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AUFRECHT IN BERLIN, Metamorphosen eines Mannes | von K.R.G. Hoffmann

Foto: Andreas Imhof & Nancy Marisa Arlt/Ponnath | Umschlag Juliane Wernhard

Wer die Netflix Serie ‚The Americans‘ über Sowjetspione im Lande des Systemfeinds USA gesehen hat, ist schon gut vorbereitet auf die Thematik: Subversive Treffs, konspirative Wohnungen, Tarnidentitäten - dieser Großstadtroman von K.R.G Hoffmann hat es auf 680 Seiten in sich.

Die lebendige "Berliner Schnauze", will meinen, mit Lokalkolorit zeigt der Autor sich weniger als Literat denn als begnadeter Erzähler. Immer wieder gelingen ihm treffliche Charakterisierungen, wie etwa die mit der Beschreibung des Schmiedes und seines Sohnes: „Attraktiv für Frauenaugen sah keiner der beiden aus. Aus rotbraun gegerbter Gesichtshaut, die von Narben eingebrannter Schlacke oder glühenden Funken stammten, sprossen stoppelige Barthaare, die keine geschlossene Fläche bildeten … Wenngleich sauber angezogen, wirkten sie, als hätten sie gerade ihre Lederschürzen abgelegt“ (Seite164/65).

Die Geschichte nimmt ihren Lauf im Vorkriegs-Berlin. Der berlinernde Opa, ein honoriger Geschäftsmann in Berlin-Britz, rettet durch eine 'Köpenickiade' seinen jüdischen Freund und Arzt vor der Deportation ins Nirgendwo. Erschütternde Szenen aus dem Endkampf in und um Berlin Neukölln mit den Vergewaltigungs-Exzessen der 'Russen' in der Trümmerstadt 1945, bis zu dem Punkt 'Wer und Was sind noch da' als Weg aus dem ersten Elend werden erinnert.
Sozialistische Morgenappelle der Pioniere ergeben eine seltsame Melange in zwei Berliner Welten. Der Protagonist, ein junger Steppke namens Roland, wächst in Ostberlin bzw. Berlin - Hauptstadt der DDR - auf. Er hat reichlich Verwandtschaft im anderen Teil der Stadt, aber Stiefvaters Staatsnähe und die Gefolgschaft seiner Mutter komplizierten bereits das familiäre Miteinander. Wer Berlin gut kennt, erlebt hier einen Gang durch Geschichte und Topographie. Britz, Neukölln, Friedrichshagen, Lichtenberg, Friedrichshain, Stalinallee, Prenzlauer Berg, Mitte, Pankow, Treptow, sowie die Randgebiete Ludwigsfelde und Saarmund und die DDR-Städte Cottbus, Dessau, Rostock, Binz, des weiteren Elend und Sorge im Harz sind Anlaufpunkte des durch die Republik rasenden Rolands.
Die Lesenden erfahren auch etwas über Technikgeschichte und die kurze Phase des DDR-Flugzeugbaus, in dem es Roland nachgerade Ehre und Freude schien, ein kleines Mosaiksteinchen zu sein.
Seine Eltern, Vattern Auslandskorrespondent und Muttern Sekretärin, zieht es beruflich nach Syrien, Damaskus. Ihr Junge kam in ein Internat in Ludwigsfelde bei Berlin, mit GST-Segelfliegerschule in Saarmund. Nach dem Abschluss der Lehre hatte Roland den Wunsch Flugzeugführer zu werden. Zeitlich ungelegen gegenüber der Segel-Fliegerei, aber an Exotik nicht zu überbieten, folgte Roland der Einladung nach Damaskus. Er bekam einen eigenen Pass und erlebte den Orient, wie er ihn aus 'Tausend und einer Nacht' zu kennen glaubte.
Der Jüngling wird zum Mann, der seine Liebesabenteuer dermaßen geniest, um sogar durch eine kleine körperliche Veränderung den Lustgewinn für beide Seiten zu steigern.
Auf der Motorflugschule, beim Militär, beutelte ihn ideologisch und emotional der Mauerbau. Seine große Liebe ging ihm in Folge dessen genauso verlustig wie sein Berufsziel - er durfte nicht mehr fliegen. Den zwölfjährigen Dienst will er nicht leisten, sondern nur noch raus aus der Armee. In Schweijkschem-Stil haut er dermaßen über die disziplinarische Strenge, das er von Glück sagen kann, letztendlich nach der Kuba-Krise aus der Armee entlassen worden zu sein. Er hatte genau im Höhepunkt der Krise, 'Angst vor dem Feind' und konnte von Glück sagen, gerade noch einmal kurz dem Militärstaatsanwalt 'von der Schippe gerutscht zu sein', bevor er doch noch 'In Ehren' ins Zivile entlassen wurde.
1965 dann der Versuch, die ihm zugedachte Bewegungsfreiheit im DDR-System zu überwinden. Das ging schief, er kam über den CSSR-Horrorknast zu Mielke nach Berlin-Hohenschönhausen.
Fragt sich, was die Eltern an Standorten wie Damaskus, Bagdad, Kuba und Bukarest im Rahmen ihrer Tätigkeit als Korrespondenten für den ADN wirklich tun. Auslandsaufklärung? Das wird nicht gesagt, ist aber ablesbar an der Reaktion der oberen Ränge wenn die 'verdienten Eltern' dem in Not befindlichen Sohn aus der Bredrouille halfen. Nach insgesamt 92 Tagen war Roland mit der Auflage sich in der Produktion zu bewähren zwar wieder frei, aber inzwischen hatten hatten ihn die Knast-Erlebnisse in der CSSR zu einem Hasser des Systems werden lassen.
Das der zweite Fluchtversuch als 'Sperrbrecher' gelingt, spiegeln echte Freundschaft und Vertrauen wieder. Er wird selber Fluchthelfer.
Im Kreis von Gleichgesinnten schuf er eine solide Basis - im Widerpart zu den Häschern des Ministeriums für Staatssicherheit, dem russischen KGB und unter der Neugier vom amerikanischen CIA, CID, der englischen und französischen Abwehr, sowie der West-Berliner politischen Abteilung I und II. Auf über hundert Seiten werden im einzelnen Fluchtaktionen und Schicksale spannend offengelegt. Bei über achtzig Personen hat er selber deren Schicksal zum Guten mitbestimmt.
Die zeitlich parallele Entwicklung der Familie, Liebe, Heirat und Kontakt zum staatsnahen Elternhaus in Ost-Berlin sowie die Bemühungen, den bei der Fluchthilfe verhafteten Freund, dem er selbst den Weg in die Freiheit zu verdanken hatte, aus dem Gefängnis in Ostberlin frei zu bekommen, stehen in spannender Wechselbeziehung.

Spannender Agentenkrimi – eines ansonsten gottgefälligen Normalos.
Historische Figuren u.a. wie Zicke Ulbricht, die rote Guillotine Hilde, Rolf Eden, R. Hildebrandt, H. Kreutzer, R. Furrer, H.Wehner und H. Lummer finden Erwähnung – informativ! Lesenswert!

AUFRECHT IN BERLIN,
Metamorphosen eines Mannes
K.R.G. Hoffmann,
tredition Verlag | Hamburg 2020
Paperback | 680 S. | € 26.- | ISBN 978-3-7482-6297-8
Hardcover | € 35.- | ISBN 978-3-7482-6235-0
Auch als e-book | ISBN 987-3-7482-6235-0

Autor:

NetzStamm | Elmar F. Michalczyk aus Mitte

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