„Keibelritze“ bald für alle offen?
Senat legt Machbarkeitsstudie zum Ausbau des berüchtigten Gefängnisses als Gedenkort vor
Der Berliner Beauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Tom Sello, fordert gemeinsam mit der SED-Opferbeauftragten des Bundes, Evelyn Zupke, die neuen Regierungen in Bund und Senat auf, Geld für einen nationalen Erinnerungsort im DDR-Gefängnis Keibelstraße bereitzustellen.
Das Präsidium der DDR-Volkspolizei an der Keibelstraße direkt am Alex, zu dem das Gefängnis gehörte, war bekannt bei den Berlinern. Die Leute scherzten, es sei der „größte Automat Berlins: Schmeißte oben eine Scheibe ein, kommen unten viele grüne Männchen raus“. „Angstort der Bürger war nicht der Stasiknast in Hohenschönhausen, den kannten die meisten gar nicht“, sagt Tom Sello. Das Drohpotenzial sei vom Präsidium an der Keibelstraße ausgegangen, so Sello, der seit über zehn Jahren für die Öffnung der „Keibelritze“, wie der Knast im Volksmund hieß, kämpft.
Exakt vor 70 Jahren, Anfang November 1951, hatten die DDR-Oberen zwischen den Gebäuden des 1931 errichteten Karstadt-Verwaltungsbaus und ab 1935 von den Nazis als Statistisches Reichsamt genutzten Blöcken die Untersuchungshaftanstalt II eröffnet. Im Berliner Polizeipräsidium war der Einsatzstab für den Mauerbau, den Honecker 1961 leitete. Dort wurden zwar auch Kriminelle zugeführt, verhört und wochenlang weggesperrt; aber in der Mauerstadt wurden auch viele politische Häftlinge, die abhauen wollten oder irgendwas gegen die SED-Diktatur hatten, weggeschlossen.
Stasi, Polizei, Justiz und Haftsystem
In dem berüchtigten DDR-Gefängnis soll eine Ausstellung zeigen, wie sich das SED-System nicht nur auf Stasi, sondern auch auf Volkspolizei, Justiz und Haftsystem stützen konnte. Die Polizei im Osten „war eben nicht nur der freundliche ABVler (heute Kontaktbereichsbeamter) oder Verkehrspolizist gewesen“ wie Sello sagt, sondern auch brutaler Sicherungsapparat der SED-Herrschaft. Der Berliner Aufarbeitungsbeauftragte Tom Sello gehörte einst selbst zu den Verfolgten.
Das ehemalige Polizeigefängnis am Alexanderplatz steht seit 25 Jahren leer. Nach der Wende wurden in den oberen Etagen noch bis 1996 Abschiebehäftlinge eingesperrt. Seitdem ist der Megaknast mit 177 Zellen für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Außer bei speziellen Führungen konnte bisher niemand in den Polizeiknast. Das neungeschossige Gefängnis mit dem tiefen Schacht fasziniert Regisseure. In den Zellen und Gängen wurden unter anderem Kinofilme wie „Männerpension“ oder „Good Bye, Lenin“ gedreht. 2019 wurde nach langen Debatten im ersten Obergeschoss der Lernort Keibelstraße eröffnet. Eine Ausstellung informiert seitdem vor allem Schüler über Diktatur und Repression in der DDR.
Die Senatsbildungsverwaltung, die im gleichen Gebäudekomplex sitzt und teils in ehemaligen Gemeinschaftszellen ihre Büros hat, hat eine Machbarkeitsstudie zur Nutzung weiterer Etagen in Auftrag gegeben. Das Architekturbüro Merz Merz hat jetzt ein Konzept vorgestellt, für das Sello und Zupke werben. Demnach werden weitere Etagen für öffentliche Rundgänge und Ausstellungen ertüchtigt. Das Glasdach über dem sieben Geschosse tiefen Schacht kommt wieder rauf. 1992 wurde beim Umbau zum Abschiebegefängnis oben eine Decke eingezogen, die entfernt werden soll. Auch der nach der Wende abgebaute Gefängnishof für den 30-minütigen Freigang auf dem Dach mit Gittern und Wachturm soll rekonstruiert werden. Damals habe es dort sogar Verblendungen gegeben, damit Fernsehturmbesucher nicht die Gefangenen sehen konnten, wie Birgit Marzinka vom Lernort Keibelstraße sagt.
Zugang vom Polizeirevier aus
In den denkmalgeschützten Knast im Inneren des Komplexes kommt man zukünftig über einen vorhandenen Durchgang des dortigen Polizeireviers an der Keibelstraße. Davor wird ein Informationspavillon mit Kassen und einer Dauerausstellung errichtet, so der Plan. Die Kosten beziffern die Planer mit 16,5 Millionen Euro. Davon sind allein 4,5 Millionen Euro für den Umzug der Senatsbüros aus Teilen des Knastbaus vorgesehen.
Wann sich Berlin und der Bund über die Finanzierung dieses nationalen Polizeimuseums einigen, ist völlig offen. Laut Sello soll der DDR-Knast Teil des Gedenkstättenkonzeptes des Bundes werden und von der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen betrieben werden. Der Aufarbeitungsbeauftragte sagte, dass nach jetzigen Überlegungen der Umbau erst 2028 beginnen könne. Sello hofft aber auf einen schnelleren Start.
Weitere Informationen zum jetzigen Gedenkort unter www.keibelstrasse.de. Die komplette Machbarkeitsstudie findet sich auf www.aufarbeitung-berlin.de.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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