Unfall ohne Urteil
Ermittlungen zum Horrorcrash auf der Invalidenstraße vor einem Jahr laufen noch
Auch über ein Jahr nach dem verheerenden Unfall auf der Invalidenstraße am 6. September ist nicht geklärt, welche Schuld der Fahrer an der Tragödie mit vier Toten hat.
Blumen und Kerzen stehen an der Kreuzung Ackerstraße in einem Hochbeet. Am Bauzaun vier stilisierte Figuren der getöteten Fußgänger, die an dem sonnigen Septembernachmittag an der Fußgängerampel standen und plötzlich von einem Porsche Macan in den Tod gerissen wurden. Ein mächtiger Knall war zu hören, als der SUV den Ampelmast umknickte und in der Baustelle landete, wo heute ein Neubau in den Himmel wächst. Die Kreuzung bot ein Bild des Schreckens – viele Menschen mussten die Tragödie miterleben, die zwei Touristen (28, 29) und eine 64 Jahre alte Frau mit ihrem dreijährigen Enkel das Leben kostete.
Nach bisherigen Ermittlungen soll der Fahrer (42) des zwei Tonnen schweren SUV einen epileptischen Anfall erlitten und die Kontrolle über seinen Wagen verloren haben. Ohne zu bremsen beschleunigte er auf über 100 km/h und raste in die Fußgängergruppe. Der Mann soll regelmäßig Medikamente genommen haben.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt ein Jahr nach dem Horrorcrash noch immer gegen den Fahrer wegen fahrlässiger Tötung und anderer Delikte. Hätte er überhaupt Autofahren dürfen? Hat er Symptome nicht richtig eingeordnet? Bei dem Unfall gab es zahlreiche Zeugen, die auch ausgesagt haben, dass der Fahrer plötzlich auf die Gegenfahrbahn gezogen und am Stau vorbeigefahren sei. Das zeigt auch die Dash-Cam eines Autos, das im Stau vor ihm fuhr. Ist der Fahrer verkehrswidrig auf die Gegenfahrbahn gezogen, um am Stau vorbei vor der Ampel nach links in die Ackerstraße abzubiegen? Hat er erst dann den Krampfanfall bekommen? Hätte der SUV-Fahrer aus irgendeinem gesundheitlichen Grund im Stau das Gaspedal durchgedrückt, wäre er „nur“ auf das vor ihm stehende Auto aufgefahren und hätte nie auf 100 km/h beschleunigen können. Auf all diese Fragen gibt es nach einem Jahr immer noch keine abschließenden Antworten.
Bundesweite Diskussion über SUV
Die Ermittlungen dauern an und seien aufwändig, sagt die Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft, Mona Lorenz. „Um den konkreten Unfallhergang hinsichtlich aller Aspekte – hier sind diverse technische als auch menschliche Einflüsse zu berücksichtigen – zu ermitteln, waren mehrere technische und medizinische Gutachten einzuholen“, so Lorenz. Abschließende Gutachten stünden noch aus. Erst dann könne der Unfall rechtlich eingeordnet werden. „Sollte sich nach Abschluss aller Ermittlungshandlungen der Tatverdacht wegen fahrlässiger Tötung und anderer Delikte gegen ihn erhärten, wird gegen ihn Anklage erhoben“, sagt die Sprecherin.
Der Unfall hatte bundesweit eine Diskussion über große Fahrzeuge wie die sogenannten SUV-Geländewagen ausgelöst. Auch heute betont Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) bei seinem Gedenkpost auf Twitter zum Jahrestag des Unfall den „außer Kontrolle geratenen SUV“. Dabei ist doch mutmaßlich verkehrswidriges Verhalten des Fahrers und ein medizinischer Notfall Ursache für den Unfall.
Anwohner hatten kurz nach dem tödlichen Crash eine Initiative für mehr Verkehrssicherheit auf der Invalidenstraße gestartet. Nach 50 Tagen wurden Ende Oktober 2019 zwischen Nordbahnhof und Brunnenstraße Tempo-30-Schilder montiert. Wie die Verkehrsverwaltung mitteilt, sollen noch im Oktober die Arbeiten für gesicherte Radwege beginnen. Zwischen Gartenstraße und Elisabethkirchstraße werden beidseitig mit Pollern abgegrenzte, 2,35 Meter breite Radwege gebaut. Alle Parkplätze in dem etwa 600 Meter langen Abschnitt fallen weg. Weitere Planungen zur Verkehrssicherheit für Fußgänger und Radfahrer wie Gehweg-Vorstreckungen oder durchgehende Bürgersteige an den Einmündungen sind in Planung. Die Maßnahmen wurden gemeinsam mit Anwohnern und Verkehrsplanern in der „Projektgruppe Invalidenstraße“ erarbeitet.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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