"Hier werden ohne Not Bäume gefällt"
Anwohner protestieren gegen Bauprojekt Holzmarktstraße 66
Umweltschutz oder Wohnungsbau? Vor diesem Konflikt stehen Planer in ganz Berlin. Aktuelles Beispiel ist die Holzmarktstraße 66. Auf dem Kaufhallengrundstück will ein privater Investor ein Geschäfts- und Wohnhaus bauen. 19 Bäume sollen dafür noch im Februar fallen. Genehmigt vom Bezirksamt. Eine Nachbarschaftsinitative protestiert.
Vor dem Pfauenbrunnen an der Schillingstraße haben sich mehrere Anwohner versammelt. Mit Schildern wie „Klimaschutz jetzt“ machen sie ihrem Ärger Luft. „Seit 2020 gilt im Bezirk Mitte der Klimanotstand. Trotzdem werden hier ohne Not gesunde alte Bäume gefällt“, sagt Brigitta Kauers. Wie die anderen Protestler gehört sie zum Verein Nachbarschaftsrat KMA II, der sich im Wohngebiet der „Karl-Max-Allee, II. Bauabschnitt“ engagiert und Bauprojekte kritisch hinterfragt. Wie das an der Holzmarktstraße 66.
Dort, wo am südlichen Eingang zur Schillingstraßen-Promenade jetzt noch die alte Kaufhalle steht, will die Varenta Jannowitzbrücke GmbH bis 2024 ein fünf- bis sechsgeschossiges Geschäfts- und Wohnhaus bauen. Geplant sind 50 Wohnungen, rund 1800 Quadratmeter Büro- und Verwaltungsflächen, drei Bistros und ein Restaurant, zwei Läden und eine Tiefgarage mit 27 Stellplätzen. 19 Bäume sollen dafür noch im Februar weichen, darunter vier 60 Jahre alte Ahorne, die besagte Fußgängerpromenade säumen.
Die Anwohner sind damit alles andere als einverstanden. „Unser Wohngebiet hat in den letzten fünf Jahren bereits über 100 Bäume verloren“, sagt Claudia Nier. Zwar wurden neue gepflanzt, laut den Anwohnern aber viel zu wenige. Auch der Investor will 18 Bäume ersetzen. „Laut Bezirksamt ist für Nachpflanzungen in unmittelbarer Nähe des Neubaus aber gar kein Platz“, sagen die Anwohner. Vor allem aber könnten alle Bäume erhalten bleiben, wenn sich der geplante Neubau auf die Fläche der Kaufhalle beschränken würde. Was er aber nicht tut. So ragt der Neubau laut Grundriss ein stückweit in die Fußgängerpromenade hinein und zerstört für die Anwohner damit die Baumallee mit Sicht auf das Kino International.
Bezirksamt: Fällungen sind nötig
Für das Bezirksamt steht dagegen fest: „Das beantragte Bauvorhaben ist ohne die beantragte Fällung nicht zu realisieren“, heißt es in einem Brief an die Anwohner. Demnach stehen mehrere Bäume im oder so nahe am Baufeld, dass sie gerodet werden müssten. Andere erschwerten die Abrissarbeiten der Kaufhalle, da unter ihnen tiefenentrümmert werden müsse, begründet der Investor in seinem Fällantrag von September 2021. Die Anwohner sehen das anders. „Es besteht die Gefahr, dass in Kürze selbst Bäume gerodet werden, die der Realisierung des umstrittenen Bauvorhabens nicht im Wege stehen“, sagt Thomas Klaas. So stünden etwa die Bäume östlich des Baufeldes außerhalb der Baugrube und ragten auch mit ihren Kronen nicht oder kaum ins Baufeld hinein. „Sie zu fällen ist daher unnötig.“ Das gelte auch für das kleine Wäldchen, das einem Durchgang von der Holzmarktstraße zum Innenbereich des Wohnblocks weichen soll. „Ein solcher Durchgang existierte jedoch schon seit Jahrzehnten“, sagt Klaas. „Mit gutem Willen und wenig planerischem Aufwand lässt sich der gut 50 Jahre alte Baumbestand hier durchaus integrieren.“
Die Anwohner zweifeln aber nicht nur die Baumfällungen an. „Uns geht es um eine nachbarschaftsverträgliche Bebauung des Grundstücks. Die jetzige Planung tut das nicht“, so Thomas Klaas. Der Nachbarschaftsrat hat darum einen Rechtsanwalt beauftragt, um die Rechtmäßigkeit des Bauvorhabens zu klären. Das Bezirksamt hat der Anwalt aufgefordert, die Baugenehmigung zu versagen, „da für eine Genehmigung im Allgemeinen Wohngebiet die Weiterführung des Bebauungsplans mit der entsprechenden Festsetzung durch die Bezirksverordnetenversammlung zwingend ist“, erläutert Klaas. Außerdem entspreche der Neubau in seiner geplanten Kubatur nicht dem schützenswerten Charakter des Wohngebiets. Die „Karl-Marx-Allee, II. Bauabschnitt“ ist seit Mitte 2015 Fördergebiet für den städtebaulichen Denkmalschutz und will wie das Hansaviertel Weltkulturerbe werden. Der Antrag dafür ist bereits in Arbeit.
Erste Planungen begannen 2011
Die Pläne für die Bebauung der Holzmarktstraße 66 reichen weit zurück. Schon 2011 wurde ein B-Planverfahren eingeleitet und ein fünfgeschossiger, kubischer Baukörper für das Grundstück konzipiert. 2012 wurde der B-Planentwurf überarbeitet und die Kubatur festgelegt, die weitgehend der Planung des Investors entspricht. Der beantragte 2017 den Bauvorbescheid für das Wohn- und Geschäftshaus, den das Bezirksamt positiv beschied. Der Vorbescheid wurde zwei Mal vom Amt verlängert, letztmalig zum 7. April dieses Jahres. Aus dem Jahr 2017 stammt auch der städtebauliche Vertrag mit Varenta. Den Bauantrag wiederum reichte der Investor Ende August 2021 ein. Zum Zeitpunkt der Protestaktion lag die Baugenehmigung vom Bezirksamt noch nicht vor.
Nach Paragraf 34 Baugesetzbuch kann ein Bauvorhaben auch ohne Bebauungsplan bewilligt werden, wenn es sich in die Umgebung einfügt, neue Wohnblöcke also in gleicher Form und Größe wie die Bestandsbauten nachgebaut werden. Dass der unbürokratische Paragraf genutzt werde, um Bauensembles und Großsiedlungen mit Grünflächen und altem Baumbestand massiv nachzuverdichten, kritisiert unter anderem das „Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung“.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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