"Nur unterbringen ist zu wenig": Wohlfahrtsverband will Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik

Die Politik muss mehr leisten als Flüchtlinge in leeren Häusern einzuquartieren, meinen Experten. | Foto: Schubert
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Wilmersdorf. Wer hilft beim Behördengang? Wie beendet man das quälende Nichtstun? Wo behandelt man das Trauma? Flüchtlinge in Berlin können sich auf eine Vielzahl von Hilfsprojekten verlassen. Sie wiederum erhalten Beistand vom Paritätischen Wohlfahrtsverband - der am liebsten das ganze System ändern möchte.

Reagieren, ja, darin sind sie stark. Sie müssen es sein. Denn jede Flüchtlingswelle schlägt zu ihnen durch. Hilfsorganisationen sind das Rückgrat, auf dem das ganze System zum Umgang mit Asylbewerbern in diesen Tagen balanciert. Wenn die Integration von Geflüchteten in den Alltag der deutschen Hauptstadt gelingt, dann ist es im Wesentlichen der Verdienst von Einrichtungen mit starkem ehrenamtlichem Unterbau, wie sie der Paritätische Wohlfahrtsverband mit Sitz in Wilmersdorf unterstützt, finanziell und ideell.

"Aus politischer Sicht dreht sich derzeit alles nur um die Unterbringung. Und das ist zu wenig", kritisiert Barbara John als Vorsitzende des Verbands in Berlin. Integration dürfe nicht länger auf körperliche Obhut beschränkt bleiben. "Flüchtlinge", fordert John, "müssen in ihrer Umgebung ein Gesicht bekommen. Das bedeutet Ankommen und ist das beste Mittel gegen Fremdenhass."

Was Organisationen mit Hilfe des Paritätischen Wohlfahrtsverbands derzeit leisten, stellte man nun schlaglichtartig vor. 310 000 Euro kommen derzeit 30 Projekten zugute. Weitere 100 000 Euro sind so gut wie bewilligt. Am Tisch saßen Menschen, die Flüchtlinge in Arbeit bringen wollen - wie Barbara Meyer von der "Schlesischen 27". Menschen, die ihnen Behördengänge begreiflich machen - wie Britta Marschke von den Flüchtlingslotsen in Spandau. Und solche, die ihnen durch Freizeitaktivitäten Ablenkung verschaffen - wie Karsten Hein von der Alice-Salomon-Hochschule in Hellersdorf. Allesamt Helfer, die ihre Leidenschaft vorantreibt - und der Ärger über ein System, das ihnen Steine in den Weg legt anstatt ihn zu glätten.

"Spätere Generationen werden uns fragen, warum wir so wenig getan haben", mahnt zum Beispiel Dietrich Koch. Mit dem Behandlungszentrum Xenion kümmert er sich um unzählige traumatisierte Flüchtlinge. Und vermittelt jährlich etwa 100 von ihnen in Therapieangebote - doch der echte Bedarf wäre um ein Vielfaches höher. "Unser Kampf gegen die Behörden ist das Schlimme", sagt Koch. "Die Traumaverarbeitung ist daneben einfach." Heilen, was andere verbrochen haben, hält er für eine Gesellschaftsaufgabe, eines der wichtigsten Themen unserer Zeit.

Dass ein Grund für Vertreibung in der sexuellen Orientierung liegt, möchte Marcel de Groot von der Schwulenberatung Berlin ins Bewusstsein rufen. Doch die Tortour von Homosexuellen gehe in den Berliner Heimen weiter. Nach dem Outen werde man von Zimmer zu Zimmer geschoben, sei ähnlichen Spannungen ausgesetzt wie bei religiös bedingten Fluchten.

Kursänderungen braucht es aus Sicht von Barbara John auf allen Ebenen. Angefangen von den Todesfallen an den Außengrenzen Europas bis hin ins Lokale. So könnte sich John etwa eine Zusammenarbeit mit der Berliner Presse vorstellen, die über klassische Berichterstattung hinausgeht: Denn es fehlt in den Heimen an verständlichen, redaktionell aufbereiteten Broschüren. Mag sein, dass Asylbewerber telefonisch mit ihren Familien in Kontakt bleiben. Aber vom Informationsfluss in Deutschland sind sie abgeschnitten. Niemand macht sich die Mühe, Nachrichten in ihre Sprachen zu übersetzen. Doch auch Flüchtlinge, glaubt John, könnten Leser sein.

Thomas Schubert / tsc
Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

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