Die neue Show möchte alles in den Schatten stellen
Es ist kurz vor 19.30 Uhr. Die Garderobentür von Oscar Loya geht langsam auf und der Star von "Show me" tritt, ein Liedchen trällernd, auf den Flur. Sein grünes Oberteil glitzert und funkelt. Von Eile oder gar Stress keine Spur, doch trotzdem hängt eine ganz besondere Spannung in der Luft. Tänzerinnen in silbrigen Kostümen huschen vorbei. Dann ertönt eine harte Männerstimme aus dem Lautsprecher: "Die Show beginnt in fünf Minuten." Es geht los in Richtung Bühne. Auf dem Weg noch ein bisschen Haarspray, Lippenbalsam und ein Hustenbonbon. Bauchgurt und Kabel festgezurrt und los. Der Vorhang geht auf und die Spannung ist wie weggeblasen. Auch durch den Lautsprecher hinter den Kulissen ist jetzt der Gesang von Oscar Loya zu hören.
Vier Stunden Aufwärmen und Einsingen
Rückblende: Es ist 14 Uhr. Die Sänger und Tänzer haben Pause, erst in vier Stunden werden sie zum Aufwärmen, Einsingen, Umziehen und Schminken in ihre Garderoben kommen. Training war am Vormittag. Jeden Tag eine Stunde, manchmal noch Workshops.
Am Nachmittag ist das junge Ensemble dran, mit seiner eigenen Kindershow "Ganz schön anders". Wie bei der großen Show, bei der Bühnentechnik und beim Gebäude, stellt der Friedrichstadt-Palast auch hier Rekorde auf: teuerste Produktion aller Zeiten, größte Theaterbühne der Welt, modernster Show-Palast und größtes Kinder- und Jugendensemble Europas.
Niemand hat eine so große Bühne
Doch dahinter steckt eine Menge Arbeit. "Niemand hat so eine große Bühne wie wir, aber diesen Raum müssen die Darsteller auch ausfüllen", erklärt Intendant Berndt Schmidt. Mit zehn oder 20 Tänzern, wie in anderen Theatern üblich, könne er eine solche Revue nicht planen. "Da brauchen wir schon unser ganzes Ballett von 60 Leuten, die vielen Solisten und die Akrobaten", sagt er und schaut dabei von der neuen VIP-Lounge oberhalb der Zuschauerränge in den Saal. Schmidt erreichte mit der vorherigen Show "Yma" eine Zuschauerzahl von über 700 000. Jetzt strebt er die Millionenmarke an. Noch knapp zwei Jahre hat er dafür Zeit.
100 Künstler - acht Shows in der Woche
Über 100 Künstler sind Teil der Show und zeigen in bis zu acht Vorstellungen jede Woche ihr Können. Vergleichen könne man diese Dimensionen, wenn überhaupt, mit den Theatern in Las Vegas, sagt Berndt Schmidt. Sein Ziel ist es, mit der neuen Show auch ein so starkes internationales Renommee zu bekommen wie die weltweit bekannte Glamour-Metropole. "Wir haben die Revue gerade in die Jetzt-Zeit geholt und mit der nächsten Show planen wir den internationalen Durchbruch", kündigt der Intendant an, der schon jetzt mit den Planungen für seine vierte Großproduktion in Berlin beginnt. "Vor der Premiere ist nach der Premiere", sagt er und löscht das Licht in der Lounge.
Die Bühne erstrahlt jetzt dafür umso heller. Nach der Show des jungen Ensembles geht es dort sofort los mit den Abendvorbereitungen: Licht, Bühnenbild, Wasserfall und vor allem die Sicherheit der Darsteller und Zuschauer müssen penibel überprüft werden. "Die Show kann erst beginnen, wenn die Feuerwehr alles abgenommen hat", sagt Bühnenmeister Peter Müller. Mit seinem Team von 16 Leuten ist er dafür zuständig, dass sowohl der Auf- und Abbau des Bühnenbilds klappt als auch der komplette Ablauf der Show.
