Balkon mit Wachturmblick: Auf der einstigen Mauergrenze entsteht Quartier am Nordbahnhof

Archäologe Torsten Dressler, der auch die Mauerrelikte in der Gedenkstätte Bernauer Straße freigelegt hat, dokumentiert die Mauerreste auf dem Grundstück Gartenstraße 85-87. Er hat einen Zaunpfahl der ersten Mauergeneration ausgegraben. | Foto: Dirk Jericho
2Bilder
  • Archäologe Torsten Dressler, der auch die Mauerrelikte in der Gedenkstätte Bernauer Straße freigelegt hat, dokumentiert die Mauerreste auf dem Grundstück Gartenstraße 85-87. Er hat einen Zaunpfahl der ersten Mauergeneration ausgegraben.
  • Foto: Dirk Jericho
  • hochgeladen von Dirk Jericho

Mitte. Auf dem letzten freien Grundstück am Nordbahnhof wird ein Wohn- und Geschäftshaus gebaut. Derzeit buddeln die Archäologen. Denn hier stand die Mauer.

Den ehemaligen Postenweg hat das Team von Archäologe Torsten Dressler schon freigelegt. Und auch alte Fundamente von Panzersperren und Zaunpfeiler der ersten Mauergeneration wurden unter dem Schuttberg gefunden.

Die Grabungen wurden vom Landesdenkmalamt beauftragt, weil auf dem Grundstück neben dem S-Bahn-Eingang Nordbahnhof an der Gartenstraße Ecke Bernauer Straße die Mauer stand. Auf den alten Kellern eines früheren Bahngebäudes, das die SED-Oberen 1973 für den Grenzstreifen abgerissen hatten, stellte das Mauerregime einen Wachturm. Von dort aus wurden auch Flüchtlinge erschossen.

Die Firma ARB Investment baut ab Oktober auf dem geschichtsträchtigen Mauergrundstück ein sechsgeschossiges Wohn- und Geschäftshaus mit 85 Mietwohnungen, Büros, Restaurants, kleinen Läden und einem großen Bio-Supermarkt. Wie ARB-Chef Constantin Plenge sagt, wurde das Projekt in vier Jahren Planungszeit intensiv mit den Denkmalschützern und der Mauergedenkstätte abgestimmt.

Auf der Brache stand ein Wachturm, von dem aus die Grenzer freien Blick in den Grenzstreifen entlang der Bernauer Straße und in nördliche Richtung entlang der Gartenstraße hatten. Die Mauer machte hinter dem S-Bahneingang einen rechtwinkligen Knick. Wie Constantin Plenge sagt, standen dort zu Mauerzeiten insgesamt drei verschiedene Wachturmtypen.

Er wollte ursprünglich an der Stelle, an der die Soldaten Ausschau hielten, einen neungeschossigen Turm bauen – als Reminiszenz an die Geschichte. Doch das Baukollegium von Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, das sich intensiv mit diesem besonderen Grundstück befasst hat, wollte das nicht. Die Anspielung war den Experten „zu laut“, wie Plenge sagt. Das Bauwerk sollte sich gegenüber dem Mauerdenkmal zurücknehmen, so die Forderung. Die Gedenkstätte habe genug Ausdruckskraft.

Die Mauergedenkstätte hätte das gesamte Areal am liebsten komplett freigelassen. Doch das Grundstück, das die Bahn 2012 an ARB Investment verkauft hat, war nicht zu retten. Plenge möchte dennoch mit Markierungen aus Cortenstahl – wie in der Mauergedenkstätte auch – den Mauerverlauf nachzeichnen. Auch mit Licht könnte man zum Beispiel den Standort des Wachturms zeigen. Es gab auch Überlegungen, Teile des Wachturm-Fundaments oder des Postenwegs in das Gebäude zu integrieren. Doch der Biomarkt, der große Flächen im Erdgeschoss belegen wird, fand das eher störend. Archäologische Fenster und Mauermarkierungen seien bei der Mietflächengestaltung hinderlich.

