Initiative kämpft gegen Bebauung des Tempelhofer Felds
Sonntagnachmittag 15 Uhr. Es tobt eiskalter Wind, Minusgrade herrschen. Doch am Eingang zum Tempelhofer Flugfeld am Columbiadamm stehen die Menschen um einen kleinen Tisch mit Flyern und Unterschriftenlisten. Jogger bleiben stehen und eingemummelte Spaziergänger wagen es, die Handschuhe auszuziehen, um sich einzutragen. "Kann ich eine Liste mitnehmen?", fragt eine Frau in der Schlange. "Wie viele Unterschriften habt ihr denn schon?", tönt es von hinten.
Trotz Kälte große Begeisterung
Die Aktivisten der Bürgerinitiative packen eine volle Liste nach der anderen weg. Trotz der Kälte spürt man große Begeisterung. Und die ist berechtigt, denn für das, was sie planen, gibt es viele namentliche Unterstützer. Über 20 000 Unterschriften sind seit Beginn des Volksbegehrens Mitte Dezember zusammengekommen. Damit sollen die Pläne der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt zur Bebauung des Flugfelds gestoppt werden. Und die Unterschriften waren auch nötig, damit sich das Abgeordnetenhaus nun mit dem Gesetzentwurf der Initiative befasst. "Dass wir schon jetzt so viele Unterschriften haben, ist ein starkes Signal an die Regierung", sagt der 28-jährige Julius Dahms, Sprecher von "100 Prozent Tempelhofer Feld". Er sieht gute Chancen, dass der geplante Volksentscheid gar nicht mehr zustande kommen muss. Voraussetzung ist jedoch, dass die Abgeordneten den Entwurf annehmen. Tun sie das nicht, müssen die Flugfeld-Schützer eine zweite Sammelaktion starten - diesmal mit dem Ziel 170 000 Unterschriften zusammenzubekommen.
Schaffen sie auch das, können die Berliner 2014 an der Wahlurne über die Zukunft des Tempelhofer Felds mitbestimmen. "Ich bin zuversichtlich, dass den Politkern dieser Schritt zu teuer ist. Eine zusätzlich Wahl kostet schließlich viel Geld", sagt Julius Dahms und schreitet in großen Schritten die Landebahn entlang.
Radfahrer, Spaziergänger, Kite-Surfer
"Auf dem Feld trifft man immer Leute, egal wie das Wetter ist", schwärmt er. Und tatsächlich sieht man Radfahrer und andere Sportler, viele Spaziergänger und einzelne Kite-Surfer. "Für viele ist das hier wie im eigenen Garten", sagt Dahms und zählt Gründe auf, warum alles so bleiben muss, wie es ist. Da seien zu allererst die hohen Kosten, die mit der Bebauung auf die Berliner zukommen.
Entstehen sollen auf den 380 Hektar Wiese mit einzelnen Teerflächen mehrere Wohn- und Gewerbequartiere. Nach den Plänen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sollen die Gebäude 90 Hektar einnehmen. Was übrig ist, bleibt Grünanlage. Da das Flugfeld noch nicht erschlossen ist, also noch keine Kanalisation und andere Anschlüsse an die städtische Infrastruktur verlegt sind, liegen die Kosten bei rund 250 Millionen Euro, rechnet Dahms aus seinen eigenen Analysen vor: "Durch Verkauf und Verpachtung können aber nur 130 Millionen eingenommen werden." Langfristig würde so eine Differenz von 120 Millionen Euro entstehen, die die Steuerzahler drauflegen müssten. Für die Sanierung des Flughafengebäudes würden noch mal 94 Millionen dazukommen.
Besondere Funktion fürs Stadtklima
"Wir stellen uns nicht gegen Wohnungsbau", verteidigt Julius Dahms. Laut einer Senatsstudie gebe es aber 2900 Hektar innerstädtische Reserveflächen, die bereits erschlossen sind. "Dort muss gebaut werden, weil es preiswerter ist und weil damit keine Grünflächen versiegelt werden", fordert er im Namen der Initiative. Doch nicht nur die Kosten sind es, die die Flugfeld-Schützer stören. Sie setzen sich auch für den Schutz der Tiere, Pflanzen und die Tatsache ein, dass das Flugfeld eine besondere Funktion für das Stadtklima hat. "Auf der großen Freifläche kann die Luft abkühlen. Was sich ringsherum zwischen den Gebäuden anstaut, wird hier umgewälzt", sagt Dahms und erklärt mit einem großen Armschwenk über die gefrorene Wiese, dass eine künstlich angelegte Parkfläche inmitten von Wohnblocks das nicht könne.
