Krisenpflegemütter
Ein behütetes Zuhause ist nicht selbstverständlich
Silvia Schlüter (Name von der Redaktion geändert) arbeitete als Krisenpflegemutter bei der Pflegekinder im Kiez gGmbH (PiK). Seit 2009 nahm sie Kinder aus Problemfamilien vorübergehend bei sich auf. Dabei musste es manchmal sehr schnell gehen, um Gefahren von den Kindern abzuwenden. Mit ihr sprach Lydia Poppe.
Frau Schlüter, was ist eine Krisenpflegemutter?
Das ist eine geprüfte und geeignete Person, die ein Kind vom Pflegekinderdienst zugewiesen bekommt und es zu Hause für mehrere Tage, Wochen oder auch Monate begleitet. Es handelt sich in der Regel um Säuglinge und Kleinkinder unter sechs Jahren. In dieser Zeit wird geklärt, wie es für das Kind weitergeht. Bis dahin lebt das Kind in der Pflegefamilie. Im Durchschnitt habe ich die Kinder drei Monate bei mir gehabt.
Was sind die Voraussetzungen, um Krisenpflegemutter zu werden?
Ich habe an einer Pflegeelternschulung teilgenommen. Zusätzlich habe ich den „Aufbaukurs für Krisenpflege“ besucht. Dazu kam noch ein Erste-Hilfe-Kurs für Säuglinge und kleine Kinder, außerdem musste ich ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Meine Wohnung wurde begutachtet. Meine gesamte Familie wurde befragt, denn es ist ja wichtig, dass alle Familienmitglieder einverstanden sind. Außerdem musste ich noch einen Fragebogen ausfüllen.
Worum ging es in dem Fragebogen?
Es wurde versucht herauszufinden, ob ich die Nerven und die Bereitschaft für diesen Beruf habe. Ich habe auch Seminare besucht und dadurch gelernt, was auf mich zukommt. Man muss nachweisen, dass man finanziell für sich sorgen kann. Viele Krisenpflegemütter brauchen aber finanzielle Rückendeckung vom Partner und es kann nur funktionieren, wenn die gesamte Familie mitspielt. Viele sind auch Rentner, da es ein Vollzeitjob ist. Obwohl man nur eine Pauschale zum Lebensunterhalt und weitere Pauschalen und Beihilfen bekommt.
Wie war es für Ihre leiblichen Kinder, wenn alle paar Wochen ein neues Kind in die Familie kam?
Ich habe das im Vorfeld mit meinen zwei Kindern besprochen, sie waren damals beide im Grundschulalter. Meine Kinder haben letztendlich von meiner Tätigkeit profitiert. Sie haben dadurch gelernt, dass es überhaupt nicht selbstverständlich ist, dass jeder Eltern und ein behütetes Zuhause hat. Sie haben begriffen, dass es Menschen gibt, die unsere Hilfe brauchen und dafür nichts können.
Welche Schicksale haben die Kinder, die zu Krisenpflegemüttern kommen?
Das kann ein Kind von einer überforderten 15-jährigen Mutter sein bis hin zu schwer vernachlässigten Kindern. Das Jugendamt erhält dann oft eine Gefahrenmeldung von Dritten und das Kind muss sofort zu einer Krisenpflegemutter gebracht werden. Die Hälfte der Kinder kommt später wieder zurück zu den leiblichen Eltern oder zu Verwandten, die andere Hälfte kommt in reguläre Pflegefamilien.
Was macht das Besondere an diesem Beruf aus?
Man bekommt unglaublich viel von den Kindern. Ich hatte einmal ein eineinhalbjähriges Mädchen für sieben Monate bei mir. Als sie mir gebracht wurde, war sie körperlich verwahrlost und lag in ihrer Entwicklung zurück. Sie konnte nicht sicher stehen, geschweige denn gehen. Doch sie fasste zu mir Vertrauen und blühte auf. Es ist beeindruckend mitzuerleben, wie regenerationsfähig eine Kinderseele ist.
Für mich ist es jedes Mal aufs Neue ein Wunder, wenn ich sehe, wie lebenshungrig und kämpferisch Kinder sind. Alle Kinder, die ich abgegeben habe, hatten dann schließlich den für ihr Alter angemessenen Entwicklungsstand erreicht – das war immer ein wunderbares Gefühl. Ich habe immer gewusst, was und warum ich es tue. Ich habe es gemacht, weil ich helfen wollte, und nicht, um Lob zu ernten.
Die Pflegekinder im Kiez gGmbH vermittelt in Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln Pflegekinder im Auftrag des Jugendamtes. Weitere Informationen gibt es unter Telefon 612 27 35 und im Internet auf www.pflegekinderimkiez.de.
Autor:Lokalredaktion aus Mitte |
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