Der Höhepunkt in den Höhen von Mexiko-City
Ruderer Rüdiger Henning und sein Olympiasieg vor 50 Jahren
Die Goldfassung auf der Medaille habe sie vor einigen Jahren erneuern lassen, erzählt Ehefrau Erika. Denn das Edelmetall wäre im Laufe der Zeit abgebröckelt. Außerdem sei es frisch geputzt, ergänzt Rüdiger Henning.
Die Auszeichnung für den Olympiasieger glänzt jetzt wieder wie vor 50 Jahren. Am 19. Oktober 1968 wurde sie Rüdiger Henning vom damaligen IOC-Präsidenten Avery Brundage um den Hals gehängt. Als Mitglied des Ruder-Achters, der bei den Spielen in Mexiko-City Gold für die Bundesrepublik Deutschland holte.
Der erste Platz beim größten Sportereignis der Welt sei natürlich der Höhepunkt seiner Karriere gewesen, sagt der Spandauer. Errungen zudem in 2000 Meter Höhe. Aber er würde ihn nicht unbedingt als seinen größten Erfolg bewerten. Den sieht er eher in den Siegen bei Weltmeisterschaften.
Aber Olympiagold überstrahlt natürlich alles andere. Schon die vielen Fotoalben und Ordner, die Rüdiger Henning rund um dieses Ereignis gesammelt hat, zeigen das. Bilder von der nach dem Zieleinlauf völlig erschöpften Crew. Von der Siegerehrung. Von Auftritten im Aktuellen Sportstudio oder beim Empfang des damaligen Regierenden Bürgermeisters Klaus Schütz. Die Auszeichnung als „Mannschaft des Jahres“ bei der Sportlerwahl 1968. Er und seine Kameraden sind damals von einer Veranstaltung zur anderen gereicht worden.
Großes Wiedersehen in Hamburg
Der 50. Jahrestag wird ebenfalls gebührend gefeiert. Die Gold-Ruderer treffen sich am 19. Oktober zunächst in Hamburg. Einen Tag später geht es nach Ratzeburg. Dort wurde ab Mitte der 1960er Jahre der Grundstein für die späteren Erfolge gelegt. Unter der Ägide des legendären Rudertrainers Karl Adam kamen Kandidaten aus der ganzen Republik zusammen, aus denen der Deutschland-Achter entstand. Rüdiger Henning war dort auch nicht der einzige Berliner Vertreter. Sein Vereinskamerad Ulrich Luhn gehörte 1968 ebenfalls zum Aufgebot. Er verletzte sich allerdings vor Mexiko an der Hand.
Rüdiger Henning hat die Liebe zum Bootsport bei der Ruder-Union-Arkona entdeckt. Dort ist jetzt seit 60 Jahren Mitglied, was sein zweites Jubiläum in diesem Jahr bedeutet. Er gerät ins Schwärmen, wenn er vor allem an seine Jugendzeit bei Arkona denkt. Einschließlich Übernachtungen im Bootshaus, was manchmal mit anderen Terminen kollidierte.
Das Volksblatt berichtete 1962
über Rüdiger Henning
Dort wurde sein Talent erkannt und die ersten Siege eingefahren. Sie sorgten auch für mediale Aufmerksamkeit. Den ersten Artikel über den jungen Erfolgsruderer gab es übrigens 1962 im Spandauer Volksblatt.
Eine tolle Kameradschaft habe bei Arkona geherrscht. Sie sei übrigens auch die Grundlage dafür gewesen, dass der Achter in Mexiko auf Goldkurs steuern konnte. „Von der Größe und Stärke waren uns andere Nationen überlegen. Aber wir waren ein eingespieltes Team“, sagt der 1,90 Mann.
An eine Olympiateilnahme oder gar einen Sieg habe er am Anfang seiner Ruderkarriere natürlich nicht gedacht. Wobei er einräumt, dass ihm ein gewisser Ehrgeiz nicht fremd ist. Gepaart aber auch mit dem Glück, dass gerade seine Konstitution in der Bootszusammensetzung gefragt war. So ein Achter sei wie ein Räderwerk, bei dem jede Stellschraube passen müsse.
Dafür die Voraussetzungen mitzubringen, setzte bei jedem einzelnen aber auch großen Eigeneinsatz voraus. Und das zur damaligen Zeit noch als lupenreiner Amateur neben dem Beruf.
Der Gegenwert: Große Erfolge und unvergessene Momente. Letztere, zunächst heiter, dann traurig, auch im Nachklang zu Mexiko, 1972 bei den olympischen Spielen in München.
Minutiös genaue Planung
Auf Anregung von Organisationschef Willi Daume trugen Rüdiger Henning und seine Ruderkameraden die Olympiafahne bei der Eröffnungsfeier ins Stadion und hissten sie. Ein Ablauf, der auf die Sekunde passen musste. Mit dem Ausklingen der Olympiahymne musste die Fahne am Mast hängen. Im Vorfeld wurde das minutiös einstudiert. „Alle paar Meter stand jemand und zeigte uns an, ob wir zu schnell oder zu langsam sind.“
Auch bei der Schlussfeier oblag es den Ruderern, die Flagge wieder einzuholen. Dazwischen lag der Terroranschlag auf die israelische Mannschaft im olympischen Dorf. „An jenem 5. September 1972 war abends eine Ablaufprobe im Stadion angesetzt. Tagsüber machten wir mit anderen Olympiasiegern einen Ausflug nach Berchtesgaden.“ Auf der Fahrt erfuhren sie von dem Attentat.
"Gespenstische Szenerie"
Die Probe fand trotzdem statt. In der abgedunkelten Arena über der Hubschrauber kreisten. „Nur die Stimme des Schauspielers und Stadionsprechers Joachim Fuchsberger war über Lautsprecher zu hören.“ Eine gespenstische Szenerie.
Rüdiger Henning hat nach Mexiko seine Ruderlaufbahn beendet. Denn mehr, so meint er, hätte sportlich nicht mehr kommen können. Beruflich hat er fast 40 Jahre im Bezirksamt Wedding gearbeitet. Und Spandau war, abgesehen von zwei Jahren in der Kriegs- und Nachkriegszeit, immer sein privates Zuhause. Seit 42 Jahren bewohnt das Ehepaar ein Haus in der westlichen Wilhelmstadt, hat drei Töchter und drei Enkel.
Die werden sich sicher am 5. November alle treffen. Zum 75. Geburtstag von Rüdiger Henning und damit seinem dritten Jubiläum in diesem Jahr.
Das dreiviertel Jahrhundert ist ihm nicht anzusehen. Auch sportlich betätigt er sich noch immer am Ruder-Ergometer. „Allerdings bin ich jetzt etwas kleiner als 1,90“, lacht der Jubilar.
Er habe in seinem Leben großes Glück gehabt, sagt Rüdiger Henning. Auch mit heutigen Athleten möchte er nicht mehr tauschen. Es sei zu seiner Zeit so gut gewesen, wie es war. Nicht nur die glänzende Goldmedaille erinnert ihn daran.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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