Wohnprojekt vor dem Aus
Habersaath-Platte darf abgerissen werden
Nach dem Dauerstreit um die Habersaathstraße kann der Eigentümer den Gebäudekomplex nun doch abreißen. Dafür muss er allen Bewohnern – darunter auch früheren Obdachlosen – Ersatzwohnungen anbieten.
Lange stemmte sich der Bezirk gegen den Abriss. Doch nach jahrelangem Streit mit dem Eigentümer steht jetzt fest: Der fast leer gezogene Wohnblock an der Habersaathstraße 40-48 kann abgerissen werden. Laut Bürgermeisterin Stefanie Remlinger (Grüne) hatte das Bezirksamt keine rechtlichen Gründe mehr, die sogenannte zweckentfremdungsrechtliche Abrissgenehmigung zu versagen. „Auch wenn wir uns eine andere Lösung gewünscht hätten, blieb uns nichts anderes übrig, als den Abriss zu genehmigen“, erklärte Remlinger. „Wir haben als Bezirk gekämpft, um möglichst viel für die Menschen zu erreichen, die in der Habersaathstraße schon lange leben oder dort in den vergangenen Jahren ein Zuhause gefunden haben.“
Im Gegenzug habe sich die Arcadia Estates GmbH als Eigentümerin verpflichtet, den verbliebenen Mietern Ersatzwohnungen im Neubau anzubieten, der „von einem durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmerhaushalt“ finanziert werden könne. So hatte es das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil von Mai 2023 für zweckentfremdeten Ersatzwohnraum formuliert, als es gleichzeitig die fixe Mietobergrenze von 9,17 Euro pro Quadratmeter kippte. Für den Neubau in der Habersaathstraße soll ein Mietpreis von 11,50 bis 16,50 Euro pro Quadratmeter gelten. Damit halte man sich an die neue Rechtsprechung und den Mietspiegel. Für Mitte sei das noch „ein guter Preis“, so Remlinger. In Neubauten müssten Mieter mittlerweile zwischen 23 und 32 Euro zahlen. Während des vereinbarten abschnittsweisen Abrisses des Gebäudekomplexes können die Altmieter in ihren Wohnungen bleiben und dort auch zur gleichen Miete von jetzt 6,50 Euro weiterwohnen – sofern sie nicht in den Neubau umziehen wollen. Wie viele Menschen noch in dem Plattenbau wohnen, ist laut Rathauschefin unklar. Der Bezirk geht von fünf bis acht Altmietern, 30 bis 50 ehemals Obdachlosen und noch mal so vielen Geflüchteten aus der Ukraine aus.
Für letztere endet das Wohnen an der Habersaathstraße. Sie sollen nach dem Abriss in einer neuen Unterkunft in der Papierstraße unterkommen. So ist es jedenfalls mit der Arcadia verabredet. Die baut auf ihrem Grundstück im Soldiner Kiez allerdings keine neuen Wohnungen, sondern Gemeinschaftsunterkünfte mit bis zu 200 Betten für die Flüchtlinge und Wohnungslosen. Ein sozialer Träger soll sie künftig betreiben. „Was Besseres haben wir als Bezirksamt nicht aushandeln können“, erklärte Remlinger das Angebot für alle Betroffenen.
Ob es bei den angekündigten Vereinbarungen bleibt, ist allerdings fraglich. Selbst das Bezirksamt weiß, dass die Arcadia die Wohnungen im Neubau in Eigentum umwandeln und teuer weiterverkaufen kann. Genau wie den Abriss kann das aktuelle Zweckentfremdungsverbot das nicht verhindern. Außerdem hat die Arcadia bereits die Baugenehmigung in der Tasche.
Skeptisch ist auch der Berliner Mieterverein, der vor allem dem Bezirksamt Vorwürfe macht. Zu lasch seien die Auflagen für den genehmigten Abriss. "Kaltmieten von 11,50 bis 16,50 Euro je Quadratmeter für einen Ersatzneubau wären für die jetzigen Bewohnerinnen und Bewohner, die moderate Mieten zahlen, wohl kaum leistbar“, so Geschäftsführer Sebastian Bartels. Ohne Not habe das Bezirksamt dem Druck des Investors nachgegeben. Richtig sei zwar, dass das Oberverwaltungsgericht generelle Mietobergrenzen für Ersatzneubauten für unwirksam habe. Das Gericht habe den Bezirken aber weitgehende Verhandlungsfreiheit zugestanden und nicht explizit ausgeschlossen, sich an dem – wie hier – relativ niedrigen Mietniveau des abgerissenen Wohnraums zu orientieren. "Hätte der Bezirk es auf einen Streit mit dem Eigentümer vor Gericht ankommen lassen, wären die ungelösten Fragen dort gerichtlich geklärt worden", vermutet Bartels. "Stattdessen liefert das Bezirksamt nun mit derart hohen Mietvorgaben eine Blaupause für weitere Abrissverhandlungen in anderen Bezirken ab.“
Begonnen hatten die aktuellen Verhandlungen zwischen dem Bezirk Mitte und der Eigentümerin im Mai, nachdem die Arcadia zu Jahresbeginn erneut einen Abrissantrag gestellt hatte. Im Rathaus hatte man die Genehmigung bisher immer abgelehnt mit dem Argument, „schützenswerten Wohnraum“ erhalten zu wollen. Die jetzige Erlaubnis gilt bis Ende 2025. „Bis dahin müsste die Eigentümerin mit dem Abriss begonnen haben“, informierte Marek Much, stellvertretender Rechtsamtsleiter. Um die günstigen Wohnungen für die Mieter zu erhalten, hatte der Bezirk sogar überlegt, den Plattenbau zu kaufen. Die Arcadia habe jedoch abgelehnt. Geklappt hätte das wahrscheinlich sowieso nicht. Denn auch vom Land Berlin kam „kein positives Signal“, so Much.
Der ehemalige Schwesternwohnblock der Charité (Papageienplatte) sorgt bereits seit 2018 für Streit zwischen Mietern, Eigentümer und dem Bezirksamt – und ist zum Präzedenzfall im Kampf für preiswerten Wohnraum geworden. Der Wohnblock war schon 2006 privatisiert worden. Seit 2017 gehört er der Immobilienfirma Arcadia Estates. Ein Großteil der Bewohner ist inzwischen ausgezogen, allen Parteien wurde gekündigt. Die Restmieter erklagten sich ihr Wohnrecht wiederholt vor Gericht. Im Winter 2021/22 besetzten Aktivisten der Initiative "Leerstand-Hab-ich-Saath" und rund 50 Obdachlose einen Teil des Wohnblocks, was die Eigentümerin, wie berichtet, für eine gewisse Zeit auch erlaubte. Im August 2023 eskalierte dann der Konflikt, als Stromzähler und Fenster entfernt wurden – auch zum Entsetzen des Bezirksamtes. Die polizeilichen Ermittlungen führten jedoch ins Leere. Noch heute haben einzelne Mieter keinen Strom und kein Warmwasser.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.