Interview mit Gabriele Fliegel, Vorstandschefin der Vereinigung Wirtschaftshof Spandau
"Für ein starkes Wir-Gefühl"
Im Oktober 1949 gründen einige Unternehmer einen lokalen Verein. 70 Jahre später ist die Vereinigung Wirtschaftshof Spandau e.V. Berlins größter privater Wirtschaftsverband. Was ihn ausmacht, und welche Aufgaben er heute hat, darüber sprach Vorstandsvorsitzende Gabriele Fliegel mit unserer Reporterin Ulrike Kiefert.
Wir gratulieren zum 70. Jubiläum. Wird denn groß gefeiert?
Gabriele Fliegel: Vielen Dank. Selbstverständlich werden wir feiern, mit einem internen Fest am 14. Juni auf der MS Wappen von Spandau. Sie sind herzlich eingeladen.
Sie leiten die Vereinigung Wirtschaftshof Spandau jetzt seit 16 Jahren. Hat man da nicht mit Ermüdungserscheinungen zu kämpfen?
Gabriele Fliegel: Nein, gar nicht. Ich bin motivierter denn je. Auch Dank des großartigen Teams aus Vorstand, Beirat und Geschäftsstellenleiterin, das fantastisch mitarbeitet. Vor allem aber, weil ich mich gerade mit viel Herzblut um das Gelingen der ZiTA Hochschule für Wirtschaft und Soziales i.Gr. in Spandau kümmere. Das ist eine Herkulesaufgabe, da bleibt keine Zeit müde zu sein. Wie Sie wissen, haben wir die „Gesellschaft zur Gründung der ZiTA Hochschule Berling gGmbH“ bereits in rasantem Tempo vollbracht und mit der Rangsit Universität in Thailand und anderen Universitäten in Europa mögliche Kooperationspartner gefunden. Erfreulicherweise wurde uns das Alte Kant-Gymnasium in der Altstadt, nachdem die Musikschule 2020 wieder in ihr saniertes Gebäude zurückgezogen ist, vom Bezirksamt zugesprochen.
Inwiefern profitieren die Geschäftsleute von der Hochschule?
Gabriele Fliegel: Sie bringt junge Menschen und studentisches Leben in die Altstadt. Das bereichert nicht nur den Bezirk, sondern tut auch der hiesigen Wirtschaft gut. Wir brauchen ein jüngeres Image und frische Ideen. Dafür wird auch der Siemens-Innovationscampus mit seinen vielen Start-ups sorgen. Wir freuen uns auch über viele Jungunternehmen bei uns im Verband, etwa 30, deren Projektgruppe der Architekt Theo Wunderlich sehr engagiert leitet.
Mit 350 Mitgliedern ist der Wirtschaftshof Spandau heute die größte private Wirtschaftsvereinigung in Berlin. Sind Sie stolz darauf?
Gabriele Fliegel: Aber natürlich, was für eine Frage. So breit und mit so vielen Mitgliedern wie wir ist kein anderer privater Unternehmerverband oder Wirtschaftskreis aufgestellt. Wir sind quasi die Urmutter aller Wirtschaftsvereine in Berlin. Bei uns sind international agierende Firmen wie Siemens, BMW-Motorrad, Bausch & Lomb, ADM Wild Europe, Vattenfall und Contag Mitglieder, ebenso wie der Mittelstand und kleinere Betriebe. Darauf können wir zu Recht stolz sein.
Was macht die Wirtschaftsvereinigung Spandau heute aus?
Gabriele Fliegel: Wir sind ein moderner Gewerbeverband und bündeln Unternehmer und Unternehmerinnen aus nahezu allen Branchen, also Bildung, Tourismus, Wirtschaft, Arbeit, Gesundheit, Soziales und der Kreativwirtschaft. Unsere Ziele sind heute wie damals die lokale Wirtschaft zu stärken, aber auch Kunst und Wirtschaft zu verbinden. Wir schaffen Netzwerke, fördern wirtschaftliche, soziale, touristische und kulturelle Aktivitäten. Wir haben eine eigene Stiftung, mit der wir karitative Einrichtungen und Projekte, bedürftige Kinder, Jugendliche, Rentner und Invaliden unterstützen. Zum Beispiel die DLRG Jugend, mit Schach für Kids an unserer Kooperationskita „Schatztruhe“ der Havelkids, den Verein Traglinge, den Nachwuchs im Spandauer Blasorchester, die Herberge zur Heimat und Sportvereine.
Wenn Sie als Vorstandschefin Unternehmer aus anderen Bezirken treffen, welchen Satz oder welche Frage hören Sie am häufigsten?
