Zum 50-jährigen Jubiläum sitzt beim Weinbrunnen am Rüdi Justizia mit am Tisch
Wilmersdorf. Wein und Wortwechsel, Picknickatmosphäre im Schatten der Siegfried-Statue – seit fünf Jahrzehnten Tradition. Zum runden Geburtstag soll es beim Weinbrunnen am Rüdesheimer Platz nur eine Parole geben: alles wie immer. Dabei ergeht wohl im Sommer ein Urteil. Und macht 2017 zum Schicksalsjahr.
Randvoll hat das Glas zu sein – alles andere bringt Pech. Beim Ausschank an der Bude auf dem Plateau duldet man keine Kompromisse. Wer seinen Wein ohne Malheur zum Tisch transportieren will, muss gleich ein Schlückchen abtrinken.
Guter Tropfen – böses Blut
Beim Rheingauer Weinbrunnen schenken Winzer maximal ein, und das seit Mai 1967. Drei Betriebe, täglicher Ausschank vom Nachmittag bis in den Abend. Ein Kiezsymposion vom Frühling, wenn die Linden blühen, bis in den Herbst, wenn die Blätter über den Bänken langsam welken.
Fast alle Einhemischen lieben diese Tradition, entsprungen aus Solidarität zu West-Berlin und Verbundenheit des Kreises Rheingau-Taunus zu seiner Partnerstadt Wilmersdorf. Weil sich aber ein einzelner Anwohner von diesem Brauch seit einigen Jahren belästigt fühlt und den Streit juristisch austrägt, könnte jeder Jahrgang der letzte sein. Zumindest theoretisch. Einmal schon schmetterte das Verwaltungsgericht Berlin die Lärmklage ab, was aber zur Folge hatte, dass man in nächsthöherer Instanz bald noch einmal prüft.
Ist der Weinbrunnen, vor 50 Jahren völlig unbedenklich, 2017 noch rechtskonform? „Die eingereichte Klage ist noch nicht entscheiden“, erklärt Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD). „Aber wir wissen, dass sich das Richterkollegium des Oberverwaltungsgerichts der Sache noch in dieser Saison annehmen wird." Auch mit einem Ortsbesuch ist dann zu rechnen, was Naumann zu folgender augenzwinkernden Bemerkung inspirierte: „Wenn wir eine auffällige Ansammlung seriös aussehender Damen und Herren sehen sollten, die Richter sein könnten, dann benehmen wir uns besonders gut.“ Im Bezirk macht man um seine Sympathien zum Weinbrunnen keinen Hehl.
Gute Zusammenarbeit
„Man kriegt immer geholfen“, bestätigt in hessischer Mundart Winzer Heinrich Basting das harmonische Auskommen mit den Behörden. Seit einer freiwilligen Verkürzung des Weinbrunnens von 19 auf 15 Wochen und einem Ausschankende täglich um 21.30 Uhr waren zuletzt auch die Richter milde gestimmt. Und man hofft, dass es bei diesem Gleichklang bleibt.
Über alle Parteigrenzen und Interessensgruppen hinweg genießt der Weinbrunnen ein hohes Ansehen, ist Ziel von Familienfeiern, Kiezspaziergängen und neuerdings auch von touristischen Besuchen. „Aus der Treue der Menschen ist tiefe Zuneigung geworden“, deutet Naumann die vorherrschenden Gefühle. Monika Thiemen vom Geschichtsverein Wilmersdorf sieht sogar einen Kultstatus erreicht: „Es ist eine feste Tradition geworden. Die Getränke gibt es vor Ort. Und das Essen bringt man mit – eine wunderbare Kombination.“ Vom Familienpicknick bis zum Hochzeitsbankett ist alles möglich.
Ein Schicksalsjahrgang
Je 36 Tage haben die Weinbetriebe Basting, Abel und Nikolai Zeit, ihre 2016er Tropfen auszuschenken. „Ein hervorragender Jahrgang“, urteilt Winzer Basting. Seine Erzeugnisse sind mit der silberne Preismünze prämiert. Riesling, Weißer oder Später Burgunder? All diese Sorten sind bei Wilmersdorfern ungefähr gleichermaßen beliebt, und werden gern mit Pizza, Knabbereien und Käse genossen. Der 2017er Rheingauer Weinbrunnen will sich nicht anders geben als in den 50 Jahren zuvor. Aber ob gewollt oder nicht: Es wird ein Schicksalsjahrgang zum runden Jubiläum. tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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