"Nichts für Eilige"
Berlins erste Straße wird über Jahre für die Nachwelt haltbar gemacht

Landesarchäologe Matthias Wemhoff und Chefrestaurator Philipp Schmidt-Reimann (rechts) lüften die Schatzkammer. | Foto:  Ulrike Kiefert
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Er war der Sensationsfund: der mittelalterliche Bohlendamm unter dem Molkenmarkt. Nur kurz haben ihn die Berliner bestaunen dürfen. Denn Berlins älteste Straße wird für die Nachwelt konserviert – ein mühsamer Prozess.

Zwei Mal in der Woche muss Chefrestaurator Philipp Schmidt-Reimann raus nach Friedrichshagen. In die Restaurationshalle des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte. Dort lagert ein Fund, der bei seiner Entdeckung für so viel Begeisterung sorgte wie sonst keiner: Berlins älteste Straße. Wobei „lagern“ nicht ganz stimmt. Der fast 800 Jahre alte Bohlendamm schwimmt in Wasser, unter luftdichter Folie in drei großen Tränkungswannen aus Edelstahl. Das verschafft dem Restaurator Zeit.

Und es braucht viel Zeit für das, was Schmidt-Reimann und sein Team vorhaben. Sie konservieren den mittelalterlichen Holzweg für die Nachwelt. Allerdings nicht die gesamten 65 Meter, die Archäologen vor über zwei Jahren auf dem Molkenmarkt freigelegt haben, sondern „nur“ etwa sieben davon. Bei einer Dammbreite von sechs Metern sind das 40 Stämme, vor allem Kiefer und Eiche, zusammen gut zehn Tonnen schwer. „Natürlich gab es den Wunsch, den gesamten Bohlenweg zu konservieren“, sagt Philipp Schmidt-Reimann. Doch das gehe nun mal nur in Teilen. „Wir müssen den Zerfall mühsam stoppen, das ist ein Kraftakt und nichts für Eilige.“

Letzte Messung vom Zelluloseanteil im Holz.  | Foto: Ulrike Kiefert
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Denn organisches Material zu erhalten, ist knifflig und langwierig. Im Fall des Bohlendamms haben sich die Experten für die sogenannte Nassholzkonservierung entschieden. Wasser schützt vor Sauerstoff und UV-Strahlen und ist somit ein guter Konservierungsstoff. Es dringt in die Zellen des Holzes ein und stabilisiert sie. In den Tränkungswannen läuft dieser chemische Prozess gerade ab. Philipp Schmidt-Reimanns Job ist es, genau zu beobachten. Schwimmen Luftblasen im Wasser, weiß er, dass sich Bakterien durchs Holz fressen und das Wasser gewechselt werden muss. Das könnte bald wieder anstehen, denn unter der Folie riecht es leicht nach Schwefel. Auch ein Indiz dafür, dass Mikroorganismen am Werk sind. Um den Abbaugrad der Bohlen festzustellen, misst der Chefrestaurator regelmäßig ihren Zellulosegehalt mit einem Infrarotspektroskopen. Lignin, eine härtende Substanz in der Holzzellwand, spielt dabei eine wichtige Rolle. „Je höher der Lignin-Anteil ist, desto mehr Zellulose ist bereits abgebaut und das Holz anfälliger für den nächsten Schritt“, erklärt der 47-Jährige. Aktuell liegt der Lignin-Gehalt bei 45 Prozent. Normal wären 25 bis 28 Prozent. „Wir warten jetzt, bis dieser Wert erreicht ist. Dann kennen wir den Zustand des Holzes genau.“

Als nächstes werden die Bohlen mit Polyethylenglykol getränkt. Das ist jedenfalls der Plan. Das PEG soll das im Holz enthaltende Wasser ersetzen und seine festigende Wirkung übernehmen. Dauern könnte das etwa ein Jahr. Ist die Beprobung mit PEG oder einem anderen wasserlöslichen Wachs erfolgreich, werden die Bohlen gefriergetrocknet. Das Gefriertrocknen ist ein spezielles Verfahren zur schonenden Trocknung von Holz, besonders von archäologischem Holz, damit es nicht schrumpft. „Es ist ein Königsweg, gut erforscht, aber sehr teuer“, sagt Schmidt-Reimann. Daher der Aufwand mit der langen Beprobungsphase vorher.