Gabriele Fliegel: Oft höre ich, ‚wie kriegen Sie das eigentlich alles so hin, Frau Fliegel‘. Das ist nicht despektierlich, sondern anerkennend gemeint. Erst kürzlich waren Unternehmer aus dem Wirtschaftskreis Pankow zu Besuch, um sich ein paar Tipps abzuholen. Zum Beispiel darüber, wie wir so erfolgreich mit dem Bezirksamt zusammenarbeiten. Das ist in Pankow offenbar nicht selbstverständlich. Oder, dass wir eine Universität gründen. Das hat allen die Sprache verschlagen. Aber ich muss dann auch immer dazu sagen, ganz gelungen ist uns das noch nicht.
Gibt es weitere Baustellen?
Gabriele Fliegel: Ja, die Digitalisierung zum Beispiel. Das Internet ist in Spandau viel zu langsam, das geht selbst in Rumänien tausend Mal schneller. Auch der Leerstand in der Altstadt ist immer noch zu hoch, ebenso einzelne Ladenmieten. Hier ist das Problem, dass viele Eigentümer nicht in Spandau wohnen und damit die Situation vor Ort nicht kennen. Auch gemeinsame längere Ladenöffnungszeiten wird es in der Altstadt nicht geben. Das ist ja ein alter Streit. Für unsere vielen kleinen Familienbetriebe rechnet sich das unterm Strich nicht, wenn sie bis 20 Uhr geöffnet haben, aber kaum noch Kunden kommen. Was ich mir für die Wirtschaftsvereinigung wünsche, ist noch mehr Unternehmer für uns zu begeistern, für ein starkes ‚Wir-Gefühl‘ in Spandau. Auch wünschte ich mir manchmal noch mehr Engagement von unseren Mitgliedern. Für die Uni, für den Spitzensport oder für gemeinsame Aktionen in der Altstadt.
Was sind die größten Erfolge des Wirtschaftsverbandes seit der Wende?
Gabriele Fliegel: Die kann ich beim besten Willen nicht alle aufzählen. Unsere moderierten Unternehmerforen und -frühstücke gehören auf jeden Fall dazu. Und das Netzwerk Gesundheitswirtschaft, das wir vor drei Jahren mit Stadtrat Frank Bewig gegründet haben. Oder ‚Fit für die Ausbildung‘, jetzt die Jobmesse in den Spandau Arcaden und die ‚Spandauer Altstadtmeile – Kunst verbindet‘, für die wir vom Senat und der IHK bei MittendrIn zusammen mit Partner für Spandau ausgezeichnet wurden. Die Idee dazu entstand mit dem Bezirksamt. Wir kooperieren mit den Schülerfirmen aller Spandauer Gymnasien, wir hatten die Idee des ‚Altstadthausmeisters‘, die jetzt von Partner für Spandau ausgeführt wird. Und wir organisierten gemeinsam mit Bürgermeister Helmut Kleebank das Sponsoring der nächtlichen Rathaus-Illumination. Im Juni wird das Rathaus übrigens in unseren Verbandsfarben Blau-Weiß erstrahlen, extra zu unserem Jubiläum. Wir sind auch für den Havelländischen Land- und Bauernmarkt zuständig, arbeiten in der Altstadtvertretung mit und beteiligen uns an der Organisation von Festen wie dem WeinSommer. Wir fördern Ausbildungsprojekte mit der GIZ gGmbH und dem Jobcenter, auch für junge Flüchtlinge. Weil wir für eine tolerante Gesellschaft einstehen. Und Dank uns hat Spandau ein eigenes Autobahn-Hinweisschild an der A10. Wer aus Hamburg kommt, sieht es zwischen der Ausfahrt Falkensee und Brieselang stehen. All diese Projekte sind nicht selbstverständlich für einen privaten Wirtschaftsverband. Sie fordern viel Einsatz und Durchhaltevermögen.
Sie sind keine gebürtige Spandauerin. Wie wird man da Chefin eines so großen, lokalen Wirtschaftsverbandes?
Frau Fliegel: Ich wurde in Rellingen bei Hamburg geboren und wuchs im Familienbetrieb einer Baumschule auf. Ich bin studierte Ökotrophologin und habe mehrere Jahre in der Marketingabteilung eines amerikanischen Lebensmittelkonzerns gearbeitet. Weil mir die Jugend immer schon am Herzen lag, studierte ich später Anglistik und Kunst/Visuelle Kommunikation im Lehramt und unterrichtete im Anschluss Schüler aus 14 Nationen an einer Spandauer Hauptschule. Als Dozentin der Hochschule der Künste Berlin (HdK) betreute ich außerdem viele Studenten während ihres Lehramtsstudiums. Damals ging es los mit ersten Kontakten zu Spandauer Künstlern, Unternehmen und Wirtschaftsbetrieben. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, dass alle meine Schüler und Schülerinnen einen Ausbildungsplatz bekommen. Das hat die Spandauer Wirtschaft so beeindruckt, dass man mir 2003 anbot, die Leitung der Vereinigung Wirtschaftshof Spandau zu übernehmen. Ich sagte zu und habe es nicht bereut.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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