so berühmt sind. Unterschiede im Wissensstand? „No problem!“
Eberhard Reinacher, einstmals als Coach aktiv gewesen, leitet selbst eine Gruppe für Fotografen. Und feilt außerdem an seinem Sonderprojekt: dem „Schlange“-Buch. Allein das Hauptgebäude streckt sich auf 600 Meter Länge. Und in den über 1700 Wohnungen leben zum Teil noch Mieter der ersten Stunde. Von 1976 bis 1980 erbaut, gilt die Konstruktion bis heute als eines der größten durchgängigen Gebäude dieses Kontinents. Dass hier Geschichten schlafen, liegt auf der Hand. tsc
Die Initiative „Nachbarn für Nachbarn“ sucht neue Teilnehmer für bestehende und neue Gruppen, gerne auch jüngere Semester. Einblick in das kostenlose Angebot und die Möglichkeit zur Anmeldung findet man entweder vor Ort in der Bücherstube, Schlangenbader Straße 22, Dienstag 11 bis 13 Uhr oder Freitag 17 bis 19 Uhr – oder im Internet unter www.nachbarn-schlange.de.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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