"Wir waren wie eine Insel"
Das "Sonnenhaus" blickt auf eine lange Tradition zurück
In Zeiten des Buchladensterbens haben spezialisierte Läden die größere Chance. Wie das „Sonnenhaus“ an der Linienstraße. Die katholische Buchhandlung führt Bettina Klinkmann in dritter Generation.
Im Schatten von St. Adalbert liegt das „Sonnenhaus“. Wie die Kirche trägt die kleine Buchhandlung schwer an Tradition. Und sie ist katholisch – im ganz und gar unkatholischen Berlin. Doch genau diese Spezialisierung macht es dem „Sonnenhaus“ leichter, im digitalen Heute, wo die klassische Sortimentsbuchhandlung ausstirbt, zu überleben. „Ohne die Spezialisierung auf christliche Bücher hätten wir schon vor langer Zeit dicht machen müssen“, sagt Bettina Klinkmann. Denn reine Belletristik habe viel zu viel Konkurrenz. Nach der Wende war das noch anders. „Heute aber ist Lesen Luxus, die Leute halten ihr Geld zusammen, sind wählerischer.“ Bettina Klinkmann nippt an ihrem Kaffeebecher, hinten in der Leseecke zwischen Bücherstapeln und Heiligenfiguren. Vergangenes Jahr habe sie überlegt, die Buchhandlung zu schließen, entschied sich aber dagegen. „Ich mache das gerne hier“, sagt die 50-Jährige. „Das ist mein Leben.“ An der Kasse wartet eine Kundin, Bettina Klinkmann muss nach vorne.
Vor sieben Jahren hat die ausgebildete Buchhändlerin das „Sonnenhaus“ übernommen, führt es in dritter Generation. Bettina Klinkmanns Mutter Heidrun verkauft mit im Laden, der in Ost-Berlin die einzige katholische Buchhandlung war. „Wir waren wie eine Insel“, erinnert sich die 79-Jährige. In der Buchhandlung trafen sich Gleichgesinnte, hier wurden Neuigkeiten ausgetauscht, reisten Bekannte von weit her an. Aber es gab auch schwierige Zeiten. „Wir mussten lange auf ein Auto warten.“ Das brauchten die Klinkmanns, die oft auf Gemeindefesten oder anderen Veranstaltungen in den Pfarreien mit Büchertischen unterwegs waren. Und das nicht nur in Berlin. Auch war es für Heidrun Klinkmann schwer, das „Sonnenhaus“ 1985 von ihrem Vater zu übernehmen. „Eine Frau von der Industrie- und Handelskammer drohte mir damals: Sie bekommen die Buchhandlung nie“, erzählt Heidrun Klinkmann, die in Leipzig die Buchhändlerschule besuchte und nebenbei ein Fernstudium absolvierte. Erst als die Kirche beim Staatssekretär für Kirchenfragen intervenierte, durfte sie das Geschäft weiterführen.
Heidrun Klinkmanns Vater, Rudolf Ziegler, gründete den Familienbetrieb 1925. Kaum 24 Jahre alt, eröffnete er damals mit jugendbewegter Begeisterung für den Quickborn (katholische Jugendbewegung, gegründet 1913, Anm. d. Red.) in der Annenstraße (Heinrich-Heine-Viertel) den katholischen „Buch- und Werkladen Sonnenhaus“. Dort gab es neben Büchern alles zu kaufen, was man für ein naturverbundenes Leben brauchte: Wanderschuhe, Rucksäcke, Zeltplanen und sogar Faltboote. Im Februar 1945 ging das erste „Sonnenhaus“ bei einem Bombenangriff unter. Der Laden wurde erst in die Bohnsdorfer Wohnung verlegt, später dann ein separater Laden angemietet. Während des Krieges leitete Elisabeth Ziegler die Geschicke des Geschäfts. Als Rudolf Ziegler 1949 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, ergriff er sofort die Initiative und zog mit Rucksack und Handwagen voller Bücher übers Land. Büchertische in den Gemeinden sind seit dieser Zeit üblich im „Sonnenhaus“, da wurde die ganze Familie eingespannt. Doch Bohnsdorf erwies sich auf Dauer als zu abgelegen. Etwas leichter wurde es, als das Geschäft 1959 nach Mitte zurückkehren konnte. In der Oranienburger Straße 1 war das „Sonnenhaus“ dann 41 Jahre ansässig, bis es 2000 weichen musste. Das Haus sollte von Grund auf saniert werden. Die Klinkmanns zogen ein paar hundert Meter weiter in die Oranienburger Straße 32 in die Heckmannhöfe, bestens gelegen zwischen dem erzbischöflichen Ordinariat an der Niederwallstraße, der Hedwigs Kathedrale und der Katholischen Akademie an der Hannoverschen Straße. Mehr als 40 000 Bücher stapelten sich in dem 70 Quadratmeter kleinen Laden bis unter die Decke.
Doch auch von dort wurde das „Sonnenhaus“ wieder vertrieben. Mieter wie der private Buchladen passten nicht mehr ins exklusive Konzept. 2013, einen Tag vor Weihnachten, flatterte Heidrun Klinkmann die Kündigung ins Haus. „Das war für uns wirklich existenzbedrohend.“ Denn in Mitte bezahlbare Ladenräume zu finden, war alles andere als leicht. „Wir wollten aber unbedingt in Mitte bleiben, wegen unserer Stammkunden“, sagt Heidrun Klinkmann. Mit Hilfe der katholischen Kirchengemeinde fanden die Klinkmanns schließlich die Räume in der Linienstraße 100 neben St. Adalbert – dank der Kirche zu einem bezahlbaren Mietpreis. „Das ist unsere glückliche Käseglocke hier“, sagt Bettina Klinkmann. „Wir sind hier gut aufgehoben und von der Gemeinde sehr behütet.“
Und so schließt sie weiter jeden Morgen die Buchhandlung auf, verkauft Klassiker christlicher Literatur, Kerzen, Kreuze und Rosenkränze, aber auch Kinderbücher und Belletristik. Priester sind ebenso Kunden wie Eltern, die ihre Kinder zur Erstkommunion oder Konfirmation beschenken wollen. Bettina Klinkmann geht mit Büchern und christlichen Devotionalien auch zu Elternabenden in die Kirche oder zieht mit Büchertischen durch die Gemeinden. All das gehört zum Leben der Sonnenhäuslerin dazu. Das ist Tradition, genauso wie die Leidenschaft für Bücher.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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