Wilmersdorfer Straßenbahnen rund um die Wilhelmsaue
Einst war die Straßenbahn, neben dem Bus, das wichtigste öffentliche Verkehrsmittel. Noch 1960 gab es in Westberlin erst 160.000 Pkws, also einen auf 11 Einwohner. Dafür gab es aber Pläne, Durchbrüche durch die gewachsene Stadtstruktur zugunsten eines Netzes von Schnellstraßen vorzunehmen, um dem privaten Kfz-Verkehr Vorrang zu verschaffen. Die eklatantesten Beispiele solcher Durchbrüche sind in Wilmersdorf die Verlängerung der Lietzenburger Straße nach Osten über die Augsburger Straße hinaus, die Lewishamstraße samt Tunnel und die Verbindung der Nachod- mit der Hohenstaufenstraße.
Die Umsetzung begann in den frühen 1950er Jahren. Gleichzeitig wurden ab 1953 systematisch die Stadtstraßen von der Straßenbahn befreit (1967 fuhr die letzte in Westberlin) und der Ausbau von U-Bahn und „Stadtautobahn“ forciert. Der damalige Bausenator Rolf Schwedler (SPD) sah darin die Verwirklichung seiner „Vision einer autogerechten Stadt wie Los Angeles“.
Seit einigen Jahren geht es nun in die Gegenrichtung. Vom Osten Berlins aus, wo die Schaffung der autogerechten Stadt nicht die völlige Beseitigung der Straßenbahn einschloß, beginnen sich einzelne Linien in den Westen zu schieben, im Augenblick mit den ortsüblichen Verzögerungen die Linie M10 über den Hauptbahnhof zur Turmstraße, wo dann die U-Bahn nach Wilmersdorf erreicht wäre. Aus diesem Anlaß ein Blick auf die Straßenbahnsituation in und um den Ortskern von Wilmersdorf zwischen 1883 und 1964.
Allerdings sind die folgenden Ausführungen nur ein sehr grober Überblick über die verzwickte Entwicklung des Straßenbahnwesens, und sie gehen insbesondere nicht auf die einzelnen Betreiber der Straßenbahnen, ihre Linien und deren Bezeichnungen ein; all dies befand sich in fortwährender Veränderung.
Die Anfänge bis 1902
Die erste Straßenbahn auf Wilmersdorfer Grund war 1883 eine Pferdeeisenbahn durch die Rankestraße zum Joachimsthalschen Gymnasium am Anfang der Bundesallee. Ab 1886 fuhr eine Dampfstraßenbahn längs des Kurfürstendamms zur Kolonie Grunewald und eine Pferdebahn über die Bundesallee nach Steglitz. Der Ortskern von Wilmersdorf wurde erstmals im Juli 1888 erreicht, als die Dampfstraßenbahn vom Nollendorfplatz nach Schmargendorf eröffnet wurde und eine Streckenführung über Berliner Straße-Mehlitzstraße-Wilhelmsaue- Blissestraße-Mecklenburgische Straße erhielt.
Weitere Linien der verschiedenen Gesellschaften folgten in den nächsten Jahren, so daß 1902 von Haltestellen in Wilhelmsaue, Berliner Straße und Bundesallee aus Ziele wie Bahnhof Zoo, Potsdamer Platz, Spittelmarkt, Lichtenberg, Rheinstraße, Schloßpark Steglitz, Roseneck, Hundekehle, Bahnhof Halensee und Charlottenburg erreicht werden konnten. 1902 ist insofern ein guter Zeitpunkt für eine Zwischenbilanz, da von 1899 bis 1901 sämtliche Strecken elektrifiziert und zweigleisig ausgebaut worden waren. Bei der Gelegenheit (August 1901) wurde der Abschnitt durch die Mehlitzstraße ersetzt durch Fortführung der Gleise auf der Berliner Straße bis zur Blissestraße. Abb. 1 zeigt die Straßen im Bereich des Ortskerns von Wilmersdorf, in denen im Jahr 1902 Schienen verlegt waren.
Zwischen 1902 und 1945
An diesem Streckennetz wurden in den folgenden Jahrzehnten bis zur Einstellung des Straßenbahnbetriebs in Westberlin einige, aber nicht grundlegende Änderungen vorgenommen:
1. Die verwinkelte Streckenführung Uhlandstraße-Gasteiner Straße-Holsteinische Straße (und dann weiter Güntzelstraße-Trautenaustraße-Prager Platz usw.) war eine Folge davon, daß eine konkurrierende Straßenbahngesellschaft bereits die Uhlandstraße befuhr, weswegen auf Nebenstraßen ausgewichen werden mußte. Als 1909 dann die eine Gesellschaft die andere übernahm, wurde der Parallelverkehr in der Holsteinischen Straße eingestellt und die Straßenbahn auf der Güntzelstraße direkt bis zur Uhlandstraße geführt.
