Von der Ruine zum "Allesandersplatz"
Haus der Statistik wird langfristig zum Gemeinwohl-Quartier

Elf Jahre stand es leer. Seit 2019 ist das Haus der Statistik ein "Allesandersplatz".  | Foto: Ulrike Kiefert
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Vor fünf Jahren protestierte die "Initiative Haus der Statistik“ gegen den Abriss des Plattenbaukomplexes am Alexanderplatz. Seitdem ist viel passiert und der riesige graue Block zum „Allesandersplatz“ kreativer Pioniere geworden. Bis 2029 sollen dort auch Verwaltung, soziale Einrichtungen und Wohnungsmieter einziehen.

Von außen ist das alte Haus der Statistik immer noch ein Ruine. Leer steht es allerdings schon lange nicht mehr. Was man auf den ersten Blick nicht sieht, wäre da nicht der überdimensionierte Schriftzug ganz oben an der Fassade. „Allesandersplatz“ ist darauf zu lesen.

Anders ist nach zehn Jahren Leerstand im Haus der Statistik tatsächlich alles. Ateliers, Werkstätten und Proberäume belegen die Erdgeschosse des 50 000 Quadratmeter großen, verschachtelten Gebäudekomplexes. Auch ein Designer, der aus alten Fahrradteilen Lampen macht, ein Chor, ein Ko-Markt und eine provisorische Küche, in der mit regionalen Produkten gekocht wird, sind eingezogen, um nur einige Beispiele zu nennen. Gerade erst eröffnet haben das „Haus der Materialisierung“ als Nachfolger vom „Zack – der Umbaumarkt“ und das Off-Kino „Sinema Transtopia“. Im "Haus der Materialisierung" (HdM) kann jeder fündig werden. Ob es die passende Wandfarbe zum Renovieren ist, ein Stuhl repariert oder der Reißverschluss einer Hose ersetzt werden muss – das HdM ist die Anlaufstelle für alle, die ökologische und klimafreundliche Alternativen zu Überkonsum und Umweltbelastung suchen. Dafür sorgen Zero-Waste-Initiativen, Start-ups, Sozialbetriebe und Kunstschaffende. Auch die Berliner Stadtmission, die jedes Jahr viele Kleiderspenden von den Berlinern erhält, ist mit ihrem „Textilhafen“ dabei. Interessierte können sich dort auch an Nähmaschinen setzen und aus alten Jerseykleidern Sachen für Bedürftige nähen.

All diese Pioniernutzer beleben das Haus der Statistik in der Sanierungs- und Bauphase. Entkernt, rückgebaut und Schadstoffe entsorgt wird bereits seit einem Jahr. Je nach Bauphase ziehen die Pioniere um, bis 2021 sollen sie definitiv bleiben – und teilweise dauerhaft einziehen.

Wohnen, Kultur und Soziales

Denn aus dem Modellprojekt soll langfristig ein „gemeinwohlorientiertes Quartier“ werden. Ein Miteinander von Wohnen, Kunst, Kultur, Bildung, Sozialem und Nachbarschaft als Alternative zum längst kommerzialisierten Alexanderplatz. Fünf Kooperationspartner arbeiten daran: die Genossenschaft „ZUsammenKUNFT“ Berlin, der Bezirk Mitte, die städtische Wohnungsbaugesellschaft WBM, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM).

Die Eckpunkte für das neue Quartier sind bereits festgelegt: Den Altbau werden sich das Finanzamt Mitte und die Künstler teilen, ein neues Hochhaus wird ab 2029 das Rathaus Mitte beherbergen. Der Bezirk gibt dafür seinen teuren Mietstandort an der Karl-Marx-Allee auf, der einem Privateigentümer gehört. Dazu sind 300 Mietwohnungen geplant. Bauherrin ist die WBM. Sie ist verpflichtet, günstigen Wohnraum zu schaffen. „Wir treiben aber nicht nur den Bau der Wohnungen voran“, sagte WMB-Geschäftsführerin Christina Geib bei einem Pressegespräch. „Wir verfolgen auch mit großem Interesse die aktuellen Pioniernutzungen.“ Um Erkenntnisse für die spätere Nutzung der Erdgeschosse zu sammeln. 2022 soll der Wohnungsbau starten und vier Jahre später fertig sein.

Der Bezirk wiederum will in Kürze den neuen Bebauungsplan für das 3,2 Hektar große Areal aufstellen. Basis ist der städtebauliche Entwurf der Planergemeinschaft Teleinternetcafé/Treibhaus. Ein Energie- und Mobilitätskonzept liegt ebenfalls schon vor. „Wir sind als Bezirksamt glücklich, dass neben dem hochpreisigen Alexanderplatz ein gemeinwohlorientiertes Quartier entsteht und den Ort verändert“, sagte Stadtentwicklungsstadtrat Ephraim Gothe (Grüne). Das könne ein Vorbild für andere Städtebauprojekte in Mitte sein, beispielsweise für den Molkenmarkt. Weiterer Eckpunkt des Quartiers: rund 17 000 Quadratmeter Neubau für Kunst, Kultur, Soziales und Bildung.

Künstler als Bauarbeiter

Genau wie es die Künstler vor fünf Jahren gefordert hatten. Damals, 2015, begann das einzigartige Modellprojekt „Allesandersplatz“ mit einem Akt der Aneignung. Eine Gruppe engagierter Künstler zog am 16. September 2015 vors Haus. Sie waren als Bauarbeiter kostümiert und hängten an der Fassade ein Banner auf. Das sah aus wie das Bauschild eines Immobilienprojektes, aber eigentlich war es Teil einer Kunstaktion ohne Genehmigung. „Hier entstehen für Berlin Räume für Kunst, Kultur und Soziales“, war da zu lesen. Hinter der Banner-Kunstaktion der Gruppe „Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser (AbBA) stand ein konkreter Anlass: die Verdrängung von Ateliers aus der Stadt. Beispiele waren das „Post-Ost“ in Friedrichshain, das Tacheles in Mitte, das Atelierhaus Erkelenzdamm und das Schultheissquartier in Moabit.

Viele standen damals hinter den Stadtaktivisten, die sich zur "Initiative Haus der Statistik“ zusammenschlossen, um die riesige Ruine in Bestlage neu zu beleben. Mittes damaliger Bürgermeister Christian Hanke zum Beispiel und die Bezirksverordneten. Heute nun wird das Haus der Statistik ganz offiziell für günstiges Wohnen und Kultur geplant. Damit das möglich wurde, kaufte das Land Berlin das Haus 2017 der Bundesrepublik Deutschland ab. Kostenpunkt: über 50 Millionen Euro.

Erbaut wurde das Haus der Statistik von 1968 bis 1970. Mit der Wiedervereinigung ging der ehemalige Sitz der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik der DDR in den Besitz des Bundes über. Nach der Wende war es unter anderem Dienstsitz der Gauck-Behörde. Seit 2008 steht das Haus leer. Zwischendurch sollte es an einen privaten Investoren verkauft, abgerissen und das Areal neu bebaut werden. Doch es fand sich kein Interessent. 2019 zogen dann die ersten Pioniere ein.

Mehr über die Pioniernutzungen samt Öffnungszeiten unter www.hausderstatistik.org/pioniernutzungen.

Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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