"Das Flugfeld soll so bleiben, wie es ist", meint auch Elke Reinecke. Die 42-Jährige kommt aus Mariendorf regelmäßig zum Tempelhofer Feld. Ihrer Meinung nach zeigt schon die Tatsache, dass hier kaum Müll liegt, dass die Spaziergänger und Sportler die Freiflächen schätzen und auch ohne angelegten Park gut zurechtkommen.
Gutachten erstellt
Die Senatsverwaltung hält gegen die Kritik und hat ein Gutachten zu den Kosten erstellen lassen, die entstehen, wenn auf dem Tempelhofer Feld nicht gebaut wird. Demnach kostet es rund 300 Millionen Euro, wenn innerhalb der Innenstadt keine neuen Wohnungen entstehen und mehr Berliner mit dem Auto zur Arbeit pendeln. Denn Berlin wächst. "Es ist uns ein wichtiges Anliegen, mehr günstigen Wohnraum zu schaffen, aber dafür müssen wir die noch unbebauten Flächen nutzen", sagt Daniela Augenstein, Sprecherin der Senatsverwaltung. Das Tempelhofer Feld gilt als größte innerstädtische Freifläche und könne nicht aus den Planungen ausgespart werden. Außerdem würden an 25 Standorten Wohnungen geplant. "Es ist ja nicht so, dass nur auf dem Flugfeld gebaut wird", sagt Augenstein und weist darauf hin, dass sich die Pläne auch nur auf die Ränder des Areals beziehen. Zu den Zahlen der Initiative erklärt sie, dass das Mietpreisniveau in den Neubauten noch gar nicht festgelegt sei und dass deshalb noch gar keine endgültige Kostenschätzung möglich wäre.
Die Mitstreiter der Initiative lassen sich davon nicht beirren. Mit dem Klemmbrett unterm Arm sammeln sie trotz des Spitzenergebnisses für das Volksbegehren auch jetzt noch weiter. "Wir wollen auf Nummer sicher gehen und 27 500 Unterschriften zusammenbekommen, damit wir auch einen Puffer für ungültige Stimmen haben", sagt Dahms.
Mehrheit gegen Bebauung
Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld werden abgelehnt
67 Prozent unserer Leser sprechen sich gegen die Pläne des Senats aus, an den Rändern des Tempelhofer Felds Wohngebäude zu errichten. Die Initiative "100 Prozent Tempelhofer Feld" hat mittlerweile 27 500 Unterschriften für ein Volksbegehren gegen die Bebauung gesammelt. Nun müssen die Abgeordneten beraten. Auf die Frage "Soll das Tempelhofer Feld unbebaut bleiben?" antworteten 67 Prozent unserer Leser mit ja. Nur 33 Prozent stimmten dagegen. Einer der Gegner der Bebauung ist Frank Dietrich. In einem Leserbrief kritisiert er, dass die Senatsverwaltung in einer Studie Kosten von 300 Millionen Euro angeben würde, die entstehen, wenn auf dem Tempelhofer Feld nicht gebaut wird. "Diese Hochrechnung ist Augenwischerei", schreibt Dietrich.
Die negativen Folgen der Bautätigkeit wie Umwelt- und Klimabelastung und der Grünverlust in der Innenstadt wären ignoriert worden. Doch Senator Michael Müller verteidigt seine Pläne und erklärt, dass das, was heute als Park so gerne genutzt würde, unbebaut bleiben soll. 240 Hektar würden weiter zur Verfügung stehen.
"Das Tempelhofer Feld ist eine wertvolle Fläche, auch, da wir alle möglichst bezahlbaren Wohnraum in der Stadt wollen", sagt Müller. Deshalb sollen an den Rändern des Feldes - und nur dort - neue Wohnungen entstehen.
In ihrer letzten Bevölkerungsprognose zu den Jahren 2011 bis 2030 sagte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt einen Zuwachs um 254 000 auf 3,756 Millionen Einwohner voraus. Damit wird der Wohnraum knapp und die Mieten steigen. Der Senat hat deshalb das Ziel ausgegeben, künftig 6000 neue Wohnungen jährlich zu bauen und sieht dafür 25 Standorte vor. Dafür will Stadtentwicklungssenator Michael Müller städtische Grünflächen nutzen. Pläne gibt es auch für das Tempelhofer Flugfeld. Auf der Gesamtfläche einschließlich des Flughafengebäudes von rund 380 Hektar soll bis 2017 eine 90 Hektar große Fläche für Wohn- und Gewerbequartiere entstehen. Das restliche Flugfeld soll in eine angelegte Parklandschaft umgebaut werden und am Rand des Geländes soll die neue Zentrale Landesbibliothek entstehen. Gegen diese Pläne wehrt sich die Bürgerinitiative "100 Prozent Tempelhofer Feld". Infos zum Volksentscheid und Unterschriftenlisten: www.thf100.de.
Autor:Jana Tashina Wörrle aus Charlottenburg |
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