Das historische Backsteinportal des Nordbahnhofs wird in den Gebäudekomplex integriert. Durch das Gebäude verläuft eine öffentliche, glasüberdachte Passage von der Gartenstraße zum Elisabeth-Schwarzhaupt-Platz, so dass man von der Tram-Haltestelle zukünftig direkt zur Mauergedenkstätte laufen kann.

Ende 2019 soll das 50 Millionen Euro teure Wohn- und Geschäftshaus auf dem einstigen Todesstreifen fertig sein. Constantin Plenge verspricht den Mietern besten Blick ins einstige Schussfeld. Wo bis 1989 die Grenzsoldaten auf das geharkte Niemandsland starrten, können bald wohlhabende Mieter den Sonnenuntergang genießen. DJ

Archäologe Torsten Dressler, der auch die Mauerrelikte in der Gedenkstätte Bernauer Straße freigelegt hat, dokumentiert die Mauerreste auf dem Grundstück Gartenstraße 85-87. Er hat einen Zaunpfahl der ersten Mauergeneration ausgegraben. | Foto: Dirk Jericho
Alte Planung: Auf der Website des Investors ARB ist noch der Entwurf mit dem neungeschossigen Wohntower zu sehen, der an den früheren Wachturm an der Stelle erinnern sollte. | Foto: ARB Investment Partners
Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

48 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Gallensteine sind ein häufiges, aber oft unterschätztes Gesundheitsproblem.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Patienten fragen
Steine in der Gallenblase – was nun?

Gallensteine sind ein häufiges, aber oft unterschätztes Gesundheitsproblem. Etwa jede fünfte Person in Europa ist betroffen, und fast die Hälfte entwickelt im Laufe des Lebens Beschwerden. Diese äußern sich meist in Form von wiederkehrenden Schmerzen, insbesondere im rechten Oberbauch. In einigen Fällen können Gallensteine zu ernsthaften Komplikationen wie einer Entzündung der Gallenblase führen. Die bevorzugte Therapie bei Beschwerden ist die operative Entfernung der Gallenblase – in der Regel...

  • Reinickendorf
  • 12.02.25
  • 281× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Informieren Sie sich über Intensivmedizin. | Foto: 2022 Tomasz Kuzminski

Infoabend am 11. Februar
Grenzen und Möglichkeiten der Intensivmedizin

Die Intensivmedizin hat erstaunliche Fortschritte gemacht und bietet schwerstkranken Patienten Überlebenschancen, die früher undenkbar waren. Doch wo liegen die Grenzen dieser Hochleistungsmedizin? Welche technischen, personellen und ethischen Herausforderungen gibt es? Besuchen Sie unseren Infoabend mit Priv.-Doz. Dr. Stephan Kurz und erfahren Sie, wie intensivmedizinische Maßnahmen Leben retten, aber auch komplexe Entscheidungen erfordern. Was geschieht, wenn Therapieoptionen ausgeschöpft...

  • Reinickendorf
  • 29.01.25
  • 910× gelesen
Gesundheit und Medizin
Das Dominikus Krankenhaus informiert zur Robotik-Chirurgie bei Hüft- und Knieschmerzen. | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Moderne Behandlung bei Hüft- und Knieschmerzen
Informationsabend Robotik-Chirurgie

Hüft- und Knieschmerzen beeinträchtigen die Lebensqualität und werden oft durch Verschleiß, Unfälle oder Fehlstellungen verursacht. Moderne Technologien wie die Robotik-Chirurgie bieten neue Möglichkeiten für eine präzisere und minimalinvasive Behandlung. Am 4. Januar laden wir Sie herzlich zu einem Informationsabend ein, bei dem Chefarzt Tariq Qodceiah, Leiter des Caritas Hüftzentrums, die Vorteile der Robotik-Chirurgie bei Hüft- und Knieschmerzen erläutert. Er erklärt, wie diese innovative...

  • Reinickendorf
  • 12.02.25
  • 447× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.