Jede der drei Tränkungswannen fasst 2000 Liter Wasser. | Foto: Ulrike Kiefert
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Wo genau die Bohlen getrocknet werden, steht noch nicht fest. Matthias Wemhoff hofft, es in Berlin machen zu können. Wemhoff ist der Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, unter dessen Fachaufsicht die Konservierung läuft. Auch er ist heute nach Friedrichshagen gekommen, um den Zustand des wichtigen Zeitzeugnisses zu begutachten. „Es war ein beeindruckender Fund“, sagt Berlins Chefarchäologe. „Einfach unvorstellbar, dass der Damm so gut erhalten war, als wir ihn gefunden haben.“ Entdeckt wurde die massive Holzkonstruktion aus drei Lagen Eichen-, Birken- und Kiefernstämmen im Januar 2022 im Sandboden unter dem Molkenmarkt. Der Bohlendamm verlief nur leicht versetzt zur Spandauer Straße und ist die älteste bisher gefundene Infrastruktur Berlins. Eine luftdichte Torfschicht hatte das Holzbauwerk verdeckt und rund 700 Jahre vor Witterung geschützt.

Gleich nach dem Sensationsfund machten sich die Archäologen an die Arbeit. Die ausgegrabenen Bohlen wurden zunächst vor Ort in einem künstlichen Teich versenkt, berichtet Matthias Wemhoff. Damit die Luft sie nicht zersetzt. Derweil suchte das Museum nach einer passenden Halle für die geplante Konservierung des Teilstücks und fand sie in Friedrichshagen auf dem Gelände der früheren physikalischen Prüfanstalt der DDR. Das Grundstück gehört heute der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die Halle wurde hergerichtet und etwa ein Jahr nach ihrem Fund kamen die Bohlen vom Molkenmarkt an den Müggelsee. Zwischendurch lieferten die Untersuchungen erste Ergebnisse. So zeigten die Jahresringe der Kiefernstämme an, dass die ersten Arbeiten am Bohlendamm etwa 1215 begonnen und bis Anfang der 1230er Jahre angedauert hatten. Seine gesamte Länge und seinen Verlauf konnten die Archäologen jedoch nicht genau angeben. Vermutet wird, dass der Weg einst vom Stralauer Tor zum Mühlendamm führte, der einzigen Verbindung zwischen den damaligen Teilstädten Cölln und Berlin über die Spree.

Nur Holzstämme ohne Brüche und mit hohem Härtegrad wurden für das Konservieren ausgesucht.  | Foto: Ulrike Kiefert
  • Nur Holzstämme ohne Brüche und mit hohem Härtegrad wurden für das Konservieren ausgesucht.
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Ob die Berliner ihren Schatz dauerhaft zu sehen kriegen, hängt vom Erfolg der Konservierung ab. Matthias Wemhoff und sein Chefrestaurator gehen zwar davon aus, dass sich der Zustand der geretteten Bohlen nicht verschlechtert. Dennoch schwingt Sorge mit, wenn Wemhoff sagt: „Das Holz darf nicht verfallen, sonst können wir es nicht ausstellen.“ Passieren soll das entweder in einem Museum oder in einem archäologischen Fenster, am besten auf dem Molkenmarkt. Bis dahin werden aber noch Jahre vergehen. Vielleicht sechs ab jetzt, schätzt Wemhoff. Ganz sicher aber bis 2037. Dann feiert Berlin seinen 800. Geburtstag und ist dann genauso alt wie seine erste Straße.

Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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