Wilmersdorf sucht seine Mitte: Neue Bürgerini gründet sich
Wilmersdorf. Es war einmal ein Wilmersdorf mit beschaulichem Ortskern, der Sinn stiftete und Identität. Jetzt macht sich eine neue Initiative daran, den Blisse-Kiez zu diesem Zustand zurückzuführen. Und setzt an bei einer Kreuzung, die kostbaren Stadtraum fraß.
Ein altes Kino, das war der Ort für einen Neuanfang. Und wer nicht rechtzeitig erschienen war, um im durchaus geräumigen Vorführraum der Eva-Lichtspiele die Auftaktveranstaltung der Initiative „Wilmersdorfer Mitte“ zu erleben, verfolgte das Geschehen stehend.
Wenn es also nach der Menge an Interessenten geht, muss sich Gastgeber Matthias Reich um die Anfangsphase keine Sorgen machen. Der formale Gründungsakt seiner BI steht erst noch bevor – doch ein erstes konkretes Projekt für den Blisse-Kiez haben alle 400 Zeugen der Versammlung bereits klar vor Augen: die Rückgewinnung des alten Zentrums.
Verkehr eindämmen
Wo sich Mecklenburgische, Blisse- und Uhlandstraße treffen, ist Alt-Wilmersdorf nicht mehr als eine asphaltierte Piste. Könnte man hier nicht durch eine Neuordnung der Verkehrswege verlorenen Raum zurückgewinnen? Könnte man diese Kreuzung, eine graue Narbe im grünen Gürtel des Volksparks Wilmersdorf, nicht heilen?
Reich und seine Mitstreiter halten dies nicht nur für möglich, sondern sogar für nötig. „Viel von der Geschichte des alten Wilmersdorfs liegt unter Asphalt begraben“, bedauert der Initiativen-Gründer. Nur eine Abkehr von der autogerechten Stadt könnte Spielraum für eine menschenfreundliche Zukunft eröffnen. Ein neuer Stadtplatz an der Wilhelmsaue, eine Kappung der Verbindung von Uhlandstraße und Mecklenburgische Straße, ein Zusammenziehen der beiden Teile des Volksparks, eine Beschränkung des Durchgangsverkehrs auf die Blissestraße – das wären die einzelnen Schritte der Operation am Herzen der Stadt.
Und prompt hörte man im Kinosaal Lob von Fürsprechern und Kritik der Bedenkenträger. Ein Gewinn an Lebensqualität an der Wilhelmsaue würde man mit einer Verdrängung des Verkehrs in angrenzende Straßen bezahlen, warnte ein Gast. Den motorisierten Verkehr könne man nicht einfach wegplanen – „wir wünschen ihn uns nicht, aber wir müssen mit ihm umgehen.“
Neue Gewohnheiten lernen
Ob der Ortsteil die Operation am Herzen verkraftet, das wird keine Frage der Straßenführung sein. Diese Ansicht jedenfalls vertritt Oliver Schwedes von der TU Berlin, den die neue Initiative als Redner gewinnen konnte.
„Sie sind es gewohnt, aus einer Perspektive hinter der Windschutzscheibe zu denken“, kommentierte der Professor zur Auftaktveranstaltung die Einwände der Kritiker. Die heutige Jugend werde im Alter „hoch automobil“ sein – schon allein, weil ein Großteil der Frauen anders als früher einen Führerschein besitzt und in Zukunft auch davon Gebrauch macht. Diesen Trend zur Zunahme des motorisierten Verkehrs müsse man rechtzeitig brechen, indem man neue Gewohnheiten einübt.
Wie schwer es sein kann, neue Gewohnheiten einzuüben, erklärte den Gästen Wolfgang Severin als Vorsitzender der bestehenden Initiative Bundesplatz. Seit Jahren kämpft er für Tempo 30 und eine ganz ähnliche Wiederbelebung einer städtischen Oase wie Reich nun an der Wilhelmsaue. Ein Kampf mit bockigen Behörden und Kritikern, die solche Vorhaben belächeln. „Gutsituierte Wilmersdorfer Spießer wollen ihre Vorgärten schöner haben“ – mit solchen Reaktionen müsse man als Vordenker der Verkehrsberuhigung leben.
Über den Tellerrand gucken
Aber so herablassend klingen die Bemerkungen der örtlichen Politiker nun wahrlich nicht. Stefan Evers von der CDU, Franziska Becker von der SPD, Alexander Kaas-Elias von den Grünen – sie alle versuchen schon am Bundesplatz im Sinne der Bürger Kompromisse auszuhandeln. Und melden auch im Fall der Wilmersdorfer Mitte ihre Ambitionen an. Warum es sich lohnt, bei der Forderung nach Verkehrsberuhigung nach links und rechts zu schauen, liegt für Wolfgang Severin auf der Hand. Er verwies darauf, dass es nun überall entlang der Verkehrsachse im Südwesten Berlins, die man als „Carstennsche Figur“ kennt, jetzt starke Initiativen gibt. Warum also nicht gemeinsame Projekte starten? Warum nicht „Vorfahrt für den Volkspark“ verlangen, indem man gemeinsam für einen Tag die Straßen besetzt, die den Park zerschneiden? Solche Unterfangen werden wirkungsvoller mit jedem neuen Zusammenschluss von mutigen Bürgern. tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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