Die Tourismus-Branche wächst und mit ihr die Chance auf eine Ausbildung
Berlin ist im Tourismus-Bereich die am stärksten wachsende Stadt Europas. Die Marketing-Gesellschaft Visit Berlin hat vor Kurzem eine Zwischenbilanz für 2013 gezogen. Demnach kamen im ersten Halbjahr dieses Jahres etwa 5,3 Millionen Hotel- und Pensionsgäste in die Stadt. Das sind fünf Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Von Januar bis Juni wurden etwa 12,4 Millionen Übernachtungen gebucht - 9,2 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2012. Bei den Übernachtungszahlen ist Berlin europaweit die Nummer drei hinter London und Paris. Der Chef von Visit Berlin, Burkhard Kieker, blickt zudem positiv in die Zukunft: "Ich glaube, dass wir uns auf dem Niveau von Paris bewegen werden." Die französische Hauptstadt kommt jährlich auf rund 36 Millionen Übernachtungen. Hier ist also in den kommenden Jahren mit mehr Jobs zu rechnen. Fast 16 000 Beschäftigte zählt das Berliner Hotelgewerbe bereits. Das gesamte Gastgewerbe mit den Beherbergungsbetrieben und der Gastronomie gilt als größter Arbeitgeber der Stadt. Gleichzeitig gehen die Bewerberzahlen zurück, zum einen wegen des demografischen Wandels, zum anderen, weil die meisten Abiturienten sich gleich für ein Studium entscheiden anstatt zunächst eine Ausbildung zu machen.
Das spürt auch die Personaldirektorin des Estrel, Annette Bramkamp. "Früher hatten wir bis zu 3000 Bewerbungen pro Jahr", sagt sie. Heute würden sich rund 1000 Jugendliche auf einen Ausbildungsplatz in dem Hotel, das sich zudem als Convention- und Entertainment-Komplex versteht, bewerben - bei 30 zu vergebenen Plätzen pro Jahr immer noch eine große Auswahl.
Nicht verwunderlich, denn das Estrel bietet jungen Leuten eine breite Ausbildung und eine besondere Berufserfahrung. Seit 2009 verlegt ein Azubi-Team für jeweils sechs Monate seinen Arbeitsplatz vom Norden Neuköllns in den Süden des Bezirks, um auf Schloss Britz das dortige Hotel und Restaurant selbstständig und eigenverantwortlich zu führen. 75 angehende Köche, Hotel- und Restaurantfachleute, Veranstaltungskaufmänner und -frauen sowie Fachkräfte für Veranstaltungstechnik sind im Estrel derzeit in der Lehre. Einer von ihnen ist seit Februar der 24-jährige Hun Tri Pham.
Der Neuköllner ist im ersten Ausbildungsjahr zum Hotelfachmann und derzeit in der Küche eingesetzt. Er kümmert sich mit ums Frühstück und arbeitet im Kantinendienst. Er bereitet das Essen vor, schneidet Obst, belegt Platten, füllt das Buffet auf und hält es sauber. "Ich lerne nur, wenn ich etwas Praktisches mache", sagt er. Dass hatte Pham nach einem einjährigen BWL-Studium und einem längeren Praktikum in einer Eventagentur für sich erkannt. Darum entschied er sich für eine Ausbildung - und bewarb sich zunächst als Veranstaltungskaufmann im Estrel.
Im Estrel Convention Center, das im selben Gebäudekomplex untergebracht ist, finden laut des Hotels jährlich rund 1800 Veranstaltungen statt. Und in dem ebenfalls angegliederten Estrel Festival Center können Besucher schon seit 16 Jahren die Show "Stars in Concert" erleben, in der Doppelgänger internationaler Stars vergangener Zeiten und der Gegenwart wie Marilyn Monroe oder Robbie Williams auftreten.
Doch im Veranstaltungsmanagement war gerade nichts frei, als sich Hun Tri Pham bewarb. Das Estrel bot ihm aber stattdessen einen Ausbildungsplatz zum Hotelfachmann an, denn der 24-Jährige passte mit seinem Fachabitur gut ins Profil.
