Bewegende Geschichte der Réfugiés
Forschen nach den Anfängen - Die erste Generation Hugenotten in Berlin

Frau Dr. Daniela Liebscher, vom Consistoire der Französischen Kirche zu Berlin, begrüßt die Gäste und die vortragenden Profesorinnen im Casalis-Saal der Hugenotten-Gemeinde im Französischen Dom und der Friedrichstadtkirche. | Foto: Anne Schäfer-Junker
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  • Frau Dr. Daniela Liebscher, vom Consistoire der Französischen Kirche zu Berlin, begrüßt die Gäste und die vortragenden Profesorinnen im Casalis-Saal der Hugenotten-Gemeinde im Französischen Dom und der Friedrichstadtkirche.
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Das Hugenotten Museum im Französischen Dom hatte am 30.8.2023 zu einem philosophischen Abend geladen. Mit besonderer Atmosphäre im Casalis-Saal, einem harmonischen Raum in der gebäudemäßigen Verbindung des schönen Französischen Domes mit dem Hugenotten Museum zur Friedrichstadtkirche an der Nordseite des Gendarmenmarktes in Berlin-Mitte.

Julia Ewald, Leiterin des Hugenottenmuseums Berlin, begrüßte voller Freude die Gäste des Abends in dem völlig überfüllten Casalis-Saal und blickte zurück auf die neue Situation nach der Neugestaltung des 2021 wieder eröffneten Hugenottenmuseums im Französischen Dom. Sie begrüßte zum einleitenden Vortrag Frau Prof. Dr. Simone Zurbuchen von der Université de Lausanne, die über einen der berühmtesten Hugenotten Berlins gearbeitet hat: Jean Barbeyrac, den Übersetzer Samuel Pufendorfs ins Französische.

Unter dem Titel "Disziplin, Unterstützung, Mediation. Das Alltagsleben der ersten Generation von Hugenotten in Berlin aus der Sicht des Consistoriums der Französischen Kirche“ gab sie einen lebensauthentischen Überblick zur Entwicklung des Berliner Refuge. Ein paar Beispiele aus dem sehr faktenreichen Alltag in einem komplexen Vortrag zu Sittenkontrolle, Zensur, Rechtgläubigkeit und Sexualmoral: „1700 war jeder 5. Einwohner Berlins hugenottischen Glaubens.“ Und nur in Preußen lebten sie als selbständige Gemeinschaft aufgrund der Rechte die ihnen der Große Kurfürst, als ebenfalls reformierten Glaubens, mit dem Edikt von Potsdam 1685, also per Gesetz, zugestand. 1672 begann die Einrichtung der Französischen Kirche und Berlin erhielt einen Pastor, der im Marstall predigte. 1680 erhält Jacques Abbadie eine eigene Pfarrei. Im November 1682 beginnt die Selbstverwaltung durch ein Consistorium. Die Hugenotten schaffen sich eigene Ärzte, Apotheken, Schulen für die Armen, 1689 wird das ‚College Française’ gegründet.“ Das Consistorium legte 1687-1690 alle Abläufe in der Gemeinde genau fest. Anwärter auf Pastorenämter mußten sich inverschiedenen Phasen Prüfungen unterziehen und den Erlaß der Rechtgläubigkeit unterschreiben.

Frau Dr. Daniela Liebscher vom Consistorium der Französischen Kirche kündigte dann die Autorin des nun vorzustellenden Buches, Frau Dr. Fiametta Palladini, an. Frau Dr. Liebscher ist zu beglückwünschen für diesen Abend – hatte sie doch die Veranstaltungskoordination zu verantworten!

Ebenso begrüßte sie Herrn Dr. Christian Walther, der mit Dr. Fiammetta Palladini nach ihrem Vortrag ein Werkgespräch führen wird. Dr. Christian Walther ist Politologe, Publizist und Journalist, vielen als Journalist und Pressesprecher von Berliner Wissenschaftsinstitutionen bekannt und moderierte ausgezeichnet das schwierige Thema für anschließende Fragen aus dem Publikum. Zudem ist er Mitglied der Hugenotten-Gemeinde.

Die Philosophin Dr. Fiammetta Palladini forschte 10 Jahre lang in Berlin in den 350 Jahre alte Akten der Französischen Kirche zu Berlin. Ihre mühselig-geduldige Suche in den Gemeindeakten ab 1672 und im Geheimen Staatsarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz brachten präzise, faktenreiche Ergebnisse zu den Ursprüngen des Lebens in der französischen Kolonie Berlin hervor. In einem fulminanten wissenschaftlichen Werk hat Frau Prof. Palladini eine kritische Edition verfaßt, in Zusammenarbeit mit dem Archivar der Französischen Kirche zu Berlin, Robert Violet, die jetzt in Paris in französischer Sprache herausgebracht wurde: „Les Actes du Consistoire de l’Eglise française de Berlin [1672 – (4.6.)1694]“, 691 Seiten, Honoré Champion, Paris 2022, www.honorechampion.com Champion ist ein 1874 gegründetes Verlagshaus, dessen Verlegerliste allein für 2022 (Les Actes … auf S. 252 verzeichnet), annähernd 231 Seiten aller Genres und weltweite AutorInnen umfasst, sicher nicht nur Neuerscheinungen.