2. Die Streckenführung von der Blissestraße über Am Volkspark und Schrammstraße zur Hildegardstraße (auf der Linie Charlottenburg--Bundesplatz) war im Dezember 1902 eröffnet worden. Zwischen 1925 und 1929 wurde sie aufgegeben und stattdessen die Gleise der Hildegardstraße unmittelbar mit denen der Blissestraße verbunden.
3. 1913 wurden die Gleise auf der Berliner Straße über die Kreuzung Blissestraße/Brandenburgische Straße bis zum Hohenzollerndamm verlängert, jedoch 1923 der Verkehr eingestellt, abgesehen von Bedarfsfahrten zum Friedhof Wilmersdorf. Zwischen 1937 und 1941 wurden die Gleise entfernt.
4. Die Haltestelle Wilhelmsaue wurde zwar noch im April 1945 angefahren, aber nach Kriegsende nicht mehr.
Durchgängig fanden jedoch Jahr für Jahr vielfache Linienänderungen statt. Eine ins Auge fallende Neuerung war die Schaffung von Ringlinien, darunter im Mai 1907 der Westring, der Schöneberg (Akazienstraße), Bahnhof Zoo und Wilmersdorf (Uhlandstraße/Berliner Straße) miteinander verband. 1913 kam u.a. der Grunewaldring mit den Eckpunkten Roseneck, Stuttgarter Platz, Mierendorffviertel und Prager Platz hinzu, der über Trautenau- und Uhlandstraße die Berliner Straße erreichte, und der Ring Groß-Berlin, der bei einem ansonsten ähnlichen Verlauf direkt von der Berliner Straße über Brandenburgische und Wilmersdorfer Straße nach Charlottenburg führte.
Im Laufe des Ersten Weltkrieges wurde aus Mangel an Straßenfahrzeugen Post mit der Straßenbahn befördert. Dazu erhielt das Postamt in der Uhlandstraße 1918 einen Gleisanschluß. Dessen Stillegung erfolgte 1925/26; die gesamte Postbeförderung durch die Straßenbahn endete 1935.
Eine Vereinheitlichung des Straßenbahnwesens bewirkte die Gründung der Berliner Straßenbahn AG (BSt), die gleichzeitig mit Groß-Berlin im Jahr 1920 geschaffen wurde. um alle bisherigen privaten und kommunalen Straßenbahngesellschaften zusammenzufassen. 1928 ging sie dann ihrerseits, zusammen mit Bus und U-Bahn, in der BVG auf.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und das Ende
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Straßenbahnverkehr zunächst Schritt für Schritt wiederhergestellt, jedoch wenig später – zwischen 1954 und 1967 – in Westberlin gemäß der Ideologie von der „autogerechten Stadt“ zugunsten von Bus, U-Bahn und besonders Individualverkehr eingestellt. Abb. 2 zeigt das Liniennetz um die Wilhelmsaue im Februar 1953, also direkt vor Beginn der Beseitigung.
Erläuterungen zu Abb. 2:
- Linie 51: Hardenbergstraße--Roseneck, eingestellt 1.5.1957: Uhlandstraße straßenbahnfrei für Bau einer Hauptverkehrsstraße (siehe dazu den jeweils letzten Abschnitt hier und hier)
- Linie 60: Königin-Elisabeth-Straße--Lindenhof, eingestellt1962
- Linie 44: Sandkrugbrücke--Birkbuschallee, eingestellt 1963: Blissestraße straßenbahnfrei für Bau einer Hauptverkehrsstraße und Hildegardstraße straßenbahnfrei
- Linien 77, 78: Bahnhof Zoo--Lichterfelde Süd (1957 neue Linienführung: von Bahnhof Zoo über Martin-Luther-/Grunewald-/Berliner Straße in die Bundesallee; nördliche Bundesallee straßenbahnfrei), eingestellt1963: ganze Bundesallee straßenbahnfrei für Bau einer Hauptverkehrsstraße und einer U-Bahn
- Linie 3: Osloer Straße--Hermannplatz, eingestellt 1.8.1964: Berliner und Brandenburgische Straße straßenbahnfrei für Bau einer Hauptverkehrsstraße und einer U-Bahn.
Die Darstellung stützt sich vor allem auf Christian Winck, Die Straßenbahn im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. 150 Jahre Straßenbahnverkehr in Berlin. 1865-2015, Berlin 2015 [in der Bibliothek Blissestraße: B 905 Strassenbah]. Ergänzende Informationen in Geschichte der Straßenbahn in Berlinund West-Berlin: Von der Blockade bis zur Stilllegung (1948-1967).
Die ungekürzte Fassung dieses Artikels befindet sich im Kiezer Weblog.
Autor:Michael Roeder aus Wilmersdorf |
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