Fördertopf ausgeschöpft
Kitaträger befürchten Betreuungsnotstand in den nächsten Jahren
Kitaträger befürchten eine Versorgungslücke bei Kitaplätzen. Laut Paritätischem Wohlfahrtsverband fehlen in den kommenden Jahren mindestens 14.000 Plätze.
Nach intensiven Planungen und Anstrengungen für neue Kitabauten hängen jetzt über 80 Projekte in der Luft. Allein bei Deutschlands größtem Träger Fröbel mit 38 Kitas in Berlin sind 1362 neuen Plätze „massiv gefährdet“, wie der Träger mitteilt. Hintergrund sind komplett leere Fördertöpfe. Der Senatsbildungsverwaltung hat den Trägern am 27. Juli mitgeteilt, dass für 2020 keine Anträge mehr angenommen werden, weil die Mittel ausgeschöpft sind. Die Kitafirma Fröbel fordert jetzt in einem „Brandbrief“ an die Abgeordneten und Bürgermeister, die nötigen Mittel bereitzustellen. „Aktuell sind wir in großer Sorge, mehrere Projekte mit insgesamt 620 Plätzen überhaupt in Betrieb nehmen zu können“, sagt Fröbel-Geschäftsführer Stefan Spieker. Für neue Kita-Projekte mit 742 Plätze wurden die Planungen vorerst gestoppt. Wegen fehlender Finanzierungszusagen könnten Miet- und Erbpachtverträge nicht unterschrieben werden. „Bisher haben wir in diesem Jahr schon drei neue Projekte mit 420 Plätzen verloren, weil das Land keine Fördermittel mehr bereitstellt“, sagt Spieker. Der „Brandbrief“ kommt zur rechten Zeit, denn im Abgeordnetenhaus stehen die Beratungen über den Nachtragshaushalt 2020/21 an.
Iris Brennberger von der Jugendverwaltung bestätigt den Antragsstopp. 80 Projekte stünden dort derzeit auf der Warteliste, sagt die Sprecherin. Es sei im Moment nicht sinnvoll, immer weiter Anträge anzunehmen. „Das ist aber seit Monaten bekannt“, so Brennberger. Laut Kitaträger Fröbel jedoch kam das Aus Ende Juli ohne Vorwarnung.
Dass die für 2020 eingeplanten 70 Millionen aus dem Programm „Auf die Plätze, Kitas, los!“ wegen großer Nachfrage überzeichnet sind, zeige auch, wie erfolgreich das Programm ist. Für 2021 stehen nur noch 23 Millionen bereit. Zusätzlich bekommt Berlin 2020 und 2021 noch insgesamt 48 Millionen Euro für den Kita-Ausbau aus dem Bundesprogramm „Corona-Folgen bekämpfen“. Das Geld soll auch vorrangig an die Träger vergeben werden, die auf der Warteliste stehen, so Brennberger.
"Dramatische Kitaplatzsuche"
Laut Paritätischem Wohlfahrtsverband Berlin, in dem 120 freie Kitaträger mit 45.200 Plätzen organisiert sind, wird das alles bei Weitem nicht reichen. Er fordert 500 Millionen Euro für Neubau, Erweiterungen und Sanierungen bis 2025. Dann haben aufgrund der Bevölkerungsprognose 250.000 Kinder im Alter von ein bis sieben Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Berlin braucht bis zu 25.000 neue Kitaplätze, so der Paritätische. „Mit den bisherigen Ausbauplanungen und Programmen können nur rund 11.000 der dringend benötigten Plätze geschaffen werden. Wir brauchen dringend mehr Geld für den Kita-Ausbau, um die fehlenden 14.000 Plätze zu schaffen und damit Eltern die dramatische monatelange Kitaplatzsuche zu ersparen und Kindern eine Betreuung zu ermöglichen“, sagt Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin. Allein die Anträge mit einem Volumen von rund 117 Millionen Euro, die jetzt auf der Warteliste hängen, würden 6400 neue Kitaplätze bedeuten.
Die Senatsjugendverwaltung bestreitet die Prognose von 25.000 weiteren Kitaplätzen in den kommenden Jahren. Laut Brennberger befinden sich bereits 15.000 neue Plätze in der Planung oder Umsetzung. Derzeit würden im Haus von Senatorin Sandra Scheeres (SPD) die exakten Kita-Entwicklungsplanungen für die kommenden Jahre erstellt. Grundlage ist die im Frühjahr vorgestellte Bevölkerungsprognose. „Sie geht nicht mehr davon aus, dass die Kinderzahlen in den kommenden Jahren stagnieren, sondern dass sie weiter steigen. Damit wird der Platzbedarf künftig weiter wachsen“, sagt auch Scheeres. Der Kita-Ausbau habe weiterhin Priorität. Scheeres betont, dass in ihrer Amtszeit seit 2011 rund 45.000 Kitaplätze mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden.
Fröbel-Chef Stefan Spieker spricht hingegen von einer „dramatischen Entwicklung“. Er brauche wegen des langen Vorlaufs von mindestens zwei Jahren jetzt Planungssicherheit für die Neubauprojekte. Dazu kommt, dass bereits heute keine neuen Plätze für das Kitajahr 2021/2022 freigegeben werden könnten, „da die frei werdenden Plätze vorrangig an Geschwisterkinder vergeben werden“. Auch IHK-Chef Jan Eder protestiert gegen die Schließung des Kitaausbauprogramms. „Das Land Berlin hinkt den eigenen Ansprüchen sowie dem Bedarf seit Jahren deutlich hinterher“, sagt er. „Es werden diejenigen ausgebremst, die weitere Plätze schaffen könnten. Berlin steuert sehenden Auges in eine Versorgungslücke. Es ist fatal für den Standort Berlin, wenn auf dem Weg aus der Krise in den nächsten Jahren Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf den Aufschwung bremsen.“
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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