Geruchlos ruht der Fennsee
Durch weltweit patentiertes Verfahren wurden Bakterien auf „Nitratatmung“ umgestellt
Dichte Bäume beschatten die Uferwege des Fennsees in Wilmersdorf. Inmitten der Stadt bieten sie den zahlreichen Spaziergängern einen ruhigen Aufenthaltsort. Doch seit Jahren geht gerade in der warmen Jahreszeit vom östlichen Teil des Sees ein fürchterlicher Gestank aus. Grund dafür sind Faulgase, die durch Zersetzungsprozesse innerhalb des Gewässers entstehen. „Entstanden“ müsste es eigentlich heißen, denn im zurückliegenden Sommer blieb die Luft an dem Gewässer erstmals rein.
Grund dafür war die Anwendung eines Patents des Ingenieurbüros Wassmann aus Borgsdorf. Basierend auf dem Einsatz von flüssigem Nitrat und Sauerstoff sorgte die neue Methode dafür, dass Besucher am Fennsee erstmals ohne Naserümpfen spazieren gehen konnten.
Eine Mitarbeiterin des bezirklichen Umwelt- und Naturschutzamtes war auf die Stützungsmaßnahmen am Schäfersee in Reinickendorf aufmerksam geworden, wo eine vom Ingenieurbüro Wassmann entwickelte und weltweit patentierte Methode zur Anwendung kam. Die Mitarbeiterin hat bewirkt, dass das „Schäfersee-Verfahren“ in angepasster Form seit Mai 2024 auch im Fennsee zur Verbesserung der Wasserqualität und Verhinderung der Bildung von Faulgasen genutzt wird. Die gesamte Anlage wird vom Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf und vom Senat finanziert. Die Kosten der Steuerungs- und Koordinationsleistungen für den Anlagenbetrieb und für den Hilfsstoffs Calciumnitrat werden im Rahmen eines Forschungsprojektes getragen, das von Bundesforschungsministerium in der Sparte KMU-innovativ (KMU steht für Kleine und Mittlere Unternehmen; Anm. d. Red.) gefördert wird. Nach Ende des Forschungsprojektes wird der Bezirk für die gesamte Maßnahme alle anfallenden Unterhaltungskosten übernehmen.
Hartmut Wassmann, studierter Landschaftsplaner mit Schwerpunkt Gewässerschutz, hat das Verfahren entwickelt. Gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Dr. Roman Klemz, von Haus aus Molekularbiologe, erläutert er das Verfahren und erklärt die Ursachen für die Geruchsentwicklung: „Außerhalb des Kernbereichs von Berlin wird Abwasser im sogenannten Trennsystem behandelt: Alles Abwasser wird über eigene Schmutzwasserkanäle zum Klärwerk geführt, Regenwasser direkt zum Beispiel in den Fennsee“, erläuterte Hartmut Wassmann. Man sei bis in die 1980er-Jahre davon ausgegangen, dass Regenwasser dafür sauber genug und somit unschädlich sei. Erst seitdem sei unstrittig bekannt, dass das zu Schäden in den Gewässern führe, denn je mehr Stadtflächen versiegelt seien, desto mehr würden Schmutzstoffe von Straßen, Laub, Staub und andere Stoffe in die Kanalisation gespült und landeten im See. „Diese in den See gelangenden Schmutzstoffe werden von Bakterien zersetzt. Dazu brauchen sie viel Sauerstoff, der sich in gelöster Form im Wasser befindet. Wenn der Sauerstoff verbraucht ist, erstickten nicht nur die Fische, sondern es bildeten sich aufgrund anaerober Prozesse der Bakterien Faulgase wie zum Beispiel Schwefelwasserstoff, die zu dem Gestank führten.“
Denkbar seien verschiedene Wege, um das zu verhindern. Einer wäre, dem See Sauerstoff zuzuführen, aber der wäre in kürzester Zeit wieder von den Bakterien verbraucht und würde zudem in dem erforderlichen Maße über eine technische Belüftungsanlage kaum zur Verfügung zu stellen sein. Eine andere theoretische Möglichkeit wäre, die Entwässerung auf ein Mischsystem umzustellen, bei dem alle Abwasserarten zum Klärwerk gepumpt würden. Eine solche Umstellung wäre jedoch unbezahlbar teuer und würde dem Fennsee zudem Wasser entziehen. Oder die Abflüsse aus dem Einzugsgebiet des Fennsees, etwa 600 Hektar versiegeltes Straßenland, müssten so gewässerverträglich gesäubert werden, dass der Regen keine Schmutzstoffe mehr in die Kanalisation schwemmen könne. „Das wäre die ‚Heilung‘ der Ursache, ist aber auch nicht machbar. Was wir mit unserer Methode anbieten, ist eine ‚Stützung‘ des Fennsees, also die Arbeit am Symptom, das heißt an den schädlichen Auswirkungen der Regenwassereinleitung. Wir machen uns die Tatsache zunutze, dass Bakterien verschiedene Möglichkeiten des Stoffwechsels nutzen können. Sie ziehen zwar Sauerstoff vor, können bei dessen Fehlen aber auch Nitrat oder Sulfat für den Stoffwechsel nutzen. Die Sulfatatmung soll vermieden werden, weil sie zu Schwefelwasserstoff und damit zu dem Gestank führt. Um also die Nitratatmung zu aktivieren, geben wir flüssiges Nitrat in den Fennsee und bringen gleichzeitig mithilfe eines Jet-Belüfters Sauerstoff ins Wasser. Durch die gleichzeitige Zufuhr erreichen wir eine verstärkte bakterielle Abbautätigkeit ohne Fäulnisprozesse“, erklärt der Molekularbiologe Roman Klemz. Am Ende werde bei dem Prozess gasförmiger Stickstoff freigesetzt, der in die Atmosphäre gelange. Die Atmosphäre besteht natürlicherweise zu 78 Prozent aus gasförmigem Stickstoff.
Die Frage sei natürlich, wieviel Nitrat dem See guttue, denn im Fall von Oberflächengewässern diene das Nitrat nicht nur den Bakterien zur Atmung, sondern könne möglicherweise bei Überdosierung zur Überdüngung und Massenvermehrung von Algen führen. „Dies ist beim Fennsee definitiv nicht der Fall. Um es sicherzustellen, werden die Prozesse im See online und rund um die Uhr überwacht. Mit den erhobenen Daten wird gleichzeitig die Prozesssteuerung ermöglicht. Unsere augenblickliche Forschungs- und Entwicklungstätigkeit in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Berlin dient der Optimierung der Steuerung. Eine wichtige Frage dabei ist, mit welch möglichst geringer Menge an Nitrat die möglichst größte Wirkung erzielt werden kann“, so Wassmann.
Aufgrund der Erfolge am Schäfersee, am Fennsee und an weiteren Orten in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gebe es inzwischen auch Interesse aus dem Ausland. Ein Besucher von der englischen Umweltbehörde habe sich bereits persönlich am Fennsee über die Anwendungserfolge des Verfahrens informiert, berichtet Wassmann.
Autor:Michael Roeder aus Wilmersdorf |
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