Damit hat die in Berlin lebende Philosophin und Historikerin Frau Dr. Fiammetta Palladini als Expertin des hugenottischen Refuge womöglich eine historisch-kritische Ausgabe dieser Anfangszeit des Refuge geschaffen. Es mag erstaunlich anmuten, wie sich diese Gemeinschaften seit mehr als 3 Jahrhunderten, bis heute in ihrem tiefen Glauben verwurzelt, von ehemals Glaubensflüchtlingen aus dem Frankreich des Revokationsediktes von Nantes 1685 in und mit ihren Nachfahren der vergangenen 3 Jahrhunderte durch ihre religiösen und moralischen Bekenntnisse in Berlin und dem Umland dieser Assimilation unterzogen haben.***

Die zahlreichen, vor allem bereits in den 1980er Jahren erschienen Publikationen, wie das über die im 18./19. Jahrhundert üblichen Reisebeschreibungen hinausgehende große Geschichtswerk „Hugenotten in Berlin“ [1988 im Union Verlag Berlin (Badstübner-Gröger/ Brandenburg/ Geissler/ Grau /Löschburg /Schnitter/Steiner /Welge /Wilke) ] werden nun mit der Neuerscheinung von Frau Prof. Fiammetta Palladini als einem wissenschaftlich-dokumentarischen Konvolut „gegengelesen“ werden können.

Noch das ganze 18. Jahrhundert hindurch trugen die französischen Niederlassungen in Preußen den Charakter von relativ selbständigen „Kolonien“. Sie bildeten aber keinen „Staat im Staat“. Es gab für die Hugenotten eigene Kirchen und Schulen, eigene Gerichte und Einrichtungen sozialer Unterstützung sowie eigene Friedhöfe. Das Französische Gymnasium („Collège français“) wurde zum Beispiel am 1. Dezember 1689 gegründet. In der Schule wurde nur Französisch gesprochen, denn alle Lehrer waren Franzosen. Es gab einen Lehrer für Lesen, Schreiben und Rechnen, einen für den Religionsunterricht und drei Lehrer teilten sich die Fächer Literatur und Philosophie. Bezahlt wurde die Schule vom Kurfürsten. Für die Kinder war die Schule kostenlos. So konnten alle Kinder der französischen Gemeinde in die Schule gehen.

Bedenkt man die Tatsache, dass die Gemeindemitglieder der Französischen Kirche zu Berlin in der Zeit der DDR auch im Osten Berlins mutig ihr Glaubensbekenntnis gemäß ihren Regeln lebten, ergeben sich mit hoher Wahrscheinlichkeit viele neue Erkenntnisse zur Assimilationsgeschichte. Dies ist jedoch nicht im strengen Sinne einer Synopse zu verstehen, sondern als sozial-psychologisch, philosophisch und historisch gedachte Überschau zur erschienenen Literatur als Anspruch an eine noch zu leistende lebendige Kommunikation und Wissensaneignung eines großen immateriellen Kulturerbes. Das heutige Beispiel der Französischen Kirche zu Berlin, viele Menschen anzusprechen, Gespräche zwischen Experten und interessierten BerlinerInnen zu gestalten, erweckt Lebendigkeit und eine geistreiche Erinnerungskultur, fußend auf guten Berliner Traditionen.

Aber auch unter Experten, wie Archivarinnen, HistorikerInnen und PhilosophInnen scheint das Erscheinen eines Werkes, wie das von Frau Prof. Fiammetta Palladini daraufhin zu deuten, dass es zu einer großen wissenschaftlichen Leistung über mehrere Generationen von ForscherInnen und LiteratInnen kommen kann - in der wissenschaftlichen Erkenntnis und dem tiefgründigen Veranschaulichen von Erinnerung und Geschichte.

In 13127 Berlin-Französisch Buchholz wird durch zahlreiche Straßenbenennungen mit Namen von hugenottischen Familien seit 1999 an die ersten Réfugiés erinnert. Ein Platz wurde nach Heinrich von Navarra benannt - in Erinnerung an das Edict von Nantes.

Anne Schäfer-Junker
(anne.junker@gmx.de )
( www.aujourd-hui.de )

*** [Révocation de l’Edit de Nantes (1685), ist das Edikt von Fontainebleau, mit dem Ludwig XIV. die Rechte und Freiheiten der Hugenotten wieder einschränkte, die ihnen durch das Edikt von Nantes 1598 geben waren.] [Das Edikt von Nantes (franz. Édit de Nantes) von 1598 gewährte den calvinistischen Protestanten (Hugenotten) im katholischen Frankreich religiöse Toleranz und volle Bürgerrechte, fixierte andererseits aber den Katholizismus als Staatsreligion. Damit setzte es vorübergehend einen Schlusspunkt hinter das Zeitalter der Religionskriege zwischen Hugenotten, Katholiken und dem Königtum (Hugenottenkriege). Heinrich IV. (Heinrich von Navarra), der selbst nach seiner Thronbesteigung vom Protestantismus zum Katholizismus konvertiert war und nach seinem Sieg über die ihn bekämpfende Katholische Liga das Land zu befrieden versuchte, unterzeichnete das Edikt am 13. April 1598 in Nantes. Es gewährte den Calvinisten Gewissensfreiheit und die freie Religionsausübung in der Öffentlichkeit, ausgenommen in Paris und Umgebung sowie in Städten mit Bischofssitz oder königlichen Schlössern.Quelle: Wikipedia]

Autor:

Anne Schäfer-Junker aus Französisch Buchholz

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