Erzbischof eröffnet Saison in der Caritas-Wärmestube
Wilmersdorf. Offene Türen für Hungrige, ein Ohr für ihre Sorgen, ein Essen, das nährt und nichts kostet: In der Wärmestube der Caritas speisen jetzt wieder täglich knapp 100 Gäste. Und zur Eröffnung trafen sie sogar Erzbischof Heiner Koch. Fünfter Teil der Serie „Unser Kiez – Rund um den Bundesplatz“.
Die Medien, die Politiker, das System. „Sie sind schuld“, wettert ein Mann mit grauen, zauseligen Haaren. Seine Hände beschreiben eine raumgreifende Geste, die bedeuten soll, dass andere verantwortlich seien für sein Leid. „Möchten Sie etwas Süßes?“ fragt der Mann auf der anderen Seite des Tresens. Und der kleine Wutanfall des Grauhaarigen bricht ab, klingt so schnell wieder ab wie er zum Vorschein kam.
Etwas Süßes, das weiß Dieter, ist die beste Medizin gegen den Weltschmerz. In seinen zehn Jahren als freiwilliger Helfer der Caritas-Wärmestube am Bundesplatz hat er unzählige Hungrige milde gestimmt. Menschen, die in Kummer oder allumfassende Wut verfallen, weil jeder Griff ins Portemonnaie wohl bedacht sein will.
Im Leben gescheitert
Wer die Aufgebrachten zur Ruhe bringt, erfährt auch etwas über die Gründe. Er hört von Schicksalsschlägen, Pech und einschneidenden Ereignissen, wegen denen Männer und Frauen anstehen für ein kostenloses Essen. Zur Eröffnung der Wärmestube in dieser Wintersaison sind es noch nicht so viele wie zum Monatsende kommen werden. Denn die Bedürftigkeit wächst zwangsläufig, wenn der Kontostand schmilzt.
„Meine Krebserkrankung hat mich arm gemacht“, brummt ein Herr mit Augenringen. Ein anderer verlor aus heiterem Himmel seinen Job, der nächste verfing sich in Schulden, viele verfielen dem Suff. Wer Geduld beweist, hört von unsteten Lebenswegen und verworrenen Familiengeschichten.
Denn Essen macht gesprächig. Und ins Sprechen kommen – das ist in der Wärmestube fast ebenso wichtig wie das Sattwerden.
Also hat sich zur Saisoneröffnung jemand unter das Volk gemischt, der etwas von den Sorgen der Gäste wissen will. Heiner Koch, seines Zeichens Erzbischof von Berlin, geht von Tisch zu Tisch, wo die Menschen ihm antworten, während sie die erste vollwertige Malzeit des Tages verschlingen: "Woher stammen Sie? Seit wann kommen Sie hierher? Und wie oft?"
Koch fragt und horcht. Manche antworten schmallippig, andere freimütig. „Ich komme eigentlich nur zum Quatschen“, verrät eine Dame namens Rosa. „Drüben im Seniorenheim war zu.“ Rosa erscheint regelmäßig, weil sie sich nur an wenigen Orten in der Stadt so geachtet fühlt. „Die Tische sind ordentlich gedeckt und die Menschen freundlich.“
Dies gilt ausnahmslos für die rund 30 ehrenamtlichen Helfer. Nicht immer jedoch für die Herrschaften an den Tischen. „Ich kann es verstehen, wenn der Hunger groß ist“, zeigt Renate, eine besonders lang gediente Freiwillige, Verständnis für gelegentliche Grobheiten. Umso rührender erschien ihr da ein Augenblick, der typisch ist für ein Gefühlt der Dankbarkeit, das bisher immer den Missmut überwog. „Einmal“, erinnert sich Renate, „da ist ein Mann aufgestanden und hat sich bei uns für die aufgebrachte Stimmung der anderen entschuldigt.“
Manchmal bleibt der Andrang überschaubar. Und manchmal wird der Vorrat an Speisen knapp. Mit Geld der Caritas, des Bezirksamts und privaten Spenden will das Führungsteam um Karlheinz Schülke hier so viele Teller bestücken wie nötig. Und wenn der Teller leer sein sollte und weitere Esser im Anmarsch sind? Dann wird man höflich gebeten, zu gehen.
Spenden sind gefragt
Auch Heiner Koch wendet sich, nachdem er an fast allen Tischen gesessen hat, zum Ausgang, da fährt Dieter am Tresen den Nachtisch auf: Vanillesauce – so lange der Vorrat reicht. Süßes in konzentrierter Form. Etwas Wirksameres gegen Weltschmerz wurde noch nicht erfunden. tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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