Ein Kiez erfindet sich neu
Bürger machen sich Gedanken über die Zukunft ihres Wohnviertels am Botanischen Garten
Die Anwohner und besonders die ansässigen Gewerbetreibenden im Kiez rund um die Moltkebrücke sind nicht zu beneiden. Seit Jahren ist ihr Alltag durch das Bauvorhaben Erneuerung der Moltkebrücke erheblich eingeschränkt. Doch das Ende der umfangreichen Maßnahme ist in Sicht.
Seit Ende des Jahres 2021 wird im Kiez rund um den S-Bahnhof Botanischer Garten gebaut. Die marode Brücke musste abgebaut werden. Die Bahngleise können nur noch über eine Behelfsbrücke für Fußgänger überquert werden. Autofahrer müssen Umleitungen fahren. Inzwischen stehen die Stahlträger für die neue Brücke, die Anfang 2024 fertig sein soll.
Doch die massiven Einschränkungen haben auch ihre Spuren hinterlassen. Geschäftsinhaber hatten zu kämpfen, nicht alle hielten durch. Acht Geschäfte mussten schließen und stehen jetzt leer. Dazu gehört die „Oesteria“. Das österreichisches Restaurant hat nach knapp zehn Jahren seiner Existenz an der Enzianstraße geschlossen. Das hatte auch mit Corona zu tun, aber am Ende machten den Inhabern auch die Bauarbeiten zu schaffen.
„Wir befinden uns hier in einer Art Enklave – eingeschlossen von der Dauerbaustelle“, beschreibt Erdal Aydenir die Situation. Der Obst- und Gemüsehändler sorgt seit 18 Jahren mit seinem Laden für frisches Obst und Gemüse. Er spürt deutliche Umsatzeinbußen. Früher kamen seine Kunden von überall her. Jetzt blieben immer mehr weg, denn kaum jemand mache noch seine Einkäufe im Kiez, zumal es durch die Bauarbeiten auch kaum noch Parkmöglichkeiten gebe. „Einkaufen macht keinen Spaß mehr“, resümiert der Gemüsehändler. Dennoch bleibt er optimistisch und glaubt, dass der Kiez nach Abschluss der Bauarbeiten wieder belebt werden kann. „Wenn alles vorbei ist, werden wir zusammen Aktionen machen, um die Kunden wieder in unsere Geschäfte zu locken und zu zeigen: Wir sind noch da.“
Die Auswirkungen der Bauarbeiten und der damit einhergehenden Straßensperrungen bekommt auch Frank Schroeter zu spüren. 2018 hat der Konditor die Bäckerei an der Enzianstraße übernommen. Die ersten Jahren liefen gut, denn die seit über 70 Jahren ansässigen Bäckerei ist bezirksweit bekannt und die Kunden kommen von überall her. Seitdem für die Kunden durch die Baustelle Umwege entstehen und Parkplätze wegfallen, komme deutlich weniger Kundschaft, so Schroeter. 35 Prozent Umsatzrückgang hätte der Laden zu verzeichnen – und das seit Jahren: „Erst kam Corona und dann, nach einer kurzen Entspannung, die Bauarbeiten“, sagt Schroeter.
Ob Lotto-Laden, Goldschmiede, Änderungsschneiderei oder Kosmetikstudio – alle ansässigen Geschäfte haben unter der Baumaßnahme zu leiden. Selbst die Kita hat Probleme wegen der schlechten Erreichbarkeit. Alle sind sich darüber klar, dass der Brückenneubau unvermeidlich sei, aber sie hätten sich von Anfang an mehr Unterstützung seitens des Landes Berlin und des Bezirks gewünscht. Inzwischen gibt es die. Die Senatsverwaltung für Umwelt und Mobilität bietet regelmäßig dienstags von 15 bis 17 Uhr eine Bürgersprechstunde im Baucontainer an der Ecke Hortensien- und Enzianstraße an. Dort können Anwohner und auch Gewerbetreibende ihre Fragen und Anregungen loswerden, die dann an die zuständigen Stellen weitergeleitet werden.
„Zum ersten Mal haben wir jetzt einen direkten Ansprechpartner“, freut sich Tobias Schwericke, der eine Buchhandlung kurz vor der Brücke betreibt und sich schon seit Jahren für den Kiez rund um den S-Bahnhof engagiert. Er habe das Gefühl, dass nunmehr im Sinne der Anwohner und auf Augenhöhe kommuniziert werde. Schwericke gehört auch zu den Initiatoren der Bürgerinitiative am Moltke-Kiez, die sich infolge der Brückenbaumaßnahmen gegründet hat.
Dass Anwohner und Gewerbetreibende an einem Strang ziehen, das hätte es so noch nicht gegeben. „Wir haben zwei Möglichkeiten: entweder den Kiez sterben zu lassen oder nach Abschluss der Bauarbeiten gemeinsam mit Anwohnern den Kiez attraktiver zu gestalten“, sagt er. „Wenn der Brückenbau fertig ist und die Stadtplaner kommen, wollen wir mitreden“, macht Schwericke deutlich. Bis dahin würden Ideen und Anregungen gesammelt, wie die Gegend um den S-Bahnhof zu einem lebenswerten Nachbarschaftskiez entwickelt werden kann. Vorschläge gibt es einige. Sie reichen von Kurzzeitparkplätzen über Maßnahmen zur Reduzierung des Durchgangsverkehrs bis zur Schaffung von Begegnungsmöglichkeiten etwa in Form einer Piazza.
Kontakt zur Bürgerinitiative ist per E-Mail an info@buchhandlung-schwericke.de und eckhard@lueth.eu möglich.
Autor:Karla Rabe aus Steglitz |
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