"Wir nehmen gern Schulabgänger mit Abitur", sagt Annette Bramkamp. Sie beherrschen in der Regel Englisch und würden Kenntnisse in einer weiteren Fremdsprache mitbringen. Hinzukomme, dass diese Bewerber volljährig seien, sodass man sich bei ihnen nicht nach dem Jugendarbeitsschutz richten müsse. "Ein Hotel ist ein 24-Stunden-Betrieb", erklärt Bramkamp. Da werde häufig bis in die späten Abendstunden und auch nachts in Schichten gearbeitet. Unter 18-Jährige dürfen nach dem Gesetz zu diesen Zeiten nicht eingesetzt werden, auch Sonn- und Feiertagsarbeit ist verboten.
"Das bedeutet aber nicht, dass 16-Jährige mit mittlerem Schulabschluss keine Chance haben", betont die Personaldirektorin. Es komme in der Branche vor allen Dingen darauf an, offen zu sein, auf Menschen zuzugehen, ein Gespür für die Wünsche und Bedürfnisse der Gäste zu haben. "Das ist ein herausfordernder Beruf." Körperliche Fitness sei ebenfalls ein Muss. Und Leute, die in der Hotellerie arbeiten, müssen mit Stress umgehen können. Beispiel Frühstück. Bis 7.30 Uhr ist nichts los, aber dann stürmen alle auf einmal das Büfett. Bramkamp: "Dann gilt: Nicht hektisch werden und freundlich bleiben."
Dass Hun Tri Pham kontaktfreudig und kommunikativ sein könnte, war seinem Lebenslauf abzulesen. Er hatte während des Studiums als Kellner und Barkeeper gejopt. Dass er das tatsächlich auch ist, stellte er schließlich im Estrel unter Beweis. Bevor er mit seiner Ausbildung begann, absolvierte er hier ein sechsmonatiges Praktikum als Page. Er trug den Gästen ihr Gepäck aufs Zimmer und am Ende ihres Aufenthaltes wieder zum Taxi, erklärte ihnen die Einrichtung des Zimmers, beantwortete erste Fragen, erledigte Botengänge - und lernte so das Hotel mit seinen 1125 Zimmern von oben bis unten kennen.
Bevor er jetzt in der Küche im Einsatz war, hat der 24-Jährige im Bankettservice gearbeitet. Dort bereitete er Tagungsräume vor und deckte Tische ein. Außerdem war er bereits in seinem alten Metier an der Hotelbar eingesetzt. "Das ist mir leicht gefallen und hat mir bisher am meisten Spaß gemacht", sagt er. Denn erst an der Bar komme man als Hotelmitarbeiter mit den Gästen richtig in Kontakt. "Die Gäste sind dort gut drauf, ich unterhalte mich gern mit ihnen."
Alle zwei bis drei Monate durchläuft Hun Tri Pham eine weitere Station im Hotel, Housekeeping, Reservierung, Rezeption, Buchhaltung, Personalbüro sowie die Verkaufs- und Veranstaltungsabteilung stehen noch an. Dass Hun Tri Pham nach seiner Hotelfachmannlehre doch noch in der Veranstaltungsabteilung des Estrel arbeiten wird, ist nicht ausgeschlossen. Zum einen werden laut Annette Bramkamp etwa die Hälfte der Auszubildenden erst einmal übernommen, zum anderen stehen alle Abteilungen nach der Beendigung der Lehre prinzipiell offen.
Laut der Bundesagentur für Arbeit verdienen Auszubildende zum Hotelfachmann beziehungsweise zur Hotelfachfrau im ersten Ausbildungsjahr 423 bis 557 Euro, im zweiten 508 bis 637 Euro und im dritten Lehrjahr 583 bis 718 Euro. Später liegt das durchschnittliche Bruttogehalt nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei 1800 Euro.
Autor:Sandra Pohl aus Reinickendorf |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.