Die Mulackritze wurde vor 50 Jahren gerettet
Vor 50 Jahren - am 1. Dezember 1963 - räumte Charlotte von Mahlsdorf (1928-2002) die Einrichtung einer Straßenkneipe in der Mulackstraße 15 aus. "Im letzten Moment konnte ich die ganze Lokaleinrichtung von Mahlichs komplett käuflich erwerben, um sie der Nachwelt als Museumsstück zu erhalten", schrieb Charlotte in ihren Erinnerungen. Das war wenige Wochen bevor das Haus abgerissen wurde.
Das Haus wurde 1770 als Kneipe gebaut. Es war eine typische Berliner Arbeiterkneipe. Die Einrichtung mit dem Tresen, dem Rückbüfett, stammt aus dem Jahr 1890. Bekannt wurde die Kneipe über Berlin hinaus als Mulackritze. Sie hatte einige Besonderheiten. Sie war Anfang des 20. Jahrhunderts eine der berühmtesten und berüchtigsten Lesben- und Schwulenkneipen Berlins. In der Ecke am Tresen war öfter ein stämmiger Mann im Lodenmantel anzutreffen. Durch die Nickelbrille beobachtete der Mann ganz scharf und aufmerksam die Szenerie am Tresen und in der Kneipe. Heinrich Zille (1858 - 1929) sammelte Material für sein Theaterstück "Die Hurengespräche".
Auf einem Schild an der Wand zeigt der Sparverein Immertreu an, wann die nächste Sitzung im Lokal stattfindet. Darin hatten sich kleine und große Kriminelle zusammengeschlossen. Von ihren Brüchen zahlten die schweren Jungs brav in die Vereinskasse ein.
In den zwanziger Jahren wurde die Ritze zum Eldorado jener Schauspieler, die später durch den Tonfilm zu Weltruhm kamen. Solche Schauspieler wie Henny Porten, Fritzi Massary, Claire Waldoff, Max Fallenberg, Hubert von Meyerinck, Gustav Gründgens, Wilhelm Bendow, Siegfried Breuer waren Stammgäste. Auch der jüdische Sexualforscher Dr. Magnus Hirschfeld gehörte zu den Stammgästen. Nach dem zweiten Weltkrieg kamen noch Bert Brecht und Helene Waigel dazu.
Die letzten Gastwirte waren Minna und Alfred Mahlich. 1951 gehörte die Mulackritze zu 32 Lesben- und Schwulenkneipen, die geschlossen wurden. Am 2. Januar 1964 war von der Szenekneipe nur noch ein Trümmerhaufen geblieben. Für Charlotte war damit "ein kleines Stück Berliner Geschichte für immer dahin gegangen." Für die Besucher des Gründerzeitmuseums wird die Geschichte der Mulackritze bei jeder Führung wieder lebendig.
Autor:Klaus Teßmann aus Prenzlauer Berg |
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