Schuhe und Wehwehchen
Insgesamt hat der Friedrichstadt-Palast heute rund 250 Angestellte - zu DDR-Zeiten waren es etwa dreimal so viele. Neben dem Ballett und den Technikern gehören dazu auch Choreografen und Betreuer, Damen- und Herrenschneider, Maskenbildner und eine Schuhmacherin. Ines Günter ist sogar Schuhmachermeisterin und allein zuständig für alle Schuhe der Künstler - bis zu zehn Paar pro Person. Da gibt es viel zu reparieren, zu weiten, zu ändern und immer mal wieder auch selbst anzufertigen. "Die Schuhe müssen einerseits perfekt zum Kostüm passen und andererseits auch tanzbar sein", erzählt die 45-Jährige. Wie eine zweite Haut müssten sich die Kostüme trotz langer Schleppen, hoher Absätze und schwerem Kopfschmuck anfühlen. Durch diese Anforderungen kennt Ines Günter auch das eine oder andere Wehwehchen der Künstler.
Ganz nah dran an den Künstlern ist auch Antje Potthast. Nicht nur, dass sie sie gemeinsam mit ihren Kollegen täglich schminkt und frisiert. Sie weiß nach der Premiere auch immer schnell, wer welchen Ablauf bevorzugt. Erst das Schminken und dann das Aufwärmtraining oder anders herum. "Die einen werden nervös, wenn sie zu früh in die Maske kommen und die anderen brauchen das für ihre Vorbereitung", sagt Potthast, die wie die meisten ihrer Kollegen schon seit vielen Jahren im Friedrichstadt-Palast arbeitet.
Jetzt ist es 18 Uhr und Oscar Loya betritt das Haus. Mit einer Kaffeetasse in der Hand schlendert er auf seine Garderobe zu und schnurstracks an der Maske vorbei. Der Hauptdarsteller von "Show me", der auch Sänger, Tänzer und Modedesigner ist, hat in seiner Heimat USA auch schon als Visagist gearbeitet. Er schminkt sich selbst und wählt dafür als Reihenfolge: erst Styling, dann aufwärmen. Doch eine große Vorbereitung kann er sich sparen. "Ich spiele hier keine Rolle, sondern kann das ausleben, was ich bin", sagt Loya und deutet auf seine silbernen Turnschuhe mit hohem Schaft. Dann holt er die Schuhe aus dem Schrank, die zu seinem Kostüm gehören: goldene Turnschuhe mit hohem Schaft. Er schlüpft hinein, dazu das grüne Glitzeroberteil und schon ist es 19.25 Uhr. Die Show beginnt in fünf Minuten.
Die Geschichte des Friedrichstadt-Palasts beginnt im Jahr 1919 mit der Eröffnung eines neuen großen Schauspielhauses durch den Intendanten Max Reinhardt. Schon damals wurden hier große Revuen, aber auch politische Stücke aufgeführt. 1980 musste der alte Friedrichstadt-Palast schließen, da das Gebäude baufällig war. Am 27. April 1984 fand die Neueröffnung an der Friedrichstraße 107 statt. Damit wurde der letzte große Prachtbau der damals schon langsam versinkenden DDR eingeweiht. Noch heute beherbergt das Schauspielhaus die größte Theaterbühne der Welt, die durch ihre besonderen Ausmaße von insgesamt 2800 Quadratmetern Fläche bisher ungeschlagen ist.
Konkurrenz macht ihr momentan nur ein Bühnenbauprojekt in Shanghai, das übrigens von der gleichen Dresdner Firma geleitet wird, die in den 1980er Jahren die Bühne des Friedrichstadt-Palasts baute. Jedes Jahr besuchen rund 700 000 Gäste den Berliner Show-Palast. Als große Abendaufführung läuft derzeit die Produktion "Show me". Die Idee dahinter: Was wäre, wenn drei der genialsten Macher der Revuegeschichte heute gemeinsam eine moderne Show auf die größte Bühne der Welt brächten? Mit Produktionskosten von neun Millionen Euro war keine Show im Friedrichstadt-Palast bislang teurer.
Informationen zum Programm unter www.show-palace.eu/de.
Autor:Jana Tashina Wörrle aus Charlottenburg |
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