Das Berliner Schulessen steht in der Kritik
Erst ein großer Löffel Nudeln, dann Tomatensoße oben drauf. Jörg Stüwe schöpft eine Portion nach der anderen auf weiße Mensateller und gibt sie unter der Glasscheibe durch. Wie am Fließband greifen Kinder danach und balancieren die Nudelberge vorbei an Wagen voller Obst und Nachtisch. Besteck klappert, Geschirr klirrt, in der Schulmensa der Rosa-Luxemburg-Oberschule in Pankow ist der Geräuschpegel am Anschlag. Schneller als man zusehen kann, sind die Teller leer. Zeit für den Nachtisch, auch diesen verdrücken die Mädchen und Jungen im Affenzahn. Dass es der Nachtisch war, der hier vor ein paar Monaten für große Aufregung gesorgt hat, scheint vergessen."Fünf Tage ging es mir richtig schlecht", sagt Moritz Wagner. Mit dem Blick auf seinen vollen Teller erzählt er, dass seine Eltern schon überlegt hätten, ob er weiter hier essen soll. "Aber ich brauche mittags etwas Richtiges", erklärt der 15-Jährige. Er ist einer der Berliner, die Ende September in der Schule Grießbrei mit Erdbeeren aßen und dann am Norovirus erkrankten. "Mir tut jeder einzelne Betroffene leid", schrieb Schulleiter Ralf Treptow kurz danach in einem öffentlichen Brief an seine Schüler und deren Eltern. Darin erklärte er, wie es zu den Vorfällen kommen konnte und was die Cateringfirma Sodexo, die die Schule seit Jahren mit Essen beliefert, damit zu tun hatte.
Streit über die Qualität
Seit dem Vorfall mit den Erdbeeren aus China tobt ein Streit über die Qualität des Schulessens. Eine bessere Qualität mit heimischen Lebensmitteln, vielen frischen Zutaten und zusätzlichen Kontrollen lässt sich mit den derzeitigen Geldern, die für das Schulessen pro Person und Tag zur Verfügung stehen, nur schwer gewährleisten. Die Kosten müssen steigen, ergab auch eine Studie der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Demnach soll es bald einen einheitlichen, höheren Preis für das Schulessen in ganz Berlin geben. Nach den Vorschlägen von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wird der Preis von derzeit rund zwei auf 3,25 Euro pro Person steigen. Bezahlen sollen das die Eltern. Doch nicht jede Familie kann das.
"So wie die Preise momentan sind, bleibt nicht einmal ein Euro pro Essen für die Lebensmittel übrig", rechnet Erika Takano-Forck von der Arbeitsgemeinschaft Schulessen beim Landeselternausschuss Berlin (LEA) vor. Das meiste gehe für den Transport, das Personal und die Energiekosten drauf. Da zusätzlich die Kosten für Lebensmittel stetig steigen, wird die Lage immer verzwickter. "Dass da vielerorts keine vernünftige Qualität auf den Tellern der Kinder landet, ist doch klar", sagt die Sprecherin der AG. Um die notwendigen Kostensteigerungen möglichst sozialverträglich zu gestalten, fordert der LEA, dass der Senat mehr Geld zuschießen muss. Zusätzlich hält er eine Staffelung nach Einkommen der Eltern für sinnvoll. "Minimale Subventionen nach dem Gießkannenprinzip helfen keinem", sagt Takano-Forck.
Lieferkette intransparent
Zu billig für gute Qualität, das bestätigt auch die Firma Sodexo, die nach den Vorfällen im vergangenen Jahr stärker in die Öffentlichkeit geht. So bleiben für den Wareneinkauf nach Aussagen von Heiko Höfer, Fachbereichsleiter Schulen und Universitäten in Berlin, pro Person momentan nur knapp 50 Cent übrig. "Dazu kommt, dass wir wie bei den Erdbeeren aus China gar nicht die ganze Lieferkette überprüfen können", erklärt er. So gebe das Lebensmittelrecht nur vor, dass die letzte Firma, die mit der Ware zu tun hat, genannt werden muss - bei den Erdbeeren die Verpackungsfirma in Deutschland. Auch darunter leidet dann die Qualität des Essens.
Dass eine bessere Qualität mehr kostet, hat Schulleiter Treptow den Eltern seiner etwa 1000 Schüler schon vor einiger Zeit erklären müssen, als er im Zuge des Mensaumbaus auch das Schulessen an sich verändern wollte. Heute zahlen diese mit 2,56 für ein Regelmenu und 3,66 für die Biovariante einen etwas höheren Beitrag als der Durchschnitt in Berlin. Da die Oberschulen keinen staatlichen Zuschuss erhalten, können sie die Preise mit den Caterern selbst aushandeln. So können die Schüler der Rosa-Luxemburg-Oberschule heute täglich zwischen vier Gerichten wählen und Beilagen, Obst und Nachtisch aus einem Selbstbedienungsangebot nehmen - so viel sie möchten.
Mehr Unterstützung für benachteiligte Familien
Doch auch dieses Angebot gewährleistet nicht, dass alle Schüler am Mittagessen teilnehmen. Ralf Treptow fordert deshalb vom Senat mehr Unterstützung für Familien, die sich das Schulessen nicht leisten können. "Eine Teilsubventionierung auch an den Oberschulen wäre richtig", sagt der Schulleiter, der seit der Umstellung auf das neue Essensangebot selbst regelmäßig in der Mensa isst.
Nudeln mit Tomatensoße laufen prächtig. Und so lassen es sich auch Leo Große, Kevin Ekhard und Viktor Meyer schmecken. Die Elftklässler essen gerne in der Mensa, vor allem der Gratisnachschlag am Büffet gefällt ihnen. "Es ist gut, dass man hier die Auswahl hat", sagt Leo. Ob das Essen "Bio" ist oder besonders gesund, das interessiert die drei 16-Jährigen nicht wirklich. "Hauptsache, es schmeckt", lautet ihr Fazit.
Eltern sollen mehr zahlen
Berliner Schulessen muss besser werden, aber das kostet
Die Frage "Sollen Eltern mehr für das Schulessen bezahlen?" beantworteten nur 30 Prozent der Teilnehmer an der Leserumfrage mit Nein. 70 Prozent sind dafür und bestätigen damit Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Kaum hatte sie in der vergangenen Woche ihren Vorschlag zur künftigen Finanzierung präsentiert, ging die Diskussion los. Statt durchschnittlich zwei Euro soll das Essen künftig 3,25 Euro kosten. Für Berlin steigen die Ausgaben damit um neun Millionen Euro im Jahr, aber auch die Eltern müssen mehr zahlen. Dass die Mehrheit der Leser dies befürwortet, wundert Erika Takano-Forck von der Arbeitsgemeinschaft Schulessen beim Landeselternausschuss nicht. "Die Eltern fühlen sich für das Essen ihrer Kinder zuständig und wollen dafür auch Verantwortung übernehmen", sagt sie und gibt gleichzeitig zu bedenken, dass der Senat aber die Familien nicht vergessen darf, die sich die Mehrkosten nicht leisten können. Damit kein Kind wegen der Kosten auf ein warmes Mittagessen verzichten muss, müsse der Staat seinen Teil zu einer gerechten Verteilung beitragen.
In Berliner Grund- und weiterführenden Schulen mit einer Ganztagsbetreuung wird ein warmes Mittagessen angeboten. Zuständig dafür sind in Grundschulen die Bezirksämter, die mit den Caterern Verträge schließen. Die Oberschulen handeln die Vertragsbedingungen selbstständig aus. Anders ist es beim Frühstück, bei Zwischenmahlzeiten und den Getränken. Dafür sind die Eltern verantwortlich. Es gibt keine Gesetze, die einen Kiosk oder eine Cafeteria an Schulen vorschreiben. Beim Mittagessen gelten hingegen die Vorschriften des Berliner Schulgesetzes und damit auch die Vorgaben, dass sich die Landesregierung um das Mittagessen in Ganztagsschulen kümmert und in Grundschulen bezuschusst. So zahlen Eltern, deren Kinder das Angebot in Grundschulen wahrnehmen, derzeit eine Kostenbeteiligung von 23 Euro monatlich. Grundschüler, die keine Ganztagsbetreuung nutzen, aber Mittag essen, zahlen den nicht bezuschussten Vollkostenpreis - 30 bis 40 Euro. Ein ähnlicher Preis gilt auch für die Oberschulen. Einen Zuschuss erhalten sie bislang nicht. Diese Preise sollen nun allerdings steigen. Familien, die Arbeitslosengeld II beziehen, bezahlen für das Schulessen ihrer Kinder nur einen Eigenanteil von jeweils einem Euro pro Mahlzeit. Für Geringverdiener-Familien, die keine staatliche Unterstützung bekommen, gilt diese Härtefallregelung aber nicht.
Autor:Jana Tashina Wörrle aus Charlottenburg |
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